Leitsatz (amtlich)

In einem Unterbringungsverfahren ist das Sachverständigengutachten grundsätzlich mit seinem vollen Wortlaut an den Betroffenen persönlich bekanntzugeben. Davon kann nur unter den Voraussetzungen des § 325 Abs. 1 FamFG abgesehen werden (im Anschluss an BGH vom 8.3.2017 - XII ZB 516/16, FamRZ 2017, 911).

 

Normenkette

FamFG § 37 Abs. 2, §§ 316, 321 Abs. 1 S. 1, § 325 Abs. 1

 

Verfahrensgang

LG Stuttgart (Beschluss vom 04.12.2017; Aktenzeichen 10 T 429/17)

AG Stuttgart-Bad Cannstatt (Beschluss vom 05.10.2017; Aktenzeichen 16 XVII 195/17)

 

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird der Beschluss der 10. Zivilkammer des LG Stuttgart vom 4.12.2017 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die außergerichtlichen Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das LG zurückverwiesen.

Das Verfahren der Rechtsbeschwerde ist gerichtskostenfrei.

 

Gründe

I.

Rz. 1

Der Betroffene wendet sich gegen die Verlängerung seiner geschlossenen Unterbringung.

Rz. 2

Er leidet an einer psychischen Störung in Form einer schizophrenen Psychose und einer Polytoxikomanie mit hoher Rückfallgefahr. Auf Antrag seines Betreuers hat das AG nach Einholung eines Sachverständigengutachtens und Anhörung des Betroffenen mit Beschluss vom 5.10.2017 die Verlängerung der bereits seit November 2015 bestehenden Unterbringung des Betroffenen in einer geschlossenen Einrichtung bis längstens 4.10.2018 genehmigt.

Rz. 3

Das LG hat die Beschwerde des Betroffenen nach Anhörung des Betroffenen und der Sachverständigen zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich der Betroffene mit der Rechtsbeschwerde.

II.

Rz. 4

Die Rechtsbeschwerde ist begründet, weil die Entscheidungen des AG und des LG verfahrensfehlerhaft ergangen sind.

Rz. 5

1. Die Rechtsbeschwerde rügt zu Recht, dass dem Betroffenen das eingeholte Sachverständigengutachten nicht persönlich bekanntgegeben wurde.

Rz. 6

a) Die Verwertung eines Sachverständigengutachtens als Grundlage einer Entscheidung in der Hauptsache setzt gem. § 37 Abs. 2 FamFG voraus, dass das Gericht den Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt hat. Insoweit ist das Gutachten mit seinem vollen Wortlaut im Hinblick auf die Verfahrensfähigkeit des Betroffenen (§ 316 FamFG) grundsätzlich auch ihm persönlich zur Verfügung zu stellen. Davon kann nur unter den Voraussetzungen des § 325 Abs. 1 FamFG abgesehen werden (vgl. BGH v. 8.3.2017 - XII ZB 516/16, FamRZ 2017, 911 Rz. 5 m.w.N. zur Unterbringung; v. 16.9.2015 - XII ZB 250/15, FamRZ 2015, 2156 Rz. 15 m.w.N. zur Betreuung).

Rz. 7

b) Diesen Anforderungen wird das vorliegende Verfahren nicht gerecht.

Rz. 8

Weder aus den Feststellungen des LG noch aus den Gerichtsakten lässt sich entnehmen, dass der Inhalt des Gutachtens dem Betroffenen in vollem Umfang bekannt gegeben worden ist. Ausweislich des Protokolls des AG über den am 5.10.2017 durchgeführten Anhörungstermin wurde das Gutachten lediglich mit dem Betroffenen erörtert. Dies genügt den verfahrensrechtlichen Anforderungen nicht, weil dem Betroffenen damit die Möglichkeit genommen wird, sich auf den Anhörungstermin ausreichend vorzubereiten und durch die Erhebung von Einwendungen und Vorhalte an die Sachverständige eine andere Einschätzung zu erreichen. Ebenso wenig enthält das Sachverständigengutachten einen Hinweis darauf, dass der Betroffene durch dessen Bekanntgabe Gesundheitsnachteile entsprechend § 325 Abs. 1 FamFG zu befürchten hätte (vgl. BGH v. 8.3.2017 - XII ZB 516/16, FamRZ 2017, 911 Rz. 6).

Rz. 9

Dieser Verfahrensmangel wurde im Beschwerdeverfahren nicht geheilt. Das LG hat zwar den Betroffenen erneut angehört und im Rahmen des Anhörungstermins eine ergänzende mündliche Stellungnahme der Sachverständigen eingeholt. Es hat es jedoch versäumt, vor dem Anhörungstermin dem Betroffenen das Sachverständigengutachten in seinem vollen Wortlaut zu übersenden.

Rz. 10

2. Der angefochtene Beschluss kann daher keinen Bestand haben. Der Senat kann in der Sache nicht abschließend entscheiden, da er die fehlerhaften Verfahrenshandlungen nicht selbst nachholen und die erforderlichen Feststellungen nicht selbst treffen kann.

Rz. 11

3. Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen (§ 74 Abs. 7 FamFG).

 

Fundstellen

Haufe-Index 11795270

NJW 2018, 8

FamRZ 2018, 1260

FuR 2018, 487

NJW-RR 2018, 964

FGPrax 2018, 174

JZ 2018, 500

FF 2018, 332

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