Verfahrensgang
LG Göttingen (Urteil vom 09.01.2018) |
Tenor
1. Die Revision des Angeklagten S. gegen das Urteil des Landgerichts Göttingen vom 9. Januar 2018 wird verworfen.
Der Angeklagte S. hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
2. Auf die Revision des Angeklagten T. wird das vorgenannte Urteil hinsichtlich dieses Angeklagten im Gesamtstrafenausspruch und im Ausspruch über das Absehen von der Einbeziehung der Geldstrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Plauen vom 15. Oktober 2015 in Verbindung mit dem Strafbefehl des Amtsgerichts Plauen vom 31. August 2015 aufgehoben.
In diesem Umfang wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Die weitergehende Revision des Angeklagten T. wird verworfen.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten S. wegen Betruges in 85 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt und eine Einziehungsentscheidung getroffen. Gegen den Angeklagten T. hat es wegen Betruges in 23 Fällen eine Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und zwei Monaten verhängt. Dabei hat es die Freiheitsstrafe aus einem Urteil des Amtsgerichts Plauen vom 11. August 2016 einbezogen, hingegen von der Einbeziehung einer Geldstrafe aus einem Urteil desselben Gerichts vom 15. Oktober 2015 ausdrücklich abgesehen. Hinsichtlich beider Angeklagten hat es ferner jeweils zwei Monate der Gesamtfreiheitsstrafe wegen rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerung für vollstreckt erklärt. Gegen die Verurteilung richten sich auf die Verletzung formellen sowie sachlichen Rechts gestützten Revisionen der Angeklagten. Während das Rechtsmittel des Angeklagten S. nicht durchdringt, erzielt das des Angeklagten T. den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg. Im Übrigen ist es unbegründet nach § 349 Abs. 2 StPO.
Rz. 2
1. Die Schuldsprüche gegen die Angeklagten wegen Betruges halten rechtlicher Überprüfung stand. Näherer Erörterung bedarf über die zutreffenden Ausführungen des Generalbundesanwalts hinaus nur die Annahme des Landgerichts, die Geschädigten hätten einem durch Täuschung der Angeklagten veranlassten Irrtum im Sinne von § 263 Abs. 1 StGB unterlegen.
Rz. 3
a) Nach den Feststellungen des Landgerichts bot der Angeklagte S. in den Jahren 2012 und 2013 Kaufverträge über neue, meist hochwertige Kraftfahrzeuge mit Rabattversprechen von bis zu 30 % an. Dabei spiegelte er den Kunden vor, die Verträge nach den vereinbarten Bedingungen erfüllen oder Vorauszahlungen jedenfalls zurückzahlen zu können. Im Vertrauen darauf entrichteten Käufer in 85 Fällen bei Vertragsschluss den vollen Kaufpreis oder Abschlagszahlungen. Der höchste Rabatt (30 %) wurde bei Überweisung der Vorauszahlungen auf ein „Fahrzeugbeschaffungskonto” des Angeklagten S. versprochen. Ein etwas geringerer Rabatt wurde in Aussicht gestellt, wenn auf ein durch einen Mittäter gehaltenes „Treuhandkonto” eingezahlt würde.
Rz. 4
In Wahrheit verfügte der Angeklagte S. jedoch nicht über die notwendigen Verbindungen, um die versprochenen hohen Rabatte erzielen zu können. Entsprechend vorgefasstem Tatentschluss verwendete er die Gelder vielmehr für hochspekulative Kapitalanlagen mit dem Risiko eines – später eingetretenen – Totalverlustes, im Rahmen derer Renditen bis zu 10.000 % pro Jahr versprochen worden waren. Mit einem (geringeren) Teil der Gelder zahlte er Provisionen und finanzierte die Abwicklung anderer Verträge. Die Fähigkeit, das jeweilige Fahrzeug zum vereinbarten Preis zu liefern oder wenigstens die Anzahlung zurückzuzahlen, hing demnach davon ab, dass Erträge aus den hochriskanten Kapitalanlagen erzielt bzw. weitere Gelder von Neukunden beschafft werden könnten. Der Angeklagte T. wirkte an 23 Taten mit.
Rz. 5
b) Das Landgericht hat die Geschädigten nicht als Zeugen vernommen. Deren für die Tatbestandserfüllung erforderliche Fehlvorstellung hat es mit der Begründung angenommen, es sei lebensfremd, dass diese die Vorauszahlungen bei Kenntnis der wahren Sachlage entrichtet hätten.
Rz. 6
Hiermit hat es in der Sache Maßgaben zugrunde gelegt, die die neuere Rechtsprechung für Massenbetrugsfälle entwickelt hat. Danach ist es rechtlich nicht zu beanstanden, wenn sich das Gericht zur Feststellung des Irrtums nicht auf die Aussage eines oder mehrerer ausgewählter Zeugen stützt, sondern sich die Überzeugung vom Vorliegen betrugsrelevanter Fehlvorstellungen aufgrund äußerer Umstände und allgemeiner Erfahrungssätze verschafft (vgl. BGH, Beschluss vom 4. September 2014 – 1 StR 314/14, NStZ 2015, 98, 100; Urteile vom 22. November 2013 – 3 StR 162/13, NStZ 2014, 215, 216; vom 6. September 2017 – 5 StR 268/17, NStZ-RR 2017, 375, 376).
