Entscheidungsstichwort (Thema)

Haftbefehlsvollstreckung an Sonn- und Feiertagen. Anordnung des Amtsrichters

 

Leitsatz (amtlich)

Für die Vollstreckung eines Haftbefehls (§ 901 ZPO) in der Wohnung des Schuldners zur Nachtzeit und an Sonn- und Feiertagen ist eine besondere Anordnung des Amtsrichters erforderlich.

 

Normenkette

ZPO § 758a Abs. 4 S. 1

 

Verfahrensgang

LG Ansbach (Beschluss vom 17.02.2004; Aktenzeichen 4 T 44/04)

AG Ansbach

 

Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 4. Zivilkammer des LG Ansbach v. 17.2.2004 wird auf Kosten der Gläubigerin zurückgewiesen.

Wert: bis zu 500 EUR.

 

Gründe

I.

Die Gläubigerin betreibt gegen die Schuldnerin aus mehreren Titeln die Zwangsvollstreckung. Am 8.5.2003 erließ das Vollstreckungsgericht gegen die Schuldnerin Haftbefehl zur Erzwingung der Abgabe der eidesstattlichen Versicherung (§ 901 ZPO). Nachdem Versuche, den Haftbefehl an verschiedenen Wochentagen und zu unterschiedlichen Tageszeiten zu vollziehen, erfolglos geblieben waren, empfahl der Gerichtsvollzieher der Gläubigerin, eine besondere Anordnung des Amtsrichters nach § 758a Abs. 4 ZPO zu erwirken, um den Haftbefehl zur Nachtzeit und an Sonn- und Feiertagen vollstrecken zu können.

Die Gläubigerin hat gegen die Weigerung des Gerichtsvollziehers, die Schuldnerin zu diesen Zeiten ohne eine besondere richterliche Anordnung zu verhaften, Erinnerung eingelegt. Das AG hat die Erinnerung zurückgewiesen. Die sofortige Beschwerde der Gläubigerin hatte keinen Erfolg. Dagegen wendete sie sich mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde.

II.

Die gem. § 574 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 S. 2 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige Beschwerde ist unbegründet.

1. Nach Meinung des Beschwerdegerichts, dessen Auffassung in Einklang mit der h.M. in Rechtsprechung und Literatur steht (vgl. LG Koblenz DGVZ 2000, 170; LG Regensburg DGVZ 1999, 173; Stein/Jonas/Münzberg, ZPO, 22. Aufl., § 758a Rz. 35; Schuschke/Walker, Vollstreckung und Vorläufiger Rechtsschutz, 3. Aufl., § 909 Rz. 3; Musielak/Voit, ZPO, 3. Aufl., § 909 Rz. 7; Thomas/Putzo, ZPO, 25. Aufl., § 758a Rz. 31), ist für die Vollstreckung eines Haftbefehls in der Wohnung des Schuldners zur Nachtzeit und an Sonn- und Feiertagen eine besondere Anordnung des Richters erforderlich. Dies ergebe sich aus dem Wortlaut des § 758a Abs. 4 S. 1 ZPO, dessen Sinn und Zweck sowie dem systematischen Zusammenhang der Regelungen des § 758a ZPO. Im Hinblick auf das gesetzlich geschützte Ruhebedürfnis zur Nachtzeit und an Sonn- und Feiertagen sei eine gesonderte richterliche Einzelfallprüfung unter Abwägung der Grundrechte des Schuldners (Art. 13 GG) und des Gläubigers (Art. 14 GG) durchzuführen.

