Verfahrensgang
LG Bielefeld (Urteil vom 03.12.2014) |
Tenor
1. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Bielefeld vom 3. Dezember 2014 wird verworfen.
2. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die den Nebenklägern im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes in sechs Fällen, sexuellen Missbrauchs eines Kindes in 50 Fällen, davon in sieben Fällen in Tateinheit mit Sich-Verschaffen kinderpornografischer Schriften, versuchten sexuellen Missbrauchs eines Kindes und Sich-Verschaffens kinderpornografischer Schriften in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Der Beschwerdeführer wendet sich gegen seine Verurteilung und beanstandet die Verletzung formellen und materiellen Rechts.
Rz. 2
Das Rechtsmittel ist aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 22. Mai 2015 unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. Anlass zur Erörterung gibt lediglich das Folgende:
Rz. 3
1. Im Fall II.47 der Urteilsgründe hat das Landgericht rechtsfehlerfrei eine Strafbarkeit des Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes gem. § 176 Abs. 4 Nr. 3 StGB angenommen.
Rz. 4
a) Das Landgericht hat insoweit im Wesentlichen die folgenden Feststellungen getroffen:
Rz. 5
Im Jahr 2012 oder 2013 lernte der Angeklagte in den Sommerferien über seinen Sohn auf einem Campingplatz in H. den im Jahr 2001 geborenen … S. kennen. Um ihn zu einer „Mutprobe” zu veranlassen, schrieb der Angeklagte auf einen Zettel: „Willst Du zur Clique gehören und Geld verdienen? Dann komm zur Toilette und wir massieren uns die Dinger.” Auf den Zettel schrieb der Angeklagte ferner das Angebot, im Falle einer bestimmten Dauer der Massage fünf Euro zu zahlen. Der Angeklagte rief sodann den sexuell unerfahrenen Jungen zu sich ins Auto und reichte ihm den dort deponierten Zettel. Der Junge las sich das Angebot durch. Der Angeklagte hoffte, den Jungen, mit dem er zuvor noch nie gesprochen hatte, durch das Angebot zeitnah zu einer gegenseitigen Masturbation zu veranlassen. Dieser lehnte das Angebot jedoch ab.
Rz. 6
b) Das Landgericht hat rechtsfehlerfrei angenommen, dass der Angeklagte nach dem festgestellten Sachverhalt auf ein Kind durch Schriften eingewirkt hat, um es zu sexuellen Handlungen zu bewegen (§ 176 Abs. 4 Nr. 3 StGB in der zur Tatzeit sowie zum Zeitpunkt der Urteilsverkündung geltenden Fassung), indem er dem Zeugen S. den Zettel mit der Aufforderung zum gegenseitigen Masturbieren gegen Entgelt zu lesen gab (vgl. zum damit gegebenen Einwirken BGH, Beschluss vom 22. Januar 2015 – 3 StR 490/14, NStZ-RR 2015, 139 f.).
Rz. 7
Obwohl der Gesetzgeber sich aufgrund der von sog. Chatrooms im Internet ausgehenden Gefahren zur Schaffung dieses Straftatbestandes veranlasst gesehen hat (BT-Drucks. 15/350, S. 18), stellt es schon nach dem ausdrücklichen Wortlaut der Vorschrift keine Tatbestandsvoraussetzung dar, dass der Täter abwesend ist und aus der Distanz auf ein Kind einwirkt. Der Wille des Gesetzgebers, mit diesem Straftatbestand nicht ausschließlich die regelmäßig aus der Distanz begangenen Fälle des Einwirkens über das Internet zu erfassen, ergibt sich daraus, dass in den Gesetzgebungsmaterialien auch der Anwendungsfall eines Einwirkens durch Bücher genannt wird (BT-Drucks. 15/350, S. 18). Der Senat sieht daher keine Veranlassung, im Wege der teleologischen Reduktion Sachverhalte, in denen ein körperlich anwesender Täter durch Schriften mit sexuellem Inhalt auf ein Kind einwirkt, um es zu sexuellen Handlungen zu bewegen, aus dem Tatbestand des § 176 Abs. 4 Nr. 3 StGB auszuschließen. Insbesondere mit Blick auf den Wortlaut der Vorschrift ist eine solche Auslegung auch nicht deshalb veranlasst, weil ein bloßes Einreden eines Täters auf ein Kind ohne Zuhilfenahme einer Schrift nicht unter diesen Tatbestand fällt (kritisch insoweit Fischer, StGB, 62. Aufl., § 176 Rn. 14).