Rz. 7
Das gilt gerade bei normativ geprägten Vorstellungsbildern wie den vorliegenden. Die Kunden hatten die Zahlungen zweckgebunden für den Erwerb eines Neuwagens entrichtet. Die Zweckgebundenheit tritt dabei in den Fällen besonders deutlich hervor, in denen die Vorauszahlungen unter Hinnahme eines etwas geringeren Rabatts auf ein vorgebliches „Treuhandkonto” überwiesen wurden. In anderen Fällen enthielten die Vertragsunterlagen den Hinweis, dass die durch den Angeklagten S. geführten Unternehmen die „Vorfinanzierung der Fahrzeuge” übernähmen und der Kaufpreis als „Sicherheitsleistung” eingezahlt werde. Unter diesen Vorzeichen konnte es das Landgericht als ausgeschlossen ansehen, dass die Kunden sich auf das Geschäft eingelassen und die Vorauszahlungen entrichtet hätten, wenn sie gewusst hätten, dass der Angeklagte S. das Geld in hochgradig riskante Spekulationsgeschäfte zu investierten beabsichtigte und es vom Erfolg dieser Spekulationen oder von der Akquirierung immer neuer Kunden im Wege eines „Schneeballsystems” abhängen würde, ob das jeweilige Fahrzeug beschafft oder die Vorauszahlungen erstattet werden könnten.
Rz. 8
2. Der Gesamtstrafausspruch gegen den Angeklagten T. kann hingegen nicht bestehen bleiben. Der Generalbundesanwalt hat insoweit ausgeführt:
„Ausweislich der Feststellungen auf UA S. 5 f. wurde der Angeklagte rechtskräftig durch das Amtsgericht Plauen am 15. Oktober 2015 zu einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu je 30 EUR und am 11. August 2016 zu einer Freiheitsstrafe von neun Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Letztgenannte Strafe hat das Landgericht in die zu bildende Gesamtfreiheitstrafe einbezogen (vgl. UA S. 2, 49). Damit erweist sich das angefochtene Urteil in mehrfacher Hinsicht als rechtsfehlerhaft: Zum einen teilt es den Vollstreckungsstand hinsichtlich der verhängten Geldstrafe aus der Entscheidung vom 15. Oktober 2015 nicht mit. Es kann deswegen nicht beurteilt werden, ob das Landgericht überhaupt ihr gesondertes Bestehenbleiben – ungeachtet der Erforderlichkeit einer entsprechenden Tenorierung (vgl. Fischer, StGB, 65. Aufl., § 55 Rdnr. 38) – in den Urteilsgründen feststellen konnte (vgl. Senat, Beschluss vom 22. Februar 2000 – 5 StR 1/00 –, juris Rdnr. 7) und die Gesamtstrafenbildung rechtsfehlerfrei erfolgt ist. Soweit das Urteil des Amtsgerichts Plauen vom 15. Oktober 2015 nämlich bereits vollständig vollstreckt worden wäre, hätte das Landgericht derartige Feststellungen auf der Grundlage von § 53 Abs. 2 Satz 2 StGB jedenfalls nicht vornehmen dürfen. Indessen wäre für den gegenteiligen – bei noch nicht vollständig abgeschlossener Vollstreckung – Fall die Zäsurwirkung der auf die Geldstrafe lautenden Vorverurteilung nicht entfallen (vgl. Senat, Beschlüsse vom 16. April 1991 – 5 StR 156/91 –, BGHR StGB § 55 Abs. 1 Satz 1 Zäsurwirkung 9; vom 2. Juni 2010 – 5 StR 198/10 –; BGH, Urteil vom 12. August 1998 – 3 StR 537/97, BGHSt 44, 179, 184; Beschlüsse vom 21. Februar 2008 – 4 StR 666/07 –, juris Rdnr. 3; und vom 29. November 2017 – 3 StR 507/17 –, juris). Dann aber hätte die Strafe aus dem Urteil vom 11. August 2016 nicht in die zu bildende Gesamtstrafe einfließen dürfen, weil die zur Aburteilung gelangten Taten in den Jahren 2012 bis 2013 und damit bereits vor der Zäsurwirkung entfaltenden ersten Vorverurteilung vom 15. Oktober 2015 begangen wurden (vgl. UA S. 16-29). Dies würde den Angeklagten auch beschweren, weil hierdurch die für ihn vorteilhafte Bewährungssausetzung der einbezogenen neunmonatigen Freiheitsstrafe in Wegfall geraten ist.
Die Entscheidung über die neu zu bildende Gesamtstrafe kann nicht gemäß § 354 Abs. 1b StPO dem Beschlussverfahren nach §§ 460, 462 StPO überlassen werden; denn nach den vorstehenden Ausführungen steht nicht sicher fest, ob und in welcher Weise die Gesamtstrafenbildung fehlerhaft war (vgl. Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 61. Aufl., § 354 Rn. 31; Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 6. Aufl., Rdnr. 1267).
Die Kompensationsentscheidung ist rechtsfehlerfrei begründet. Da sie eine rein am Entschädigungsgedanken orientierte eigene Rechtsfolge neben der Strafzumessung darstellt, bleibt sie von der Aufhebung des Gesamtstrafenausspruchs unberührt (vgl. BGH, Urteil vom 27. August 2009 – 3 StR 250/09 –, BGHSt 54, 135, 138).”
Rz. 9
Dem tritt der Senat bei.
Unterschriften
Mutzbauer, König, Berger, Mosbacher, Köhler
Fundstellen
Haufe-Index 12042922 |
NStZ 2019, 43 |
wistra 2018, 518 |
NStZ-RR 2018, 377 |
ZRFC 2019, 42 |