Die Rechtsbeschwerde, die sich auf die Gegenmeinung beruft (vgl. AG Nürtingen v. 20.2.2003 - 1a M 3212/02, NJW-RR 2003, 1146; AG Heidelberg DGVZ 1999, 126; AG Mannheim DGVZ 1999, 142; AG Heinsberg DGVZ 1999, 188; AG Leipzig DGVZ 2000, 190; Zöller/Stöber, ZPO, 24. Aufl., § 758a Rz. 35), vertritt die Auffassung, es ergebe sich aus der Entstehungsgeschichte des § 758a ZPO, dessen Systematik sowie dem Sinn und Zweck des Absatzes 4 dieser Vorschrift, dass die Vollstreckung zur Nachzeit und an Sonn- und Feiertagen von der richterlichen Entscheidung über den Erlass des Haftbefehls mitumfasst sei. Durch die Verhaftung werde in das Freiheitsrecht des Schuldners eingegriffen, was den schwer wiegendsten Grundrechtseingriff darstelle. Auf Grund der ausdrücklichen Regelung des § 758a Abs. 2 ZPO sei der Richtervorbehalt für die Durchsuchung der Wohnung des Schuldners zur Vollstreckung des Haftbefehls bereits durch dessen Erlass erfüllt.

2. Der Standpunkt des Beschwerdegerichts ist zutreffend.

a) Die Wohnung des Schuldners darf nach § 758a Abs. 1 ZPO - soweit dies nicht den Erfolg der Durchsuchung gefährden würde - ohne dessen Einwilligung nur auf Grund einer Anordnung des Richters durchsucht werden. Gemäß Abs. 2 dieser Vorschrift gilt dies u.a. dann nicht, wenn die Vollstreckung eines Haftbefehls nach § 901 ZPO erfolgen soll. Nach § 758a Abs. 4 ZPO nimmt der Gerichtsvollzieher eine Vollstreckungshandlung zur Nachtzeit, d.h. von einundzwanzig bis sechs Uhr (§ 758a Abs. 4 S. 2 ZPO), und an Sonn- und Feiertagen nicht vor, wenn dies für den Schuldner und die Mitgewahrsamsinhaber eine unbillige Härte darstellt oder der zu erwartende Erfolg in einem Missverhältnis zu dem Eingriff steht, in Wohnungen nur auf Grund einer besonderen Anordnung des Amtsrichters.

b) Bereits der Wortlaut des § 758a Abs. 4 S. 1 letzter Halbs. ZPO spricht dafür, dass bei der Vollstreckung eines Haftbefehls, die zur Nachtzeit oder an Sonn- und Feiertagen in der Wohnung des Schuldners erfolgen soll, eine gesonderte Anordnung des Amtsrichters notwendig ist (vgl. Musielak/Voit, ZPO, 3. Aufl., § 909 Rz. 7). Die Vorschrift verlangt ausnahmslos eine besondere richterliche Anordnung für jede Vollstreckungshandlung des Gerichtsvollziehers zu den genannten Zeiten, und zwar unabhängig davon, ob außerhalb dieser Zeiten eine solche nach § 758a Abs. 1 und 2 ZPO erforderlich ist oder nicht. Insbesondere bezieht sich die Ausnahmeregelung des § 758a Abs. 2 ZPO, nach der für die Durchsuchung der Schuldnerwohnung im Rahmen der Vollstreckung eines Haftbefehls eine Anordnung des Richters entbehrlich ist, nach ihrem Wortlaut lediglich auf Abs. 1 der Vorschrift und nicht auf deren Abs. 4.

