Verfahrensgang
LG Aurich (Urteil vom 04.02.2003) |
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Aurich vom 4. Februar 2003 aufgehoben, jedoch werden die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen und zur Schuldfähigkeit aufrechterhalten.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchter Vergewaltigung in Tateinheit mit versuchtem erpresserischem Menschenraub, mit gefährlicher Körperverletzung und mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis unter Einbeziehung von drei Einzelstrafen aus einer früheren Verurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt. Der Angeklagte rügt mit seiner Revision die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge teilweise Erfolg.
Nach den Feststellungen wollte sich der Angeklagte in den Besitz eines Fahrzeugs bringen. Sein Plan sah vor, an geeigneter Stelle zu warten, bis ein Pkw-Fahrer ein Fahrzeug aufgeschlossen hatte, diese Person sodann unter Vorhalt eines Messers in seine Gewalt zu bringen, sich des Pkw und der Person zu bemächtigen und mit dem Pkw fort zu fahren. Weiter sollte das Opfer nach dem Vorhaben des Angeklagten gefesselt und an einsamer Stelle ausgesetzt werden, um ein rasches Herbeiholen von Hilfe zu verhindern.
Hierzu lauerte der Angeklagte auf einem Krankenhausparkplatz einem geeigneten Opfer auf. Als die 20jährige Schwesternschülerin K. sich in ihr dort abgestelltes Fahrzeug gesetzt und den Zündschlüssel ins Schloß gesteckt hatte, riß der Angeklagte die Fahrertür auf und drängte sie auf den Beifahrersitz. Sodann zwang er sein Opfer unter Vorhalt des Messers, den Kopf nach vorne zwischen die Knie zu beugen. Angesichts der Drohungen mit dem Messer verharrte sie in dieser Stellung, während der Angeklagte mit dem Pkw zu einem Feldweg in einem Moorgebiet fuhr. Obgleich er sein Messer zwischenzeitlich verloren hatte, kam die Geschädigte seinen Aufforderungen angesichts der erlebten Drohungen nach und ließ sich mit einem mitgeführten Klebeband fesseln. Spätestens jetzt faßte er den Entschluß, mit ihr den Geschlechtsverkehr auszuführen. Als er versuchte, der vor ihm liegenden Zeugin die Beine auseinanderzudrücken, wehrte sich diese. In dem Handgemenge gelang es dem Opfer zu fliehen.
I. Der Schuldspruch hält rechtlicher Überprüfung nicht stand. Die Voraussetzungen eines (versuchten) erpresserischen Menschenraubs sind nicht dargetan. Das Landgericht hat den Tatbestand eines versuchten erpresserischen Menschenraubs nach § 239 a Abs. 1 StGB ohne jede nähere Subsumtion pauschal bejaht, wobei zunächst unklar bleibt, welche der beiden rechtlich unterschiedlich ausgestalteten Tatbestandsalternativen des § 239 a Abs. 1 StGB (Sichbemächtigen in Erpressungsabsicht – jedenfalls insofern hätte im übrigen die Annahme eines vollendeten Delikts nahegelegen – oder Ausnutzen einer Bemächtigungslage zu einer Erpressung) es als versucht angesehen hat. Für beide Alternativen sind indes die rechtlichen Voraussetzungen dem festgestellten Sachverhalt nicht zu entnehmen.
1. Nach § 239 a Abs. 1 Alt. 1 StGB (Sichbemächtigen in Erpressungsabsicht) muß der Täter zugleich mit dem Entführen oder Sichbemächtigen die Absicht haben, die Sorge des Opfers um sein Wohl zu einer Erpressung auszunutzen. Dabei ist ein funktionaler Zusammenhang zwischen dem ersten Teilakt des Entführens oder Sichbemächtigens und dem zweiten Teilakt der angestrebten Erpressung erforderlich (vgl. BGHSt 40, 350, 355; BGH NStZ 2002, 31; BGH, Urt. vom 5. März 2003 – 2 StR 494/02). Nach den Feststellungen hat der Angeklagte das Opfer entführt, um es an einsamer Stelle gefesselt auszusetzen und so an der Herbeiholung rascher Hilfe zu hindern. Da er bereits zu Beginn der Entführungshandlung den erstrebten Besitz am Pkw erlangt hatte, bleibt unklar, worin die Strafkammer die beabsichtigte Erpressung gesehen hat, insbesondere zu welcher Vermögensverfügung das Opfer dann noch gezwungen werden sollte.
