Entscheidungsstichwort (Thema)
Besetzung einer Notarstelle
Leitsatz (amtlich)
Zur Unzulässigkeit der Wiederbesetzung einer Notarstelle im Tätigkeitsgebiet der Ländernotarkasse Leipzig, wenn im betroffenen Amtsbereich ein Viertel der Notare auf Einkommensergänzung angewiesen ist und der der Bedürfnisprüfung nach § 4 BNotO zugrundegelegte Richtwert für das Urkundsaufkommen nachhaltig und deutlich unterschritten wird.
Normenkette
BNotO § 4
Verfahrensgang
Tenor
Die sofortige Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluß des Senats für Notarverwaltungssachen des Oberlandesgerichts Dresden vom 5. Januar 2001 wird zurückgewiesen.
Gerichtskosten werden im Beschwerdeverfahren nicht erhoben und notwendige Auslagen nicht erstattet.
Gründe
I. Die neun Antragsteller sind Notare in Ch.. Sie wenden sich gegen die Wiederbesetzung der 1993 errichteten und seit dem 1. Oktober 1999 verwalteten Notarstelle CHE-11, einer von zwölf Notarstellen in Ch.. Das Ausschreibungsverfahren ist noch nicht beendet.
Die Antragsteller begründen ihr Begehren insbesondere mit dem Rückgang des Beurkundungsaufkommens. Im Jahre 1998 erreichte dies bei zwölf Stellen je Notar im Durchschnitt 1.525,33, im Jahre 1999 nur noch 1.283,71 bereinigte Urkundennummern. Nach den neuesten Erhebungen der am Verfahren beteiligten Notarkammer Sachsen ist für das Jahr 2000 ein Rückgang auf 1.161,39 zu verzeichnen. Der Antragsgegner legt seiner Bedürfnisprüfung nach § 4 BNotO in ständiger Praxis einen Richtwert von 1.650 bereinigten Urkundennummern zugrunde. Bis auf einen Ch.er Notar liegt das Urkundenaufkommen bei allen übrigen Notarstellen – zum Teil deutlich – unter dem Richtwert. Drei Notare beziehen Einkommensergänzung von der Ländernotarkasse. Die Antragsteller haben beantragt, dem Antragsgegner die Neubesetzung der Stelle zu untersagen und ihm aufzugeben, das Ausschreibungsverfahren zu beenden und die Stelle einzuziehen.
Der Antragsgegner ist dem entgegengetreten, weil die Anträge unzulässig, jedenfalls aber unbegründet seien. Bei der Entscheidung über die Wiederbesetzung einer Notarstelle werde der Versorgungsrichtwert von 1.650 bereinigten Urkundennummern nicht schematisch angewandt, sondern immer auch eine Einzelfallbetrachtung vorgenommen. Da es sich bei der Stelle CHE-11 um eine leistungsstarke Stelle handele, sei diese wieder zu besetzen.
Die Notarkammer Sachsen hatte zunächst die Wiederbesetzung befürwortet, weil die Stelle hinsichtlich ihrer Klientenstruktur, der Art der dort erledigten Amtsgeschäfte und der wirtschaftlichen Situation sehr günstig positioniert sei. Sie hatte sich dabei auf die Angaben des Notariatsverwalters und Stellenbewerbers gestützt, des weiteren Beteiligten zu 2). Nachdem der Notarkammer bekannt geworden war, daß drei Ch.er Notare Einkommensergänzung erhalten und das Urkundenaufkommen in den Jahren 1999 und 2000 weiter rückläufig war, sprach sie sich gegen die Wiederbesetzung der Stelle aus. Die Wiederbesetzung könne geeignet sein, die Lebensfähigkeit anderer Notarstellen im Amtsbereich Ch. zu gefährden.
Das Oberlandesgericht hat dem Antragsgegner untersagt, die Notarstelle CHE-11 neu zu besetzen, und die Anträge im übrigen zurückgewiesen (ZNotP 2001, 283). Mit seiner sofortigen Beschwerde erstrebt er die vollständige Zurückweisung der Anträge.
II. Das Rechtsmittel ist zulässig, aber nicht begründet. Das Oberlandesgericht hat den Anträgen, die Stelle nicht wieder zu besetzen, zu Recht stattgegeben.
1. Die Anträge ist zulässig. Das Oberlandesgericht hat unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Senatsbeschlüsse vom 20. Juli 1998 – NotZ 31/97 – NJW-RR 1999, 207 unter II 2 a und b = DNotZ 1999, 251 und vom 18. September 1995 – NotZ 46/94 – DNotZ 1996, 902 unter II 2 a, jeweils m.w.N.) zutreffend angenommen, daß die Antragsteller substantiiert vorgetragen haben, durch die Wiederbesetzung der freien Notarstelle in ihren Rechten aus Art. 12 Abs. 1 GG beeinträchtigt zu sein. Sie haben sich nicht, wie der Beschwerdeführer meint, allgemein auf eine Schmälerung ihres Gebührenaufkommens berufen, sondern geltend gemacht, daß die Lebensfähigkeit ihrer Notariate gefährdet sei. Angesichts der Tatsache, daß drei Ch.er Notariate auf Einkommensergänzung angewiesen sind und daß der Versorgungsrichtwert von 1.650 bereinigten Urkundennummern bei den Antragstellern wie auch im Durchschnitt (1999 : 1.283) unterschritten ist, genügt dies. Ob wirklich eine Beeinträchtigung vorliegt, ist eine Frage der Begründetheit des Antrags (Senatsbeschluß vom 8. November 1976 – NotZ 5/76 – NJW 1977, 390 unter II 1 = DNotZ 1977, 180, insoweit in BGHZ 67, 348 nicht abgedruckt).
