Verfahrensgang
LG Frankfurt am Main (Urteil vom 26.01.2004) |
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 26. Januar 2004 mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt sowie Flugscheine, zwei Mobiltelefone, einen beim Angeklagten sichergestellten Geldbetrag sowie sichergestelltes Kokain eingezogen. Während die mit der Revision des Angeklagten erhobenen Verfahrensrügen aus den vom Generalbundesanwalt hervorgehobenen Gründen unzulässig bzw. unbegründet sind, führt die Sachrüge zur Aufhebung des Urteils.
1. Die Feststellungen des Landgerichts tragen die Verurteilung wegen vollendeter Einfuhr von Betäubungsmitteln nicht.
a) Nach den – insoweit rechtsfehlerfreien – Feststellungen wollte der Angeklagte im Auftrag nicht bekannter Hintermänner für eine ihm versprochene Entlohnung von 10.000 Euro 2.269 g Kokain mit 2.189 g Wirkstoff auf dem Luftweg von Sao Paulo/Brasilien über Frankfurt am Main nach Amsterdam transportieren. Das Rauschgift befand sich in zwei Beuteln in seinem Koffer.
Der Angeklagte kam mit dem Flugzeug aus Sao Paulo am 21. Juli 2003 um 14.44 Uhr in Frankfurt an; der Weiterflug nach Amsterdam sollte um 16.20 Uhr erfolgen. Bei einer Kontrolle des Gepäcks im Transitbereich wurde das Kokain aufgefunden.
Einen Versuch, sich das Gepäckstück während des Zwischenaufenthalts in Frankfurt aushändigen zu lassen, unternahm der Angeklagte nicht. Insoweit hat das Landgericht festgestellt: „Während des Zwischenaufenthalts bestand für den Angeklagten die Gelegenheit, an das Gepäckstück mit dem Kokain heranzukommen. Auf Wunsch wäre … das Gepäck binnen einer ¾ Stunde ausgeschleust worden. Da die Kontrolle und das Auffinden des Kokains erst kurz vor dem Abflug nach Amsterdam erfolgte, hätte der Angeklagte das Gepäckstück vorher auch ausgehändigt erhalten” (UA S. 4). Aufgrund seiner Flugerfahrung habe der Angeklagte dies auch billigend in Kauf genommen (UA S. 7).
b) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs setzt in Fällen der Zwischenlandung eines Betäubungsmittel-Kuriers im Inland die Verurteilung wegen vollendeter Einfuhr voraus, daß der Täter während der Dauer des Aufenthalts im Inland eine tatsächliche Verfügungsmacht an dem Rauschgift innehat oder ohne Schwierigkeiten erlangen kann (vgl. BGHSt 31, 374, 376 m.w.N.; st. Rspr.). Im Unterschied zur früheren Rechtsprechung hat der Senat dies bei Umladungen des Gepäcks bei einer Zwischenlandung nicht als regelmäßig gegeben angesehen (vgl. BGH NStZ 1986, 273, 274); vielmehr muß der Tatrichter die Verfügungsmöglichkeit des Kuriers in jedem Einzelfall aufgrund einer fehlerfreien Beweiswürdigung konkret feststellen (Senatsbeschluß vom 25. Juli 2002 – 2 StR 259/02 = NStZ 2003, 92; vgl. dazu auch Wienroeder in Franke/Wienroeder, BtMG 2. Aufl. § 29 Rdn. 91 f.). Läßt sich eine konkrete Verfügungsmöglichkeit im Einzelfall nicht feststellen, hat der Täter sie jedoch irrtümlich angenommen, so kommt Versuch der Einfuhr in Betracht; andernfalls kann, wenn das Rauschgift im Inland sichergestellt wird, Versuch der Durchfuhr gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 5, Abs. 2 BtMG in Betracht kommen.
c) Dies hat das Landgericht im Grundsatz nicht verkannt; anders als in dem der Senatsentscheidung vom 25. Juli 2002 (NStZ 2003, 92) zugrunde liegenden Fall fehlen daher hier Feststellungen zur Verfügungsmöglichkeit des Angeklagten nicht. Zutreffend wendet aber die Revision ein, daß diese Feststellungen, soweit sich dies aus den Urteilsgründen ergibt, im wesentlichen nur auf die abstrakte Möglichkeit des Angeklagten abstellen, das Gepäckstück mit dem Rauschgift während des Zwischenaufenthalts ausgehändigt zu erlangen; konkrete, auf den Einzelfall bezogene Feststellungen fehlen oder sind jedenfalls lückenhaft.
