Entscheidungsstichwort (Thema)
Realkredtivertrag. Haustürgeschäft. Verbraucherschutz. EuGH
Leitsatz (redaktionell)
Im Fall eines Haustürgschäfts rechtfertigt ein Kreditvertrag zur Immobilienfinanzierung keine Vorlage an den EuGH zur Überprüfung der Effektivität des Verbraucherschutzes im Rahmen des § 3 Abs. 1 HWiG.
Normenkette
HWiG § 3 Abs. 1
Tenor
Den Klägern wird als Revisionsklägern für die Revisionsinstanz Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt Prof. Dr. Dr. Gross beigeordnet, soweit das Berufungsgericht den Feststellungsantrag abgewiesen hat.
Der Kläger zu 1) hat auf die Prozesskosten ab 1.1.2004 monatlich 95 Euro und die Klägerin zu 2) ab diesem Zeitpunkt monatlich 45 Euro an die zuständige Landeskasse zu zahlen.
Im Übrigen wird der Antrag der Kläger auf Prozesskostenhilfe abgelehnt, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat.
Gründe
1. Der Antrag der Kläger auf Prozesskostenhilfe hat insoweit hinreichende Aussicht auf Erfolg, als das Berufungsgericht ihren Feststellungsantrag abgewiesen hat.
Mit ihrem Antrag begehren die Kläger die Feststellung, dass "die Beklagte keinerlei Ansprüche aus den Darlehensverträgen ...218 und ...200v. 6.11.1994 und ...342v. 30.11.1999" gegen sie hat. Diesem Antrag hätte das Berufungsgericht, da es die Darlehensverträge als nach § 1 Abs. 1 HWiG wirksam widerrufen angesehen hat, stattgeben müssen. Seine Begründung, die beklagte Bank habe mit einem den Zahlungsanspruch der Kläger aus § 3 Abs. 1, § 4 HWiG übersteigenden Rückzahlungsanspruch wirksam aufgerechnet, trägt die Abweisung des Feststellungsantrags nicht. Dieser bleibt ohne Rücksicht auf die Aufrechnung begründet.
2. Dagegen lassen die Ausführungen des Berufungsgerichts zum Bestehen des Gegenanspruchs der Beklagten entgegen der Ansicht der Kläger keine Rechtsfehler erkennen.
a) Wie der erk. Senat in den erst nach Erlass des Berufungsurteils ergangenen Entscheidungen v. 12.11.2002 (BGH v. 12.11.2002 - XI ZR 3/01, MDR 2003, 225 = BGHReport 2003, 235 = WM 2003, 61 ff.; und v. 12.11.2002 - XI ZR 47/01, BGHZ 152, 330 ff. = MDR 2003, 224 = BGHReport 2003, 186 = WM 2002, 2501 ff.) näher dargelegt hat, ist von der Bank in den Fällen des Widerrufs des Darlehensvertrages gem. § 1 Abs. 1 HWiG der Nettokreditbetrag an den Vertragspartner geleistet und von ihm nach § 3 Abs. 1 HWiG zurückzugewähren, wenn die Darlehenssumme weisungsgemäß direkt an den Wohnungsverkäufer ausgezahlt worden ist und es sich bei dem Grundstückskaufvertrag und dem Kreditvertrag nicht um ein verbundenes Geschäft handelt. In beiden Fragen entsprechen die Ausführungen des Berufungsgerichts der gefestigten Rechtsprechung des BGH.
b) Die von der Geschäftsbesorgerin namens der Kläger erteilte Weisung, die Darlehen an die Bauträgergesellschaft zu zahlen, ist der Beklagten gegenüber gem. § 172 BGB als wirksam zu behandeln.
§ 171 und § 172 BGB sowie die allgemeinen Grundsätze über die Duldungs- und Anscheinsvollmacht sind auch dann anwendbar, wenn die umfassende Bevollmächtigung des Geschäftsbesorgers - wie hier - unmittelbar gegen Art. 1 § 1 RBerG verstößt und gem. § 134 BGB nichtig ist. Die §§ 171 bis 173 BGB sowie die Regeln über die Duldungs- und Anscheinsvollmacht sind Anwendungsfälle des allgemeinen Rechtsgrundsatzes, dass derjenige, der einem gutgläubigen Dritten gegenüber zurechenbar den Rechtsschein einer Bevollmächtigung eines anderen setzt, sich so behandeln lassen muss, als habe er dem anderen wirksam Vollmacht erteilt (vgl. BGH v. 15.10.1987 - III ZR 235/86, BGHZ 102, 60 [64] = MDR 1988, 124; Urt. v. 14.5.2002 - XI ZR 155/01, BGHReport 2002, 639 = WM 2002, 1273 [1274 f.]; und v. 25.3.2003 - XI ZR 227/02, MDR 2003, 797 = BGHReport 2003, 709 = WM 2003, 1064 [1065 f.]). Dies gilt, soweit gesetzgeberische Wertungen nicht entgegenstehen, grundsätzlich ohne Rücksicht darauf, aus welchen Gründen sich die Bevollmächtigung eines anderen im konkreten Einzelfall als nichtig erweist (vgl. BGH v. 2.5.2000 - XI ZR 150/99, BGHZ 144, 223 [230] = MDR 2000, 1121; Urt. v. 22.10.1996 - XI ZR 249/95, MDR 1997, 228 = WM 1996, 2230 [2232]). Nur so kann dem Schutz des Vertragsgegners und des Rechtsverkehrs, den die allgemeine Rechtsscheinhaftung bezweckt, ausreichend Rechnung getragen werden (BGH, Urt. v. 25.3.2003 - XI ZR 227/02, MDR 2003, 797 = BGHReport 2003, 709 = WM 2003, 1064 [1065 f.]; und v. 3.6.2003 - XI ZR 289/02, BGHReport 2003, 1077 = WM 2003, 1710 [1711]). Die gegenteiligen Ausführungen der Kläger in ihrem Prozesskostenhilfegesuch enthalten keine neuen Gesichtspunkte und geben zu einer abweichenden Beurteilung keinen Anlass.
