Leitsatz (amtlich)
›Beantragt die mit der Vertretung im Berufungsrechtszug beauftragte Anwältin in einer Sache, die nach der Neuordnung der ordentlichen Gerichtsbarkeit in einem neuen Bundesland vor das Oberlandesgericht gehört, beim Landgericht Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist und erhält sie daraufhin von einer Geschäftsstellenbediensteten des Landgerichts fälschlich die Auskunft, die Frist sei von der Berufungskammer verlängert worden, so darf sich die Anwältin nicht auf die Richtigkeit dieser Auskunft verlassen.‹
Tatbestand
I. Die Beklagte wurde vom Kreisgericht Bernau am 2. November 1993 verurteilt, dem Kläger ein Grundstück herauszugeben. Das Kreisgericht setzte den Wert des Streitgegenstands auf 250.000 DM fest. Am 24. November 1993 legte die Beklagte beim Bezirksgericht Frankfurt/Oder Berufung ein. Das Landgericht Frankfurt/Oder wies sie mit Schreiben vom 2. Dezember 1993 darauf hin, daß das Brandenburgische Oberlandesgericht zuständig sei, und erteilte ihr Abgabenachricht. Die Beklagte beantragte mit einem an das "Bezirksgericht Frankfurt/Oder - Berufungskammer -" gerichteten Schreiben vom 17. Dezember 1993, die Berufungsbegründungsfrist bis 20. Januar 1994 zu verlängern. Der Antrag ging beim Brandenburgischen Oberlandesgericht am 14. Januar 1994 ein. Eine Berufungsbegründungsschrift. erreichte das Oberlandesgericht am 11. Januar 1994.
Das Oberlandesgericht hat die Berufung der Beklagten verworfen. Hiergegen richtet sich die rechtzeitig erhobene sofortige Beschwerde.
II. Das Rechtsmittel ist unbegründet.
1. Die Berufung der Beklagten ist unzulässig, weil sie nicht bis zum Ablauf der Berufungsbegründungsfrist am 24. Dezember 1993 begründet worden ist (§§ 519, 222 ZPO; §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 BGB). Nach § 14 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes zur Neuordnung der ordentlichen Gerichtsbarkeit und zur Ausführung des Gerichtsverfassungsgesetzes im Land Brandenburg vom 14. Juni 1993 (GVBl I S. 198) gingen die bis dahin bei den Bezirksgerichten anhängigen Streitigkeiten in dem Stand, in dem sie sich befanden, auf die am 1. Dezember 1993 errichteten ordentlichen Gerichte über. Zuständig zur Entscheidung über die Berufung der Beklagten war nach § 119 Abs. 1 Nr. 3 GVG das Oberlandesgericht, denn der Rechtsstreit gehörte nach der Zuständigkeitsordnung des Gerichtsverfassungsgesetzes im ersten Rechtszug vor die Landgerichte (§ 23 Nr. 1 GVG i.V.m. Art. 14 Abs. 2 RPflEntlG, § 71 GVG). Dort hätte mithin die Berufungsbegründungsschrift nach § 519 Abs. 2 Satz 1 ZPO eingereicht werden müssen.
2. Einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist nach § 234 ZPO hat die Beklagte nicht. gestellt. Das Berufungsgericht hat die Wiedereinsetzung von Amts wegen (§ 236 Abs. 2 ZPO) geprüft, deren sachliche Voraussetzungen aber zu Recht verneint, da sich die Beklagte ein Anwaltsverschulden zurechnen lassen muß (§§ 233, 85 Abs. 2 ZPO).
a) Das Gesetz zur Neuordnung der ordentlichen Gerichtsbarkeit und zur Ausführung des Gerichtsverfassungsgesetzes im Land Brandenburg ist im Gesetz- und Verordnungsblatt für das Land Brandenburg Teil I, Nr. 14 vom 17. Juni 1993 verkündet worden. Die Prozeßbevollmächtigte der Beklagten war damit bei Errichtung der ordentlichen Gerichte uneingeschränkt in der Lage, sich darüber zu vergewissern, bei welchem dieser Gerichte sie den Antrag auf Fristverlängerung einzureichen hatte. Der hierüber bestehende Irrtum begründet ein Verschulden, denn eine Anwältin muß die gesetzlichen Bestimmungen über die Zuständigkeit des Gerichts kennen, vor das die Sache ihres Mandanten gehört. In den neuen Bundesländern war hiervon bereits für das Übergangsrecht nach dem Einigungsvertrag grundsätzlich keine Ausnahme zu machen (BGH, Beschl. v. 4. Oktober 1993, II ZB 9/93, BGHR ZPO § 233 - Anwaltsverschulden 5); gleiches gilt für die bei der Errichtung der endgültigen Gerichtstruktur geschaffenen Vorschriften.