c) Das Erfordernis einer besonderen richterlichen Anordnung für die Vollstreckung eines Haftbefehls in der Wohnung des Schuldners zur Nachtzeit und an Sonn- und Feiertagen geht auch aus der Gesetzessystematik hervor. In § 758a Abs. 1 ZPO ist geregelt, dass für die Durchsuchung der Wohnung des Schuldners eine richterliche Anordnung notwendig ist, wenn nicht einer der Ausnahmefälle des Absatzes 2 vorliegt. § 758a Abs. 4 ZPO, der den aufgehobenen § 761 ZPO a.F. in veränderter Form ersetzt hat (vgl. Musielak/Lackmann, ZPO, 3. Aufl., § 758a Rz. 17; Thomas/Putzo, ZPO, 25. Aufl., § 758a Rz. 25), bezieht sich auf jede Vollstreckungshandlung des Gerichtsvollziehers zur Nachtzeit und an Sonn- und Feiertagen in der Wohnung des Schuldners und beschränkt sich nicht auf deren Durchsuchung. Er hat somit gegenüber den Absätzen 1 bis 3 des § 758a ZPO einen eigenständigen Regelungsgehalt und ist deshalb losgelöst von diesen Vorschriften zu sehen (vgl. Stein/Jonas/Münzberg, ZPO, 22. Aufl., § 758a Rz. 35). Da es sich bei der besonderen Anordnung des Richters, die in § 758a Abs. 4 S. 1 letzter Halbs. ZPO gefordert wird, nur um die Genehmigung der in diesem Absatz ausschließlich geregelten Vornahme von Vollstreckungshandlungen des Gerichtsvollziehers zur Nachtzeit und an Sonn- und Feiertagen handeln kann, wird die Zulässigkeit einer Wohnungsdurchsuchung zur Vollstreckung eines Haftbefehls (§ 758a Abs. 1 und 2 ZPO) ohne richterliche Anordnung insoweit eingeschränkt.

d) Vor allem sprechen Sinn und Zweck des § 758a ZPO für eine besondere richterliche Anordnung bei der Vollstreckung eines Haftbefehls zur Nachtzeit oder an Sonn- und Feiertagen in der Wohnung des Schuldners. Diese trägt dem Grundrecht der Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 Abs. 1 GG) Rechnung, in das nach Art. 13 Abs. 2 GG grundsätzlich nur auf Grund einer richterlicher Anordnung eingegriffen werden darf.

Bei der Vollstreckung eines Haftbefehls in der Wohnung des Schuldners zur normalen Zeit befreit § 758a Abs. 2 ZPO vom Erfordernis einer richterlichen Anordnung, weil der Haftbefehl vom Richter erlassen wurde und die Wohnung regelmäßig nur kurzfristig zur Sistierung des Schuldners betreten wird. Über den mit dem Vollzug des Haftbefehls allgemein verbundenen schwer wiegenden Eingriff in das Freiheitsrecht des Schuldners hinaus greift dessen Vollstreckung in der Wohnung zur Nachtzeit oder an Sonn- und Feiertagen zusätzlich in eine rechtlich geschützte Sphäre des Schuldners ein. Der Gesetzgeber hat - wie das LG zutreffend darlegt - mit der Regelung des § 758a Abs. 4 ZPO deutlich gemacht, dass ein Schuldner zur Nachtzeit und an Sonn- und Feiertagen gesteigert schutzwürdig ist, weil er die Nachtzeit i.d.R. zur Nachtruhe nutzt und die Sonn- und Feiertage als "Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung" (Art. 140 GG i.V.m. Art. 139 Weimarer Reichsverfassung) benötigt. Während dieser Zeiten soll der Schuldner von Vollstreckungsmaßnahmen im geschützten Bereich seiner Wohnung möglichst verschont bleiben. Unter diesen Umständen gebietet es der Zweck des § 758a Abs. 4 ZPO, die Vollziehung des vom Richter erlassenen Haftbefehls zur Nachtzeit oder an Sonn- und Feiertagen in der Wohnung des Schuldners von einer (nochmaligen) richterlichen Anordnung abhängig zu machen, damit der Richter im Einzelfall prüfen kann, ob unter Abwägung der berechtigten Interessen des Gläubigers (Art. 14 Abs. 1 GG) und derjenigen des Schuldners (Art. 13 GG) eine Vollstreckung zu den genannten Zeiten gerechtfertigt ist. Diese Frage wird vom Richter beim Erlass des Haftbefehls regelmäßig nicht geprüft.

e) Die Entstehungsgeschichte des § 758a ZPO, der durch die zweite Zwangsvollstreckungsnovelle v. 17.12.1997 (BGBl. I, 3039) in die Zivilprozessordnung eingefügt worden ist, steht der vom Senat vorgenommenen Auslegung nicht entgegen.