Rz. 8
Nichts anderes gilt für die am 27. Januar 2015 in Kraft getretenen Neufassung der Vorschrift, nach welcher sich u.a. strafbar macht, wer auf ein Kind mittels Schriften oder mittels Informations- oder Kommunikationstechnologie einwirkt, um das Kind zu sexuellen Handlungen zu bringen. Die durch die nach Urteilsverkündung in Kraft getretene Gesetzesänderung veranlasste Prüfung gem. § 2 Abs. 3 StGB (vgl. BGH, Urteil vom 17. November 1953 – 1 StR 362/53, BGHSt 5, 208) führt zu keinem anderen Ergebnis, zumal die Neufassung der Vorschrift neben der Einwirkung durch Informations- oder Kommunikationstechnologie ausdrücklich auch weiterhin die Einwirkung durch Schriften im Tatbestand aufführt und sich der Strafrahmen nicht geändert hat.
Rz. 9
2. Auch soweit das Landgericht im Fall II.60 eine Strafbarkeit des Angeklagten wegen Sich-Verschaffens kinderpornografischer Schriften gem. § 184b Abs. 4 Satz 1 StGB angenommen hat, weist das Urteil keinen Rechtsfehler auf.
Rz. 10
a) Das Landgericht hat insoweit im Wesentlichen die folgenden Feststellungen getroffen:
Rz. 11
Im Frühsommer oder Sommer des Jahres 2013 fuhr der Angeklagte mit seinem Sohn und dessen im Jahr 2004 geborenen Schulfreund … Z. in ein Schwimmbad. Dort hielt er sich mit den Jungen u.a. im Saunabereich auf, wo er … Z. mit seinem Handy in Badebekleidung fotografierte, ohne dass es dieser bemerkte. Nach dem Schwimmbadbesuch nahm er … Z. zu sich nach Hause. Er bot dem Jungen fünf Euro an, falls dieser sich von ihm – dem Angeklagten – unbekleidet fotografieren lasse. Dies wollte … Z. jedoch nicht. Der Angeklagte erklärte daraufhin, einer seiner Freunde habe sich schon von ihm fotografieren lassen. … Z. weigerte sich jedoch weiterhin, auch als der Angeklagte sein Angebot auf zehn Euro erhöhte. Weil der Junge trotz einer energischen Ansprache in gehobener Lautstärke beharrlich widerstand, ließ der Angeklagte von dem Kind schließlich ab.
Rz. 12
b) Zutreffend hat das Landgericht die intensiven Bemühungen, den Minderjährigen dazu zu überreden, sich nackt ablichten zu lassen, als vollendetes Delikt nach § 184b Abs. 4 Satz 1 StGB ausgeurteilt.
Rz. 13
§ 184b Abs. 4 Satz 1 StGB ist als Unternehmensdelikt ausgestaltet. Es setzt das Unternehmen voraus, sich den Besitz an einer kinderpornografischen Schrift zu verschaffen, beispielsweise durch eigenhändiges Anfertigen entsprechender Fotoaufnahmen (BGH, Beschluss vom 17. Dezember 1997 – 3 StR 567/97, BGHSt 43, 366 ff.; Schönke/Schröder/Eisele, StGB, 29. Aufl., § 184b Rn. 14). Hierfür genügt gemäß § 11 Abs. 1 Nr. 6 StGB der Versuch des Sich-Verschaffens (MüKoStGB/Renzikowski, 2. Aufl., § 184b Rn. 36), hier also der Versuch, ein pornografisches Nacktbild des Kindes anzufertigen.
