Verfahrensgang
LG Aachen (Urteil vom 25.06.2015) |
Tenor
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Aachen vom 25. Juni 2015 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Tatbestand
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen räuberischen Diebstahls in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit versuchter gefährlicher Körperverletzung, unter Einbeziehung der Strafe aus einer Vorverurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet.
Rz. 2
Die hiergegen gerichtete und auf die Sachrüge gestützte Revision hat in vollem Umfang Erfolg.
Rz. 3
Der Generalbundesanwalt hat in seiner Antragsschrift vom 19. Januar 2016 ausgeführt:
„I. Die den Feststellungen zugrunde liegende Beweiswürdigung begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
1. Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters, dem es obliegt, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen (§ 261 StPO). Der revisionsgerichtlichen Überprüfung unterliegt nur, ob ihm dabei Rechtsfehler unterlaufen sind. Dies ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 22. Oktober 2014 – 2 StR 92/14 –, juris, Rn. 8; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 58. Aufl., § 337 Rn. 26 ff.; Gericke, in: KK-StPO, 7. Aufl., § 337 Rn. 29, jeweils m. w. Nachw.).
2. Nach diesen Maßstäben hält die Beweiswürdigung rechtlicher Überprüfung nicht stand. Der Angeklagte hat sich zu seinen Motiven, nach verübtem Ladendiebstahl das von ihm mitgeführte Messer einzusetzen, dahingehend eingelassen, er habe im ersten Fall das Messer gezogen, als ‚draußen […] plötzlich ein Verfolger […] wie ein wildes Tier auf ihn zugelaufen’ sei, während im zweiten Fall ‚plötzlich ein Mann neben ihm gestanden’ habe, der groß, kräftig und ‚sehr aggressiv’ gewesen sei, sich ‚wie ein Verrückter’ verhalten habe und so gewirkt habe, als ob er ihn angreifen wolle. In beiden Fällen habe er ‚Angst um sein Leben’ gehabt; an den entwendeten Pullover hingegen habe er in den Momenten des Messereinsatzes nicht mehr gedacht (vgl. Bl. 13 UA). Das Landgericht hat diese Einlassung insoweit als widerlegte Schutzbehauptung angesehen, als der Angeklagte der Sache nach seine Absicht, sich durch den Messereinsatz gegen die Zeugen H. und K. im Besitz des entwendeten Pullovers zu erhalten, in Abrede gestellt hat (vgl. Bl. 10, 11, 18 ff. UA). Im Übrigen ist die Strafkammer allerdings zu der Überzeugung gelangt, dass ‚die Einlassung des Angeklagten zum Teil von seiner krankheitsbedingt verzerrten Wahrnehmung geprägt’ gewesen sei (vgl. Bl. 18 UA). Nach dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe ist damit gemeint, dass der Angeklagte die Zeugen H. und K. aufgrund seiner Erkrankung, einer schizophrenen Psychose, subjektiv – wie von ihm geschildert – als ‚erhöht bedrohlich’ wahrnahm (vgl. Bl. 12, 23 ff. UA), obwohl dafür nach dem festgestellten objektiven Geschehensablauf kein erkennbarer Anlass bestand (vgl. Bl. 9 ff., 25 f. UA). Dabei hat das Landgericht allerdings nicht bedacht, dass der Angeklagte das Verhalten der Zeugen H. und K. zwar realitätsentsprechend wahrgenommen, aber diesbezüglich vorsätzlich falsche Angaben gemacht haben könnte, um seine Schutzbehauptung, der Messereinsatz sei nicht durch Besitzerhaltungsabsicht motiviert gewesen, zu untermauern und einer Bestrafung wegen räuberischen Diebstahls zu entgehen. Eine Erörterung dieser Möglichkeit musste sich aufdrängen, weil der Angeklagte die Besitzerhaltungsabsicht, die den Messereinsatz auch ohne die Annahme krankheitsbedingter Wahrnehmungsverzerrungen plausibel zu erklären vermochte, zur Überzeugung der Strafkammer (auch subjektiv) wahrheitswidrig geleugnet, seine Beweggründe also jedenfalls insoweit vorsätzlich falsch dargestellt hat (‚Schutzbehauptung’). Hätte der Angeklagte das Verhalten der Zeugen H. und K. hingegen tatsächlich subjektiv verzerrt als ‚erhöht bedrohlich’ wahrgenommen und – wie von ihm angegeben – ‚Angst um sein Leben’ gehabt, spräche dies wiederum für die Richtigkeit seiner weiteren Einlassung, in den Momenten des Messereinsatzes nicht mehr an den entwendeten Pullover gedacht zu haben. Denn wenn sich der Angeklagte in Lebensgefahr wähnte, könnte die Abwehr dieser Gefahr durchaus das allein bestimmende Handlungsmotiv gebildet haben und der Erhalt des Besitzes an dem gestohlenen Pullover demgegenüber vollends in den Hintergrund getreten sein. Diesen Gesichtspunkt hat das Landgericht ebenfalls übergangen, obwohl sich eine Erörterung aufgrund der Angaben der Zeugen H. und K. aufgedrängt hätte (vgl. Bl. 16 f. UA: ‚psychisch auffällig und psychopathisch’, ‚seltsam und auffällig’, ‚nicht mehr Herr seiner Sinne’, ‚ungewöhnlich aggressiv’). Die Beweiswürdigung ist insofern lücken- und somit rechtsfehlerhaft, was zur Aufhebung des Schuldspruchs führt.
