Entscheidungsstichwort (Thema)
Vergewaltigung
Tenor
I. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Zweibrücken vom 22. März 1999
mit den Feststellungen aufgehoben,
- soweit der Angeklagte in den Fällen 9 bis 25 der Urteilsgründe jeweils wegen Vergewaltigung verurteilt worden ist,
- im Ausspruch über die Gesamtfreiheitsstrafe;
- im Schuldspruch dahin geändert und neu gefaßt, daß der Angeklagte der Vergewaltigung in 21 Fällen, davon in 18 Fällen in Tateinheit mit sexuellem Mißbrauch von Kindern, der sexuellen Nötigung in Tateinheit mit sexuellem Mißbrauch eines Kindes, des sexuellen Mißbrauchs von Kindern in zwei Fällen sowie der versuchten Nötigung schuldig ist.
II. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
III. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten „der Vergewaltigung und sexuellen Nötigung in 38 Fällen, davon in 19 Fällen in Tateinheit mit sexuellem Mißbrauch von Kindern, der sexuellen Nötigung in Tateinheit mit sexuellem Mißbrauch von Kindern, des sexuellen Mißbrauchs von Kindern in 2 Fällen sowie der versuchten Nötigung” schuldig gesprochen und ihn zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Jahren verurteilt.
Mit seiner Revision rügt der Angeklagte die Verletzung sachlichen Rechts. Das Rechtsmittel hat in dem aus der Beschlußformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
1. Die Verurteilung wegen Vergewaltigung in den Fällen 9 bis 25 der Urteilsgründe hat keinen Bestand.
Nach den Urteilsfeststellungen mißbrauchte der Angeklagte seine Stiefenkeltochter Y. N. seit ihrem 12. Lebensjahr sexuell, wobei es auch zur gewaltsamen Durchführung des Geschlechtsverkehrs kam. In dem Zeitraum vom 24. September 1996, dem 14. Geburtstag Y. s, bis Januar 1998 übte der Angeklagte – abgesehen von den Fällen 4 und 5 der Urteilsgründe – weitere achtzehnmal den Geschlechtsverkehr mit ihr aus (Fälle 8 bis 25 der Urteilsgründe), wobei das Mädchen „zunächst heftige Gegenwehr” leistete, „die sie später mangels Erfolg aufgab” (UA 5/6; zum Zeitraum auch UA 13).
Diese Feststellungen tragen eine Verurteilung des Angeklagten, der jede Gewaltanwendung zur Ermöglichung des Geschlechtsverkehrs bestritten hat, wegen Vergewaltigung in den Fällen 9 bis 25 der Urteilsgründe nicht. Auch bei serienmäßig begangenen Vergewaltigungstaten – zumal über einen erheblichen Zeitraum (hier: anderthalb Jahre) hinaus – bedarf der jeweilige Einsatz des Nötigungsmittels genauer Feststellung (BGHR StPO § 267 Abs. 1 Satz 1 Mindestfeststellungen 7).
Eine Gewaltanwendung ist für die Fälle 9 bis 25 der Urteilsgründe nicht ausreichend belegt: Das Urteil teilt nicht mit, wann Y. N. ihre Gegenwehr wegen erkannter Aussichtslosigkeit aufgegeben hat und der Angeklagte somit sein Ziel ohne Gewaltanwendung erreichen konnte. Aufgrund der bisherigen Feststellungen vermag der Senat daher nicht auszuschließen, daß dies bereits nach der ersten Tat geschehen ist.
Ebensowenig hält die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte habe – soweit das Mädchen keine Gegenwehr mehr geleistet habe – jedenfalls „das Fortwirken der Gewalt ausgenutzt” (UA 13), rechtlicher Prüfung stand. Zwar kann einmal angewandte Gewalt als Drohung im Sinne des § 177 StGB fortwirken (vgl. BGHR StGB § 177 Abs. 1 Drohung 8) und dazu führen, daß das Opfer nur aus Furcht vor weiterer Gewalt keinen nennenswerten Widerstand mehr leistet. Wenn jedoch – wie hier – zwischen der Gewaltanwendung und dem späteren Geschlechtsverkehr ein längerer Zeitraum, etwa von Wochen oder sogar Monaten, liegt, kommt eine Gleichsetzung von Gewalt und Ausnutzung der Angst vor Gewalt nicht in Betracht (vgl. BGH NStZ 1986, 409; BGHSt 42, 107, 111); dies gilt um so mehr, als der Angeklagte auch in den zeitlich früheren Fällen (Fälle 2, 3 und 6 der Urteilsgründe) nie mehr als die zur Überwindung der Gegenwehr erforderliche Gewalt angewandt hat.
Wegen der teilweisen Aufhebung der Verurteilung hat auch die erkannte Gesamtfreiheitsstrafe keinen Bestand.
2. Soweit das Landgericht den Angeklagten nach der Urteilsformel wegen 19 jeweils in Tateinheit mit Vergewaltigung stehenden Fällen des sexuellen Mißbrauchs von Kindern verurteilt hat, liegt ein offensichtliches Schreibversehen vor, da die Urteilsgründe nur 18 derartige Taten enthalten (Fälle 2, 3, 6, 27 bis 41). Der Senat ändert den Schuldspruch entsprechend ab und faßt ihn zur Klarstellung insgesamt neu.
Daß das Landgericht ohne Berücksichtigung des zur Tatzeit geltenden Rechts die Einzelstrafen für sämtliche Vergewaltigungstaten § 177 Abs. 2 Satz 1 StGB i.d.F. des 6. StrRG entnommen hat, beschwert den Angeklagten hier nicht. Soweit das Landgericht zur rechtlichen Bezeichnung dieser Taten die vollständige gesetzliche Überschrift des § 177 StGB i.d.F. des 6. StrRG verwandt hat, weist der Senat darauf hin, daß der Schuldspruch bei Verwirklichung des Regelbeispiels des § 177 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StGB n.F. wegen „Vergewaltigung” ergeht (vgl. BGH NStZ 1998, 510, 511; Tröndle/Fischer StGB 49. Aufl. § 177 Rdn. 20 m.w.N.).
Unterschriften
Meyer-Goßner, Kuckein, Athing, Solin-Stojanovi[cacute], Ernemann
Fundstellen