2. Für die weitere Alternative des § 253 Abs. 1 StGB (Ausnutzen einer Bemächtigungssituation zu einer Erpressung) fehlt es an jeglichem Anhalt.
II. Dieser Rechtsfehler führt zur Aufhebung des Schuldspruchs insgesamt, da es sich bei dem abgeurteilten Geschehen um eine Tat handelt und das Landgericht zu Recht davon ausgegangen ist, daß die übrigen festgestellten Straftatbestände in Tateinheit verwirklicht worden sind. Eine Umstellung des Schuldspruchs auf die verbleibenden Delikte durch das Revisionsgericht kann nicht erfolgen, weil nach Sachlage eine Verurteilung wegen Geiselnahme nach § 239 b StGB in Betracht kommt (vgl. Abschnitt III.).
Dagegen können die für sich rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zum äußeren Sachverhalt und zur Frage der Schuldfähigkeit bestehen bleiben. Der Senat kann ausschließen, daß anderweitige Feststellungen des neuen Tatrichters zu den vom Angeklagten verfolgten Absichten eine andere Beurteilung seiner Schuldfähigkeit bedingen könnten. Der neue Tatrichter ist nicht gehindert, ergänzende, dazu nicht in Widerspruch stehende Feststellungen zu treffen.
III. Für die neue Hauptverhandlung gibt der Senat folgende Hinweise:
1. Der neue Tatrichter wird zunächst neu zu prüfen haben, welche Absichten der Angeklagte bei der „Kaperung” des Pkw und der Entführung der Geschädigten hatte. Dabei wird er die auffälligen Parallelen zu dem Tatgeschehen, das dem Urteil des Landgerichts Bremen vom 15. Februar 1995 zugrunde liegt, ebenso zu bedenken haben wie das Fehlen einer nachvollziehbaren Erklärung dafür, wozu der Angeklagte das Fahrzeug verwenden wollte.
Sollte er hierbei zur Überzeugung kommen, daß der Angeklagte von vornherein sexuelle Absichten verfolgte und daß in dem Vorhalten des Messers eine konkludente Drohung mit Erstechen zu sehen ist, kommt eine Verurteilung wegen Geiselnahme nach § 239 b Abs. 1 Alt. 1 StGB in Betracht (Sichbemächtigen in der Absicht, zu sexuellen Handlungen zu nötigen, vgl. BGHSt 40, 350).
2. Sollte dagegen wiederum festgestellt werden, daß der Angeklagte zunächst keine sexuellen Absichten hatte, sondern lediglich den Pkw besitzen wollte, wird die zweite Alternative des § 239 b Abs. 1 StGB zu prüfen sein (Ausnutzen einer Bemächtigungslage zur Nötigung zu sexuellen Handlungen, vgl. BGH NStZ 2002, 317).
In diesem Fall wird ferner nach den Kriterien der Rechtsprechung zu prüfen sein, ob er das Fahrzeug lediglich unbefugt gebrauchen oder es sich zueignen wollte (vgl. dazu Tröndle/Fischer, StGB 51. Aufl. § 242 Rdn. 38 ff.). Bei der ersten Möglichkeit käme besonders schwere räuberische Erpressung nach §§ 253, 255, 250 Abs. 3 Nr. 1 StGB und bei der zweiten besonders schwerer Raub nach § 250 Abs. 3 Nr. 1 StGB in Betracht.
3. Bei der Aburteilung der versuchten Vergewaltigung wird zu berücksichtigen sein, daß der Angeklagte nach den Feststellungen ein mitgeführtes Klebeband zur Fesselung verwendet hat, um der Geschädigten einen Widerstand unmöglich zu machen. Dies erfüllt die Voraussetzungen einer versuchten schweren Vergewaltigung nach § 177 Abs. 1, 2, 3 Nr. 2, § 22 StGB (Verwenden eines Mittels zur Verhinderung des Widerstandes, vgl. BGHR StGB § 177 Abs. 3 Nr. 2 Werkzeug 1).
Unterschriften
Tolksdorf, Miebach, Winkler, Pfister, von Lienen
Fundstellen
Haufe-Index 2558868 |
NStZ-RR 2003, 328 |