Entscheidungsgründe
II. Darüber hinaus tragen die (rechtsfehlerhaft) getroffenen Feststellungen weder den Schuldspruch noch belegen sie die Voraussetzungen für die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB.
1. Den Feststellungen zufolge hat der Angeklagte lediglich einen Diebstahl verübt und, auf frischer Tat betroffen, mit seinem Messer zunächst dem Zeugen H. gedroht und sodann einen Stich in Richtung des Zeugen K. geführt, um sich im Besitz des gestohlenen Pullovers zu erhalten (vgl. Bl. 9 ff. UA). Es liegt daher nur eine einheitliche Tat des schweren räuberischen Diebstahls (§§ 242 Abs. 1, 252, 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB) in Tateinheit mit versuchter gefährlicher Körperverletzung vor und nicht – wie das Landgericht angenommen hat (vgl. Bl. 20 UA) – schwerer räuberischer Diebstahl in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung.
2. Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB darf nur angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei der Begehung der Anlasstaten aufgrund eines psychischen Defekts schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung hierauf beruht (vgl. BGH, Beschluss vom 26. März 2015 – 2 StR 37/15 –, juris Rn. 4 m. w. Nachw.). Das Urteil enthält hierzu keine ausreichenden Feststellungen.
a) Die Strafkammer ist im Anschluss an das Gutachten der psychiatrischen Sachverständigen Dr. R. davon ausgegangen, dass die psychische Erkrankung des Angeklagten sich nicht bereits bei dem Diebstahl des Pullovers, sondern lediglich bei dem nachfolgenden Messereinsatz gegen die Zeugen H. und K. ausgewirkt habe. Denn dabei sei seine ‚Kritik- und Urteilsfähigkeit’ insofern beeinträchtigt gewesen, als er die Zeugen H. und K. ‚krankheitsbedingt verzerrt als erhöht bedrohlich’ wahrgenommen habe; infolge dessen sei seine Steuerungsfähigkeit erheblich vermindert gewesen (vgl. Bl. 12, 23 ff. UA).
b) Eine Beeinträchtigung kognitiver Fähigkeiten wie der ‚Kritik- und Urteilsfähigkeit’ mag zu einer Verminderung der Einsichtsfähigkeit führen, die allerdings nur dann die Anwendung von § 21 StGB rechtfertigt, wenn – wozu sich die Urteilsgründe nicht verhalten – dem Angeklagten auch tatsächlich die Unrechtseinsicht fehlte (vgl. Fischer, StGB, 63. Aufl., § 21 Rn. 3 ff. m. w. Nachw.). Inwiefern daraus eine Verminderung der Steuerungsfähigkeit, d. h. der Fähigkeit des Angeklagten, sein Verhalten nach seiner vorhandenen Einsicht in das Unrecht der Tat zu richten (vgl. Fischer, a.a.O., § 20 Rn. 4, 44 m. w. Nachw.), resultieren sollte, erschließt sich indes nicht und hätte jedenfalls näherer Darlegung bedurft.”
Rz. 4
Der Senat tritt diesen zutreffenden Ausführungen bei. Die Sache bedarf daher neuer Verhandlung und Entscheidung.
Unterschriften
Krehl, Eschelbach, Ott, Zeng, Bartel
Fundstellen
Haufe-Index 9314298 |
NStZ-RR 2017, 4 |