2. Die Unterlassungsanträge sind auch begründet. Der Antragsgegner würde durch die Wiederbesetzung der freien Notarstelle die ihm durch § 4 BNotO gesetzten Grenzen seines Organisationsermessens überschreiten, weil diese Maßnahme nicht den Erfordernissen einer geordneten Rechtspflege entspricht.
a) Nach ständiger Rechtsprechung des Senats (Beschluß vom 20. Juli 1998 – NotZ 31/97 – aaO unter II 2 m.w.N.) hat die Landesjustizverwaltung bei der Ausübung des ihr eingeräumten Organisationsermessens nach § 4 BNotO subjektive Rechte von Amtsinhabern insoweit zu wahren, als jedem Notar zur Erfüllung seiner öffentlichen Aufgabe als unabhängiger und unparteiischer Berater ein Mindestmaß an wirtschaftlicher Unabhängigkeit zu gewährleisten ist. Es dürfen nicht so viele Notarstellen geschaffen werden, wie gerade noch lebensfähig sind. Für eine bestehende, aber frei gewordene Stelle bedeutet dies, daß ihre Wiederbesetzung den Erfordernissen einer geordneten Rechtspflege nicht entspricht, wenn dadurch in einem Amtsgerichtsbezirk so viele Notarstellen besetzt wären, wie gerade noch oder nicht mehr lebensfähig wären. Diese untere Grenze bezieht sich auf Durchschnittszahlen im jeweiligen Amtsgerichtsbezirk, von der jede Bedürfnisprüfung ausgehen muß (Senatsbeschluß vom 22. Oktober 1979 – NotZ 3/79 – LM Nr. 12 zu § 4 BNotO unter 3 c cc und Beschluß vom 22. Juni 1981 – NotZ 5/81 – DNotZ 1982, 372, 374). Hat sich die Landesjustizverwaltung im Bereich der Bedürfnisprüfung nach § 4 BNotO durch eine ständige Übung oder Richtlinie gebunden, hat sie diese Prüfungsmaßstäbe grundsätzlich zu beachten. Ihr ist allerdings nicht schlechthin jede andere Art der Bedürfnisprüfung verwehrt, wenn die Erfordernisse einer geordneten Rechtspflege es im Einzelfall verlangen (Senatsbeschluß vom 22. Juni 1981 – NotZ 5/81 – aaO S. 375).
b) Diese vom Senat aufgestellten rechtlichen Grundsätze hat das Oberlandesgericht gesehen und zutreffend auf den vorliegenden Fall angewendet. Es hat aus der Entwicklung des Urkundenaufkommens in den Ch.er Notariaten und der Tatsache, daß drei Notare Einkommensergänzung beziehen, zutreffend den Schluß gezogen, daß 12 Notarstellen in Ch. keinesfalls lebensfähig sind und der Antragsgegner seinen in ständiger Praxis im Rahmen der Bedürfnisprüfung für maßgeblich gehaltenen Versorgungsrichtwert nicht beachtet hat. Das Oberlandesgericht hat sich auch damit auseinandergesetzt, daß nach Auffassung des Antragsgegners hier wegen der Besonderheit der Stelle auf den Einzelfall abzustellen sei. Es vermochte aber weder im Vortrag des Antragsgegners noch sonst festzustellen, daß der freien Notarstelle derartige Eigentümlichkeiten innewohnen, die ihre Wiederbesetzung zur angemessenen Versorgung der Rechtsuchenden in Ch. mit notariellen Leistungen erforderten. Wegen der Einzelheiten wird auf die ausführliche Begründung des Oberlandesgerichts Bezug genommen.
c) Im Beschwerdeverfahren macht der Antragsgegner weiterhin geltend, für die Wiederbesetzung spreche die Besonderheit der Stelle. Ihre Einziehung würde sich bei der Einkommenssituation der übrigen Notarstellen in Ch. auch nicht entscheidungserheblich auswirken.
Weshalb der Mandantenstamm der seit nahezu zwei Jahren von verschiedenen Personen verwalteten Stelle nicht von jedem Notar betreut werden kann, trägt der Antragsgegner selbst auch jetzt nicht vor. Es mag sein, daß die dort vorgenommenen Amtsgeschäfte überdurchschnittliche Anforderungen stellen. Der Antragsgegner teilt nicht einmal ansatzweise mit, weshalb die amtierenden Ch.er Notare diese Anforderungen nicht erfüllen könnten. Es ist ferner nicht vorgetragen oder ersichtlich, daß die Einziehung der Stelle nicht zu einem Zuwachs des Urkundenaufkommens und damit zu einer Verbesserung der Einkommenssituation auch bei den Ch.er Notaren führen wird, die davon unterdurchschnittlich profitieren.
Die Notarkammer hat sich im Beschwerdeverfahren erneut für die Einziehung der Stelle ausgesprochen. Das durchschnittliche bereinigte Urkundsaufkommen pro Notarstelle im Amtsbereich Ch. sei inzwischen so niedrig, daß auch die gebotene Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles, die ursprünglich für eine Wiederbesetzung der Notarstelle gesprochen hätten, zu keiner anderen Beurteilung führen könne.
Unterschriften
Rinne, Seiffert, Kurzwelly, Schierholt, Grantz
Fundstellen
Haufe-Index 614774 |
NJW 2001, 3548 |
BGHR 2001, 902 |
Nachschlagewerk BGH |
DNotZ 2002, 70 |
MDR 2001, 1263 |
NJ 2002, 112 |
ZNotP 2001, 440 |