Rz. 14
Für die Abgrenzung zu bloßen Vorbereitungshandlungen gelten die allgemeinen Regeln (allg. Ansicht, vgl. LK-Hilgendorf, StGB, 12. Aufl., § 11 Rn. 83; MüKoStGB/Radtke, StGB, 2. Aufl., § 11 Rn. 112; Schönke/Schröder/Hecker/Eser, StGB, 29. Aufl., § 11 Rn. 43; einschränkend SK-StGB-Rudolphi/Stein, Stand Februar 2005, § 11 Rn. 41, die Versuche am untauglichen Objekt ausschließen); es ist also auf das unmittelbare Ansetzen im Sinne des § 22 StGB abzustellen (Senat, Urteil vom 1. Juni 1989 – 4 StR 135/89, NStZ 1989, 476, 477 mwN). Ein unmittelbares Ansetzen zur Tat liegt bei Handlungen des Täters vor, die nach dem Tatplan der Verwirklichung eines Tatbestandsmerkmals vorgelagert sind und im Falle ungestörten Fortgangs ohne Zwischenakte in die Tatbestandshandlung unmittelbar einmünden sollen (st. Rspr., vgl. etwa BGH, Urteil vom 20. März 2014 – 3 StR 424/13, NStZ 2014, 447, 448; BGH, Beschluss vom 11. Mai 2010 – 3 StR 105/10.A, Rn. 4). Nicht als Zwischenakte in diesem Sinne anzusehen sind Handlungen, die wegen ihrer notwendigen Zusammengehörigkeit mit der Tathandlung nach dem Plan des Täters als deren Bestandteil erscheinen, weil sie an diese zeitlich und räumlich angrenzen und mit ihr im Falle der Ausführung eine natürliche Einheit bilden; dies kann auch für ein notwendiges Mitwirken des Opfers gelten (BGH, Urteil vom 30. April 1980 – 3 StR 108/80, NJW 1980, 1759).
Rz. 15
Bei Anwendung dieser Grundsätze ist eine Verurteilung wegen des Unternehmens des Sich-Verschaffens des Besitzes an einer kinderpornografischen Schrift hier rechtlich nicht zu beanstanden. Der Angeklagte hat, indem er den Geschädigten zu sich nach Hause nahm, ihm Geld anbot, falls er sich unbekleidet und – wie sich aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe ergibt – unter Einnahme einer sexualbetonten Haltung fotografieren lasse, und nach dessen Weigerung weiter u.a. durch Erhöhen seines Angebots sowie durch energische Ansprache in gehobener Lautstärke auf ihn einwirkte, unmittelbar zum Anfertigen der Nacktbilder angesetzt. Der nach dem Tatplan notwendige Zwischenschritt des Sich-Entkleidens des Minderjährigen stellt keinen die Annahme des unmittelbaren Ansetzens ausschließenden Zwischenakt dar.
Rz. 16
3. Auch die Strafzumessung ist frei von durchgreifenden Rechtsfehlern. Im Fall II.19 der Urteilsgründe entnimmt der Senat dem Urteil, dass es sich bei der Formulierung „bei den als Sich-Verschaffen kinderpornografischer Schriften (…) anzusehenden Delikten sind als Einzelstrafen angemessen für die 2. und 23. Tat: jeweils sechs Monate” (UA 49) um ein Schreibversehen handelt und tatsächlich die Taten II.2 und II.19 gemeint sind. Die Tat II.23 betrifft ein Vergehen des sexuellen Missbrauchs eines Kindes, für das an anderer Stelle in den
Urteilsgründen bereits eine Einzelstrafe von einem Jahr und fünf Monaten festgesetzt ist (UA 48), während die Tat II.19 in der Anklageschrift als „Fall 23” bezeichnet wird (UA 12).
Unterschriften
Sost-Scheible, Roggenbuck, Cierniak, Mutzbauer, Bender
Fundstellen
Haufe-Index 8386209 |
NStZ-RR 2015, 362 |
NStZ-RR 2015, 365 |
Kriminalistik 2016, 612 |
StRR 2015, 429 |