Entscheidungsstichwort (Thema)
Aussageerpressung
Tenor
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Berlin vom 15. November 1999 wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Aussageerpressung in drei Fällen, in zwei Fällen in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt worden ist, verurteilt. Die Revision des Angeklagten ist unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. Insbesondere ist Strafverfolgungsverjährung nicht eingetreten.
I.
Im Frühjahr 1955 vernahm der Angeklagte im Range eines Oberleutnants der Hauptabteilung IX des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR mehrfach den damaligen Beschuldigten und Untersuchungsgefangenen G wegen des Vorwurfs geheimdienstlicher Tätigkeit. An zwei Tagen schlug der Angeklagte den damaligen Beschuldigten mit der offenen Hand mehrfach und heftig gegen den Kopf. Hierdurch wollte der Angeklagte erreichen, daß der Beschuldigte Vernehmungsprotokolle unterschrieb, obwohl er mit deren unrichtigem Inhalt nicht einverstanden war. Aus Schmerz und Furcht vor neuen Schlägen und durch die anstrengenden Vernehmungen physisch und psychisch erschöpft, unterschrieb der Beschuldigte schließlich die Protokolle. Er wurde aufgrund seines Geständnisses durch Urteil des Bezirksgerichts Frankfurt (Oder) vom 25. Juni 1955 wegen Spionage zu neun Jahren Zuchthaus verurteilt und befand sich in dieser Sache bis 1963 in Strafhaft.
Im Herbst 1964 oder im Jahr 1965 nahm der Angeklagte im Rang eines Majors als Abteilungsleiter in der genannten Hauptabteilung an einer von dem Zeugen B geleiteten Vernehmung des damaligen Beschuldigten und Untersuchungsgefangenen S wegen des Vorwurfs der Spionage im schweren Fall und der versuchten Republikflucht teil. Da sich der damalige Beschuldigte zunächst weigerte, eine Spionage zu gestehen und andere Personen der Spionage zu bezichtigen, drohte der Angeklagte ihm an, daß er in das sogenannte „U-Boot” in der Haftanstalt Hohenschönhausen kommen werde, wenn er nicht gestehe. Bei dem sogenannten „U-Boot” handelte es sich um einen fensterlosen, feuchten und kalten Kellerraumtrakt, dessen Türbeleuchtungen immer eingeschaltet waren. Aus Angst vor einer dortigen Unterbringung gab der damalige Beschuldigte das gewünschte Geständnis ab. Aufgrund dieses Geständnisses wurde er am 23. Dezember 1965 durch das Oberste Gericht der DDR wegen fortgesetzter Spionage im schweren Fall zu lebenslangem Zuchthaus verurteilt. Er wurde am 30. Juli 1981 in die Bundesrepublik Deutschland abgeschoben.
II.
In Fällen der Aussageerpressung gegen Beschuldigte, die politischer Straftaten nach dem Strafrecht der DDR beschuldigt wurden, hat die Verjährung in der DDR aufgrund eines quasigesetzlichen Verfolgungshindernisses geruht.
1. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hatte die Staatspraxis der DDR, Straftaten aus politischen oder sonst mit wesentlichen Grundsätzen einer freiheitlichen rechtsstaatlichen Ordnung unvereinbaren Gründen generell nicht zu verfolgen, grundsätzlich die Wirkung eines gesetzlichen Verfolgungshindernisses im Sinne des § 83 Nr. 2 StGB-DDR (vgl. – deklaratorisch – Art. 1 des [1.] Verjährungsgesetzes vom 26. März 1993, BGBl I 392). Entsprechend wird das Ruhen der Verjährung angenommen für Schüsse an der innerdeutschen Grenze, für von Angehörigen der DDR-Justiz in politischen Strafsachen begangene Rechtsbeugungen und damit tateinheitlich zusammentreffende Delikte, für vom MfS veranlaßte Verschleppungen von Bundesbürgern in die DDR, für Freiheitsberaubungen durch politische Denunziationen, für Körperverletzungen an Gefangenen durch Strafvollzugsbedienstete der DDR und für die systematische Vergabe schädlicher Dopingmittel an uneingeweihte minderjährige Sportler (BGHR StGB § 78b Abs. 1 – Ruhen 8 zusammenfassend m.N.).
2. Diese Grundsätze gelten auch für Straftaten der vorliegenden Art.
a) Zutreffend hat das Landgericht festgestellt, daß solche Taten nach dem ausdrücklichen oder mutmaßlichen Willen der Staats- und Parteiführung der DDR aus politischen Gründen nicht geahndet worden wären.
b) Alledem steht auch nicht entgegen, daß – wie von der Revision vorgetragen wird – das Stadtbezirksgericht Berlin-Lichtenberg den früheren Leiter der Kreisdienststelle Malchin des MfS am 28. Februar 1958 wegen fortgesetzter Aussageerpressung und fortgesetzter Tierquälerei zu einem Jahr und sechs Monaten Zuchthaus verurteilt hat. Sollte es sich um einen Fall mit politischem Hintergrund handeln, liegt offenbar ein besonderer Ausnahmefall vor (vgl. BGHR StGB § 78b Abs. 1 – Ruhen 2).
3. Das besonders lange Zurückliegen der beiden ersten, im Jahr 1955 begangenen Taten und das relativ geringe Maß der dabei begangenen Körperverletzungen stehen einer Anwendung der oben genannten Grundsätze nicht entgegen. Denn zum einen wurden diese Taten gegen einen hilflosen Untersuchungsgefangenen unter den Umständen einer Aussageerpressung begangen, die nach dem zur Tatzeit in der DDR geltenden § 343 RStGB mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren bedroht war. Zum anderen kann nicht außer Betracht bleiben, daß der Angeklagte sein Tatverhalten mit der dritten Tat in den Jahren 1964/1965 einschlägig fortgesetzt hat.
III.
Das Zwischenrecht (§ 243 StGB-DDR) ist nicht milder, weil es im Gegensatz zu § 343 StGB die Verhängung einer Freiheitsstrafe bei Aussetzung ihrer Vollstreckung zur Bewährung nicht ermöglicht (zur entsprechenden Situation bei der Rechtsbeugung vgl. BGHSt 41, 247, 277).
Unterschriften
Harms, Häger, Basdorf, Raum, Brause
Fundstellen
Haufe-Index 512553 |
NJ 2000, 658 |
NStZ-RR 2001, 239 |