Verfahrensgang
Gründe
Das Landgericht hat die Angeklagte "wegen Totschlags in Tateinheit mit Mißhandlung von Schutzbefohlenen in zwei Fällen, tateinheitlich begangen mit Verletzung der Fürsorgepflicht in zwei Fällen", zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren und sechs Monaten verurteilt. Hiergegen wendet sie sich mit ihrer auf die Sachbeschwerde gestützten Revision. Das Rechtsmittel ist zum Schuldspruch im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO unbegründet; der Strafausspruch hat hingegen keinen Bestand.
1. Nach den Feststellungen war die Angeklagte als alleinerziehende Mutter durch die Betreuung ihrer drei Kinder, die zur Tatzeit ein, zwei bzw. drei Jahre alt waren, bereits im Jahre 1995 "stark gefordert". Anfang 1996 begann sie ihre Kinder zu vernachlässigen und ließ diese schließlich mehrfach, auch über Nacht, unbeaufsichtigt. "Ab einem nicht mehr genau feststellbaren Zeitpunkt einige Tage vor dem 26.3.1996 stellte die Angeklagte auch die notwendigste Versorgung der Kinder ein. Sie kümmerte sich um die Kinder überhaupt nicht mehr. Die Kinder wurden von ihr weder mit Essen noch mit Trinken versorgt; auch wurden sie nicht mehr gewickelt. Ursächlich für dieses Unterlassen der Angeklagten waren ihre durch den bisherigen Lebensweg und die Borderline-Symptomatik geprägte Persönlichkeitsstruktur, ihr ausgeprägter Egoismus und ihre persönliche Situation seit der Trennung von dem Zeugen L.. Aus diesem Bündel von Motiven heraus stellte sie die Versorgung der Kinder vollständig ein, weil sie ihre eigenen Bedürfnisse, nämlich in den Stadtgarten zu gehen und das zu tun, was sie wollte, über das Wohl der Kinder stellte... Dabei nahm sie den Tod der Kinder spätestens ab diesem Zeitpunkt billigend in Kauf." Als sie am 26. März 1996 ihren Sohn Daniel "mit verdrehten Augen" und nicht mehr ansprechbar vorfand, wandte sie sich hilfesuchend an eine Mitbewohnerin. Ihr Sohn Daniel verstarb trotz intensivmedizinischer Betreuung an den Folgen der massiven Unterversorgung. Die beiden anderen Kinder überlebten.
2. Das Landgericht hat einen minder schweren Fall im Sinne des § 213 StGB verneint und die Strafe dem nach §§ 21, 49 StGB gemilderten Regelstrafrahmen des § 212 Abs. 1 StGB entnommen. Eine nochmalige Strafrahmenmilderung nach § 13 Abs. 2, § 49 Abs. 1 StGB hat das Landgericht abgelehnt, "weil das von der Angeklagten begangene Unrecht gerade in ihrem Unterlassen liegt. Es ist die entscheidende Pflicht einer Mutter, ihre Kinder zu versorgen" (UA 72/73).
Diese Begründung hält schon deshalb rechtlicher Überprüfung nicht stand, weil die Strafkammer damit das strafbegründende Unterlassen zugleich als Grund für die Versagung der Strafmilderung genommen hat. Das entspricht nicht der gesetzlichen Wertung des § 13 Abs. 2 StGB.
Die Frage, ob eine Strafrahmenmilderung nach § 13 Abs. 2, § 49 Abs. 1 StGB geboten ist, muß der Tatrichter in einer wertenden Gesamtwürdigung der wesentlichen unterlassungsbezogenen Gesichtspunkte prüfen; seine Auffassung hat er in einer für das Revisionsgericht nachvollziehbaren Weise darzulegen. Zu berücksichtigen sind dabei vor allem diejenigen Momente, die etwas darüber besagen, ob das Unterlassen im Verhältnis zur entsprechenden Begehungstat weniger schwer wiegt oder nicht. Dabei kommt besondere Bedeutung der Frage zu, ob die gebotene Handlung von dem Unterlassungstäter mehr verlangt als den normalen Einsatz rechtstreuen Willens (BGHR StGB § 13 Abs. 2 Strafrahmenverschiebung 1).
Diesen Anforderungen werden die Erwägungen des Landgerichts nicht gerecht. Zwar wird eine Milderung nach § 13 Abs. 2 StGB in Fällen wie dem vorliegenden grundsätzlich nur ausnahmsweise in Betracht kommen (vgl. Stree in Schönke/Schröder StGB 25. Aufl. § 13 Rdn. 64; Tröndle, StGB 48. Aufl. § 13 Rdn. 20 m.N.). Hier hat das Landgericht aber Umstände festgestellt, die den Schluß rechtfertigen, daß der Angeklagten die ordnungsgemäße Pflege und Versorgung ihrer Kinder - vor allem ihres Sohnes Daniel - namentlich aus inneren Gründen so erschwert war, daß sie ihren Pflichten nur bei größerer Willensanstrengung in vollem Umfang hätte genügen können. Insbesondere hätte es einer Erörterung der Bedeutung des bei der Angeklagten vorliegenden Krankheitsbildes, das zur Annahme einer erheblichen Verminderung ihrer Schuldfähigkeit geführt hat, für die Bewertung des Unterlassens gegenüber einem positiven Tun bedurft. Das Landgericht ist davon ausgegangen, daß die von der "Borderline-Symptomatik geprägte Persönlichkeitsstruktur" mitursächlich für das der Angeklagten anzulastende Unterlassen gewesen ist; die "schweren Beziehungsstörungen" im Verhältnis zu ihren Kindern, insbesondere im Verhältnis zu ihrem Sohn Daniel, sei eine "Konsequenz" dieser Persönlichkeitsstörung (UA 67/68), die es der Angeklagten "erschwerte ..., sich hilfesuchend an das Jugendamt zu wenden, obwohl sie die Kinder nach und nach immer mehr vernachlässigte" (UA 70). Der Senat kann nicht ausschließen, daß das Landgericht, hätte es dies bedacht, auch von der Milderungsmöglichkeit nach § 13 Abs. 2 StGB Gebrauch gemacht hätte.
Fundstellen
Haufe-Index 2993504 |
NStZ 1998, 245 |
NStZ 1998, 342 (Altvater) |