b) Das Verschulden der Prozeßbevollmächtigten wird nicht durch ein Versäumnis des Gerichts ausgeräumt.
aa) Der Umstand, daß die Abgabenachricht vom 2. Dezember 1993, wie die Beklagte behauptet, ihre Prozeßbevollmächtigte erst am 17. Dezember 1993 erreicht hatte, entlastet die Beklagte nicht. Auch wenn dieser Umstand dem Landgericht zuzurechnen wäre, würde sich an der Mitursächlichkeit der schuldhaften Unkenntnis der Prozeßbevollmächtigten über das zuständige Berufungsgericht nichts ändern. Die Wiedereinsetzung muß aber bereits dann versagt werden, wenn das Verschulden des Prozeßbevollmächtigten wenigstens mitursächlich für die Fristversäumnis war (BGH, Urt. v. 5. April 1990, VII ZR 215/89, BGHR ZPO § 233 - Verschulden 5). Im übrigen hätte die Beklagte bei Eingang des Schriftstücks noch Gelegenheit gehabt, den Antrag auf Fristverlängerung beim Oberlandesgericht rechtzeitig zu stellen.
bb) Die Auskunft der Geschäftsstelle des Landgerichts Frankfurt/Oder vom 20. Dezember 1993, auf die sich die sofortige Beschwerde stützt, entlastet die Anwältin ebenfalls nicht.
Vor dem Oberlandesgericht hatte die Beklagte vorgetragen, die Geschäftsstelle habe erklärt, der Antrag auf Fristverlängerung werde "dem Vorgang nachgereicht" werden. Das Landgericht "verfahre generell so, daß Schriftsätze, soweit sie Verfahren betreffen, die mittlerweile abgegeben sind oder abgegeben werden, dem nunmehr zuständigen Gericht entsprechend zugestellt werden". Damit ist kein gerichtliches Mitverschulden dargetan. Die Geschäftsstelle hat mit diesem Hinweis inhaltlich zum Ausdruck gebracht, sie werde mit fehladressierten Eingängen so verfahren, wie es ihre Amtspflicht gebot. Die zusätzlich behauptete Schlußfolgerung der Geschäftsstellenbediensteten, im Hinblick auf das mitgeteilte Verfahren "entstünden keine Fristprobleme", konnte für die Anwältin kein Vertrauen darauf begründen, der Verlängerungsantrag werde beim Oberlandesgericht noch vor Ablauf der Berufungsbegründungsfrist eingehen. Die vorgetragene Äußerung der Geschäftsstellenbediensteten hatte die Verfahrensweise des Landgerichts bei allen fehladressierten Einsendungen zum Gegenstand, sie bezog sich nicht auf den tatsächlich erst zwei Tage später beim Landgericht eingegangenen Antrag der Beklagten auf Fristverlängerung. Die Beklagte behauptet auch nicht, ihre Prozeßbevollmächtigte habe die Geschäftsstelle in diesem Punkte mißverstanden. Um eine Aufklärung der ihren Antrag betreffenden tatsächlichen Verhältnisse hat sich die Anwältin nicht bemüht. Dann durfte sie aber nicht davon ausgehen, der Schriftsatz erreiche das Oberlandesgericht noch vor Ablauf der am letzten Werktag derselben Woche endenden Berufungsbegründungsfrist.
Mit der sofortigen Beschwerde trägt die Beklagte zusätzlich vor, die Geschäftsstellenbedienstete habe bei dem Gespräch erklärt, eine Fristverlängerung sei gewährt worden. Das ist unglaubhaft, da der Antrag dem Landgericht zu diesem Zeitpunkt noch nicht zugegangen war. Wäre die Äußerung aber erfolgt, und hätte sich die Anwältin auf sie verlassen, so hätten die bereits angeführten Gesichtspunkte über das Zusammenwirken von Anwalts- und Gerichtsverschulden zu gelten. Das Verschulden der Anwältin wäre in diesem Falle so schwerwiegend, daß seine Auswirkung auf die Fristversäumnis auch durch das ebenfalls grobe Fehlverhalten der Justizbediensteten nicht ausgeräumt wäre.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Fundstellen
Haufe-Index 2993278 |
NJW 1994, 2299 |
BRAK-Mitt 1995, 86 |
BGHR ZPO § 233 Neue Bundesländer 2 |
DRsp IV(412)226Nr. 4h (Ls) |
MDR 1994, 1250 |