Der Begründung zum Gesetzentwurf des Bundesrates ist zu entnehmen, dass mit der Novelle die Zwangsvollstreckungsverfahren vereinfacht und beschleunigt, die Vollstreckungsgerichte entlastet sowie die Vorschriften über die Durchsuchung von Wohnraum an die Rechtsprechung des BVerfG zu Art. 13 GG angepasst werden sollten (vgl. BT-Drucks. 13/341, 1 [15]). Des Weiteren sollten nach diesem Entwurf Entscheidungen über die Zulässigkeit von Vollstreckungsmaßnahmen zur Nachtzeit und an Sonn- und Feiertagen (§ 761 ZPO a.F.) dem Rechtspfleger übertragen werden, soweit es sich nicht um eine Wohnungsdurchsuchung handelt (vgl. BT-Drucks. 13/341, 18). Erst im weiteren Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens wurde der Lösung der Vorzug gegeben, durch welche der Gerichtsvollzieher ermächtigt wird, nach erfolgloser Vollstreckung zur normalen Zeit diese auch zur Nachtzeit und an Sonn- und Feiertagen vorzunehmen. Deshalb wurde in § 758a ZPO ein neuer Abs. 4 eingefügt und § 761 ZPO a.F. gestrichen. Hierdurch sollte - ohne Nachteile für den Schuldner - die Durchsetzbarkeit von Vollstreckungstiteln verbessert werden und die erstrebte Entlastung der Gerichte eintreten (vgl. BT-Drucks. 13/9088, 1 [23]).

Entgegen der Meinung der Rechtsbeschwerde kann aus der Entstehungsgeschichte des § 758a ZPO indes nicht gefolgert werden, dass bei der Vollstreckung eines Haftbefehls in der Wohnung des Schuldners zur Nachtzeit und an Sonn- und Feiertagen die in § 758a Abs. 4 ZPO genannte besondere Anordnung des Amtsrichters entbehrlich ist. Zum einen ist die Entstehungsgeschichte für die Auslegung regelmäßig nur von untergeordneter Bedeutung (vgl. BVerfGE 1, 299 [312]; BVerfGE 8, 274 [307]; BVerfGE 10, 234 [244]; BVerfGE 11, 126 [129 f.]). Zum anderen wird das Ziel des Gesetzgebers auch in der Auslegung des § 758a Abs. 4 ZPO durch den Senat erreicht. Denn diese Vorschrift erlaubt im Gegensatz zur Vorgängerregelung des § 761 ZPO a.F., nach der jede Vollstreckung zur Nachtzeit und an Sonn- und Feiertagen von einer richterlichen Anordnung abhängig war, Vollstreckungshandlungen des Gerichtsvollziehers zur Nachtzeit und an Sonn- und Feiertagen außerhalb von Wohnungen ohne eine besondere richterliche Anordnung (vgl. LG Regensburg DGVZ 1999, 173; Musielak/Voit, ZPO, 3. Aufl., § 909 Rz. 23; Thomas/Putzo, ZPO, 25. Aufl., § 758a Rz. 27). Wenn diese Vollstreckungshandlungen in der Wohnung des Schuldners zu den genannten Zeiten aus den oben dargestellten Gründen einer besonderen Anordnung des Amtsrichters bedürfen, müssen die damit verbundene kurzfristige Verzögerung und der damit einhergehende relativ geringfügige Mehraufwand in Kauf genommen werden.

 

Fundstellen

Haufe-Index 1212024

BGHR 2004, 1657

EBE/BGH 2004, 3

FamRZ 2004, 1715

NJW-RR 2005, 146

JurBüro 2004, 616

WM 2004, 1884

ZAP 2005, 10

InVo 2004, 502

MDR 2004, 1379

Rpfleger 2004, 715

WuM 2004, 554

RENOpraxis 2005, 10

VE 2005, 43

ZVI 2004, 592

KammerForum 2004, 319

ProzRB 2004, 323

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