c) Das Berufungsgericht hat auch zu Recht die Voraussetzungen eines verbundenen Geschäfts verneint.
aa) Wie der erk. Senat in seinem Urt. v. 9.4.2002 (BGH v. 9.4.2002 - CI ZR 91/99, BGHZ 150, 248 [262 f.] m. w. N.) ausgeführt hat, sind nach ständiger langjähriger Rechtsprechung mehrerer Senate des BGH der Realkreditvertrag und das finanzierte Grundstücksgeschäft grundsätzlich nicht als zu einer wirtschaftlichen Einheit verbundene Geschäfte anzusehen (vgl. auch BGH, Urt. v. 21.1.2003 - XI ZR 125/02, MDR 2003, 466 = BGHReport 2003, 388 = WM 2003, 483 [484 f.]). Dem hat der Gesetzgeber Rechnung getragen, indem er in § 3 Abs. 2 Nr. 2 VerbrKrG bestimmt hat, dass die Regelungen über verbundene Geschäfte (§ 9 VerbrKrG) auf Realkredite i. S. d. § 3 Abs. 2 Nr. 2 VerbrKrG keine Anwendung finden. Für Realkredite, die dieser Vorschrift unterfallen, gilt dies angesichts des eindeutigen Wortlauts der Bestimmung ausnahmslos (BGH, Urt. v. 12.11.2002 - XI ZR 47/01, MDR 2003, 224 = BGHReport 2003, 186 = WM 2002, 2501 [2503]; und v. 15.7.2003 - XI ZR 162/00, ZIP 2003, 1741 [1743]). Das kann nur bedeuten, dass Realkreditverträge und Immobilienkaufverträge keine verbundenen Geschäfte sind. Daran hat der Gesetzgeber in Kenntnis der Entscheidungen des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften im Fall "H." v. 13.12.2001 (EuGH v. 13.12.2001 - Rs. C-481/99, WM 2001, 2434) sowie des erkennenden Senats v. 9.4.2002 (BGH v. 9.4.2002 - XI ZR 91/99, BGHZ 150, 249 [253 ff.] = BGHReport 2002, 595) im Rahmen der Schuldrechtsmodernisierung grundsätzlich festgehalten und Darlehensverträge und durch sie finanzierte Grundstückserwerbsverträge nur ausnahmsweise unter bestimmten engen Voraussetzungen als verbundene Geschäfte angesehen (§ 358 Abs. 3 S. 3 BGB).
bb) Um Realkreditverträge handelt es sich auch hier. Eine etwaige Untersicherung der Beklagten fällt grundsätzlich in ihren Risikobereich und kann nach dem Zweck des § 3 Abs. 2 Nr. 2 VerbrKrG nicht dazu führen, dass sie dem Einwendungsdurchgriff nach § 9 VerbrKrG ausgesetzt wird (BGH, Urt. v. 18.4.2000 - XI ZR 193/99, MDR 2000, 893 = WM 2000, 1245 [1247]; Beschl. v. 5.2.2002 - XI ZR 327/01, WM 2002, 588; siehe ferner Urt. v. 18.3.2003 - XI ZR 422/01, MDR 2003, 820 = BGHReport 2003, 749 = WM 2003, 916 [917]; und v. 15.7.2003 - XI ZR 162/00, ZIP 2003, 1741 [1743]).
cc) Ob es möglich ist, Realkredit- und Grundstückskaufvertrag jenseits des § 9 VerbrKrG ausnahmsweise nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) als wirtschaftliche Einheit zu behandeln, etwa wenn die kreditgebende Bank Funktionen des Verkäufers übernimmt und damit über ihre Rolle als Kreditgeberin hinausgeht (vgl. jetzt § 358 Abs. 3 S. 3 BGB), kann offen bleiben, da ein solcher Ausnahmefall nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen des Berufungsgerichts nicht vorliegt.