Vorliegend war die Zeitspanne zwischen Ankunft und geplantem Weiterflug mit 95 Minuten wesentlich kürzer als im Fall BGH NStZ 2003, 92. Auch wenn die Untersuchung des Gepäcks erst „kurz vor dem Einborden zum Flug nach Amsterdam” erfolgte (UA S. 7), so muß dies doch jedenfalls einige Zeit vor der geplanten Abflugzeit geschehen sein. Da die Überprüfung von Transitgepäck durch Beamte des Zolldienstes nicht regellos und spontan „kurz vor dem Einborden” erfolgt, muß sie, worauf die Revision zutreffend hinweist, zuvor angeordnet und das Gepäck bereitgestellt worden sein. Jedenfalls vom Zeitpunkt dieser Anordnung an, zu welchem Feststellungen nicht getroffen sind, liegt die Annahme eher fern, zur Überprüfung vorgesehene Gepäckstücke würden auf Anforderung von Transitreisenden ohne weiteres herausgegeben. Auch zu den sonstigen konkreten Umständen des Einzelfalls – zum Beispiel Zeitpunkt des Entladens aus dem aus Sao Paulo kommenden Flugzeug; Art, Dauer und Ort der Zwischenlagerung und Weiterverteilung; Ort und Dauer der Überprüfung – enthält das Urteil keine Feststellungen. Diese wären jedoch erforderlich gewesen; eine allein rechnerisch-abstrakte Möglichkeit reicht nicht aus. Zu den zu berücksichtigenden Umständen zählen insbesondere auch mögliche Dienstvorschriften sowie praktische Abläufe hinsichtlich der Aushändigung von Transitgepäck. Es kann, gerade auch im Zusammenhang mit einer veränderten Beurteilung von Sicherheitsfragen und den Erfahrungen bei der Verfolgung namentlich von Rauschgiftschmuggel, nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden, daß eine frühere Praxis unverändert fortgilt. Dem Senat ist dienstlich das abschließende Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 25. Oktober 2002 – 5/4 KLs (J 1/2002) 5150 Js 202564/02 in dem dem Senatsbeschluß vom 25. Juli 2002 – 2 StR 259/02 zugrundeliegenden Verfahren – bekannt, in welchem als Ergebnis der Vernehmung von Bediensteten der Zollfahndung insoweit festgestellt ist: „Fluggesellschaften lassen offenbar nur ausnahmsweise – etwa bei erforderlichem Zugriff auf Medikamente – den Zugriff auf das Gepäck zu, wobei freilich nicht notwendig der gesamte Koffer ausgehändigt wird.” Diesen Fragen hätte der Tatrichter hier genauer nachgehen müssen. Überdies belegt eine bloße Erfahrung des Angeklagten mit Interkontinentalflügen unter Mitführung von Sportausrüstungen entgegen der Annahme des Landgerichts (UA S. 3, 7) nicht schon ohne weiteres, daß er Erfahrungen mit der Herausgabe von Transitgepäck – und dies gerade in Frankfurt – und daher die Annahme von Vorsatz tragende konkrete Vorstellungen über seine Verfügungsmöglichkeit hatte.
d) Auf dem Rechtsfehler beruht das Urteil, denn das Landgericht hat die Strafe dem Strafrahmen des § 30 Abs. 1 Nr. 4 BtMG entnommen.
2. Dies führt zur Aufhebung des Urteils insgesamt und damit auch der an sich rechtsfehlerfreien Verurteilung wegen tateinheitlichen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge.
Damit entfällt auch die Grundlage für die Einziehungsanordnung. Der neue Tatrichter wird zu beachten haben, daß sich aus der bloßen Feststellung, der Angeklagte habe zwei Mobiltelefone, 582 US-Dollar und 92 brasilianische Reais mitgeführt, für keinen dieser Gegenstände schon ohne weiteres die Voraussetzungen einer Einziehung ergeben.
Unterschriften
Rissing-van Saan, Detter, Bode, Rothfuß, Fischer
Fundstellen
Haufe-Index 2557715 |
StV 2004, 604 |
StraFo 2004, 399 |