Entscheidungsstichwort (Thema)
vorsätzliche Körperverletzung
Tenor
Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts München II vom 17. August 2000 mit Ausnahme der Feststellungen zur rechtswidrigen Tat aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Die weitergehende Revision wird verworfen.
Gründe
Obwohl gegen sie dort Hausverbot bestand, weigerte sich die stark angetrunkene Angeklagte am 16. Juli 1998 der Aufforderung einer Angestellten zum Verlassen eines Supermarkts nachzukommen. Als die Angestellte die Angeklagte deshalb in das Büro verbringen wollte, wurde sie von ihr durch Schläge und Tritte nicht unerheblich verletzt. Außerdem beschimpfte die Angeklagte sie und eine hinzu gekommene Kundin mit Ausdrücken wie „Nazischlampe” und „Kinderficker”. Das Landgericht hat die Angeklagte wegen Schuldunfähigkeit freigesprochen und ihre Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet (§ 63 StGB). Die Revision der Angeklagten hat überwiegend Erfolg.
1. Vergeblich macht die Revision allerdings geltend, die Angeklagte sei, ebenso wie bei einem früheren Hauptverhandlungstermin, der nach ärztlichem Hinweis schon vor Beginn wegen Verhandlungsunfähigkeit der Angeklagten abgesetzt worden war, bei der Hauptverhandlung verhandlungsunfähig gewesen.
Die Angeklagte war in der Hauptverhandlung ausweislich der Urteilsgründe „in einem körperlich äußerst desolaten Zustand”. Sie war fünf Tage zuvor von ihrem Mann körperlich mißhandelt worden und hatte sich seitdem „in Kneipen und beschützenden Einrichtungen” aufgehalten. Unmittelbar vor der Hauptverhandlung, zu der sie erst verspätet erschien, hatte die in hohem Maße alkoholgewohnte Angeklagte drei Halbe Bier getrunken. Gleichwohl hat sie sich, wie der Generalbundesanwalt im einzelnen zutreffend ausgeführt hat, an der Hauptverhandlung, bei der ein ärztlicher Sachverständiger anwesend war, intensiv beteiligt und dabei eine Reihe von schlüssigen Erklärungen zur Person und zur Sache abgegeben. Unter diesen Umständen hat der Senat, ebenso wie die Strafkammer, an der Verhandlungsfähigkeit der Angeklagten (vgl. BGHSt 41, 16, 18 m.w.N.) keine Zweifel (vgl. BGH NStZ 1984, 181 m.w.N.).
2. Nach sachverständiger Beratung ist die Strafkammer zu dem Ergebnis gekommen, daß die Schuldunfähigkeit der alkoholkranken (wegen Vollrauschs sechs Mal vorbestraften) Angeklagten auf einer endogenen schizo-affektiven Psychose mit (nicht näher ausgeführten) Verfolgungsideen aus dem zyklotymen Kreis in Form eines phasenartig verlaufenden hypomanischen Zustands beruhe. In manischen Phasen würden gehäuft deliktische Zuspitzungen und Alkoholexzesse mit Aggressionstendenzen auftreten. Mit weiteren gleichartigen Taten sei zu rechnen. Die Beurteilung der Angeklagten durch den Sachverständigen beruht auf einer von ihm vorgenommenen ambulanten Untersuchung der Angeklagten am 5. Oktober 1998 im Bezirkskrankenhaus T., ihrer dortigen (ebenfalls nicht näher ausgeführten) Krankengeschichte sowie der Kenntnis der Verfahrensakte und der Hauptverhandlung.
3. Die Angeklagte hatte wenige Tage vor der Hauptverhandlung mit einem von ihr selbst verfaßten, an die Strafkammer gerichteten Schreiben vom 10. August 2000 die Vernehmung der Fachärzte für Psychiatrie Dr. K. und Dr. G. als sachverständige Zeugen beantragt und zugleich Atteste dieser Ärzte vorgelegt. Wie die Revision zutreffend vorträgt, heißt es in dem Attest von Dr. K. vom 30. Mai 2000 ausdrücklich: „Zeichen einer schizo-affektiven Psychose konnte ich bei der mir seit 1992 bekannten Patientin nicht feststellen”. Ausweislich des Attestes von Dr. G. vom 8. Mai 2000 liegen bei der Angeklagten „Rezidivierende manische Episoden” sowie Alkoholabhängigkeit und eine „nivellierte Persönlichkeit” vor.
4. Die Revision rügt mit Recht, daß die Strafkammer diesen Anträgen nicht nachgegangen ist. Das Übergehen eines außerhalb der Hauptverhandlung gestellten, dort aber nicht wiederholten und daher nicht nach Maßgabe von § 244 Abs. 3 bis 6 StPO zu verbescheidenden Beweisantrags (vgl. § 219 StPO) kann je nach den Umständen des Einzelfalls eine Verletzung der Aufklärungspflicht (§ 244 Abs. 2 StPO) darstellen (BGHR StPO § 244 Abs. 2 Aufdrängen 1; vgl. auch Herdegen in KK 4. Aufl. § 244 Rdn. 49).
So verhält es sich hier.
Die (offenbar einmalige) Untersuchung der Angeklagten durch den gerichtlichen Sachverständigen lag zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung fast zwei Jahre zurück. Nach der verfahrensgegenständlichen Tat liegende Vorfälle, die – etwa im Hinblick auf aufgetretene Wahnideen – das Vorliegen einer schizo-affektiven Psychose bestätigen könnten, sind nicht festgestellt. Allerdings ergeben die Urteilsgründe, daß die Angeklagte schon 1995 wegen insgesamt drei, mit der vorliegenden vergleichbaren Tat, die sie 1993, 1994 und 1995 in jeweils betrunkenem Zustand begangen hatte, gemäß § 63 StGB untergebracht wurde, wobei die Unterbringung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Zu den Gründen dieses Urteils ist jedoch nichts mitgeteilt. Ebensowenig ist ersichtlich, wann, wie lange, aus welchen Gründen und mit welchem Ergebnis die Angeklagte in einem Bezirkskrankenhaus (oder anderswo) psychiatrisch behandelt worden ist. Unter diesen Umständen kann der Senat nicht ausschließen, daß die Strafkammer nach Anhörung der genannten Ärzte zu einem anderen Ergebnis, etwa einer Unterbringung gemäß § 64 StGB, gekommen wäre, insbesondere, nachdem vor allem Dr. K. nach offenbar jahrelanger Behandlung der Angeklagten dem vom gerichtlichen Sachverständigen gefundenen Ergebnis ausdrücklich widersprochen hat (vgl. auch BGH NStZ-RR 1996, 258). Dies führt zur Aufhebung des Maßregelausspruchs (§ 349 Abs. 4 StPO).
5. Von alledem unberührt bleiben die Feststellungen zum Tatgeschehen vom 16. Juli 1998. Da sie, wie der Generalbundesanwalt zutreffend ausgeführt hat, rechtsfehlerfrei getroffen sind, können sie bestehen bleiben (§ 349 Abs. 2 StPO).
Unterschriften
Schäfer, Wahl, Schluckebier, Hebenstreit, Schaal
Fundstellen