3. Eine Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften ist nach Auffassung des Senats nicht veranlasst.
Das LG B. hat eine Sache, in der ein Realkreditvertrag zur Finanzierung des Kaufpreises einer Eigentumswohnung auf Grund einer Haustürsituation abgeschlossen worden sein soll, ohne Aufklärung des Sachverhalts dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften mit Beschl. v. 29.7.2003 (WM 2003, 1609 ff.) vorgelegt. Seiner Ansicht nach gebietet der in der Haustürgeschäfterichtlinie verankerte Grundsatz der Effektivität des Verbraucherschutzes eine richtlinienkonforme Auslegung des § 3 Abs. 1 HWiG dahingehend, dass der Darlehensnehmer die kreditgebende Bank generell auf etwaige Ansprüche gegen den Wohnungskäufer verweisen kann. Dem ist nicht zu folgen.
Art. 7 der Richtlinie 85/577 EWG des Rates v. 20.12.1985 betreffend den Verbraucherschutz im Falle von außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen (ABl Nr. L 372/31v. 31.12.1985, "Haustürgeschäfterichtlinie") überlässt die Regelung der Rechtsfolgen des Widerrufs ausdrücklich dem "einzelstaatlichen Recht, insbesondere bezüglich der Rückerstattung von Zahlungen für Waren oder Dienstleistungen und der Rückgabe empfangener Waren". Dies hat der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in seinem zitierten "H.-Urteil" (EuGH v. 13.12.2001 - Rs. C-481/99, WM 2001, 2434 [2437]) in Kenntnis der Rückabwicklungsprobleme im Zusammenhang mit verbundenen Geschäften unter Nr. 35 mit folgenden Worten hervorgehoben: "Für alle Fälle sei hinzugefügt, dass zwar ein Kreditvertrag wie der im Ausgangsverfahren fragliche somit unter die Haustürgeschäfterichtlinie fällt, sich die Folgen eines gemäß dieser Richtlinie erfolgten etwaigen Widerrufs dieses Vertrages für den Kaufvertrag über die Immobilie und die Bestellung des Grundpfandrechts aber nach nationalem Recht richten." Dies legt den Schluss nahe, dass der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften - auch unter Beachtung der praktischen Wirksamkeit der Richtlinie (effet utile) - nicht verlangt, dass der Darlehensnehmer die direkt an den Wohnungsverkäufer ausgezahlte Darlehensvaluta im Falle eines Widerrufs des Darlehensvertrages nach der Haustürgeschäfterichtlinie nicht zurückzahlen muss, sondern er die kreditgebende Bank auf etwaige Ansprüche gegen den Wohnungsverkäufer verweisen kann. Hinzu kommt, dass die Haustürgeschäfterichtlinie keinerlei Vorschriften über verbundene Geschäfte enthält, sondern in Art. 3 Abs. 2a bestimmt, dass sie für Verträge über den Kauf von Immobilien nicht gilt. Die Richtlinie 87/102 EWG des Rates v. 22.12.1986 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedsstaaten über den Verbraucherkredit (ABl Nr. L 42/48v. 12.2.1987, "Verbraucherkreditrichtlinie") regelt in Art. 2 Abs. 1a in gleicher Weise, dass sie auf Kreditverträge nicht anwendbar ist, die hauptsächlich zum Erwerb von Eigentumsrechten an einem Grundstück bestimmt sind. Angesichts dessen erscheint es aus Sicht des Senats ausgeschlossen, dass der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften zu dem Ergebnis gelangen könnte, nach einem wirksamen Widerruf des Darlehensvertrages sei der finanzierte Wohnungskaufvertrag auch bei Nichtvorliegen eines verbundenen Geschäfts in die Rückabwicklung einzubeziehen.
Dessen ungeachtet wäre es nach deutschem Recht, dem die Haustürgeschäfterichtlinie die Regelung der Rechtsfolgen eines Widerrufs explizit überlässt, auch nicht möglich, eine abweichende Ansicht des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften im Wege richtlinienkonformer Auslegung umzusetzen. Nach der eindeutigen Regelung des § 3 Abs. 1 HWiG haben die Vertragsparteien nach einem Widerruf "die empfangenen Leistungen zurückzugewähren". Diese Rechtsfolge tritt nach geltendem Recht nur dann nicht ein, wenn der Kreditnehmer die Darlehenssumme durch Zahlung der finanzierenden Bank an den Wohnungsverkäufer nicht empfangen hat oder wenn Darlehens- und Wohnungskaufvertrag nach dem erkennbaren Willen der Vertragsparteien verbundene Geschäfte sind. Davon kann im vorliegenden Streitfall aus den dargelegten Gründen nicht ausgegangen werden.
Fundstellen
Haufe-Index 1050056 |
NJW 2004, 153 |
EWiR 2004, 251 |
MittBayNot 2004, 121 |
NZM 2003, 991 |
WM 2003, 2184 |
WuB 2004, 249 |
ZIP 2004, 406 |
ZfIR 2004, 153 |
VersR 2004, 795 |
BKR 2003, 898 |
ZBB 2003, 450 |
ZGS 2003, 476 |