Verfahrensgang
LG Bonn (Urteil vom 31.10.2019; Aktenzeichen 790 Js 141/18 22 KLs 4/19) |
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bonn vom 31. Oktober 2019
- im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte des sexuellen Missbrauchs einer Jugendlichen in zwei Fällen und der Vergewaltigung schuldig ist;
- mit den zugehörigen Feststellungen im Ausspruch über die im Fall II. 3. der Urteilsgründe verhängte Einzelstrafe und im Gesamtstrafenausspruch aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere als Jugendschutzkammer zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs einer Jugendlichen in drei Fällen, davon in einem Fall „in Tateinheit mit sexuellem Übergriff” zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten, mit der die Verletzung sachlichen Rechts gerügt wird, hat in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
Rz. 2
1. Die auf die Sachrüge veranlasste umfassende Prüfung des angefochtenen Urteils hat zu den Schuld- und Strafaussprüchen in den Fällen II. 1. und II. 2. der Urteilsgründe keinen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler ergeben.
Rz. 3
2. Der Schuldspruch im Fall II. 3. der Urteilsgründe hält hingegen sachlich-rechtlicher Prüfung nicht stand.
Rz. 4
a) Das Landgericht hat – soweit hier von Belang – folgende Feststellungen getroffen:
Rz. 5
aa) Der zur Tatzeit 28 Jahre alte Angeklagte lernte die sexuell gänzlich unerfahrene Nebenklägerin wenige Tage nach ihrem 14. Geburtstag am 9. Februar 2017 kennen. Am 18. Februar 2017 kam es in der vom Angeklagten genutzten Wohnung zum ersten vaginalen Geschlechtsverkehr, zwei bis drei Wochen später zum ersten Analverkehr. In beiden Fällen konnte sich die Nebenklägerin, die in ihrer Beziehung zum Angeklagten u.a. aufgrund des erheblichen Altersunterschieds und fehlender sexueller Erfahrungen zu einem selbstbestimmten sexuellen Verhalten nicht in der Lage war, des unnachgiebig, zielgerichtet und manipulativ agierenden Angeklagten nicht erwehren.
Rz. 6
bb) An einem nicht mehr bestimmbaren Tag zwischen dem 12. März und dem 14. April 2017 trafen sich der Angeklagte und die Nebenklägerin abermals in der vom Angeklagten bewohnten Wohnung. Das Ansinnen des Angeklagten auf erneuten Analverkehr lehnte die Nebenklägerin zunächst ab. Der Angeklagte redete wiederholt auf sie ein und versuchte sie zu überreden. Die Geschädigte war angesichts ihrer altersbedingten Unreife und der unnachgiebigen Einwirkungen des Angeklagten „von der Situation schließlich komplett überfordert” und erklärte sich schließlich zum Analverkehr mit dem Angeklagten bereit.
Rz. 7
Der Angeklagte drang sodann mit seinem Penis anal in die vor ihm knieende Geschädigte ein, was ihr Schmerzen bereitete. Die Nebenklägerin, die wegen der Schmerzen den Analverkehr abbrechen wollte, sagte zum Angeklagten „laut und energisch […]: ‚Stopp! Stopp!’”. Der Angeklagte setzte sich jedoch bewusst über den entgegenstehenden – von ihm wahrgenommenen – Willen der Nebenklägerin hinweg, und setzte den Analverkehr bis zum Samenerguss fort (Fall II. 3. der Urteilsgründe).
Rz. 8
b) Die Wertung des Landgerichts, das Verhalten im Fall II. 3. der Urteilsgründe erfülle das Regelbeispiel der Vergewaltigung gemäß § 177 Abs. 6 Satz 2 Nr. 1 StGB, ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Allerdings hätte die Strafkammer die vom Angeklagten begangene Tat im Schuldspruch selbst dann als „Vergewaltigung” bezeichnen müssen, wenn sie – wie hier – im Hinblick auf besondere Milderungsgründe einen besonders schweren Fall verneint und die Strafe dem Grundtatbestand des § 177 Abs. 1 StGB entnimmt (vgl. etwa Senat, Beschlüsse vom 18. April 2007 – 2 StR 113/07, NStZ 2007, 478, und vom 26. September 2003 – 2 StR 321/03, juris Rn. 4; BGH, Urteil vom 7. März 2002 – 3 StR 6/02, NStZ 2002, 555).
Rz. 9
c) Der tateinheitlich angenommene sexuelle Missbrauch einer Jugendlichen begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
Rz. 10
aa) Die Strafbarkeit nach § 182 Abs. 3 Nr. 1 StGB setzt u.a. voraus, dass der Täter die fehlende Fähigkeit des Opfers zur sexuellen Selbstbestimmung kennt und ausnutzt. Ob dies der Fall ist, bedarf der konkreten Feststellung in jedem Einzelfall (vgl. BGH, Urteil vom 16. November 2017 – 3 StR 83/17, NStZ-RR 2018, 75; Senat, Beschluss vom 23. Januar 2008 – 2 StR 555/07, BGHR StGB § 182 Abs. 2 Selbstbestimmungsfähigkeit 1). Die erforderliche Gesamtbewertung aller objektiven Indiztatsachen (vgl. BGH, Urteil vom 16. November 2017 – 3 StR 83/17, NStZ-RR 2018, 75, 76), die für bzw. gegen das Fehlen der Fähigkeit der Nebenklägerin zur sexuellen Selbstbestimmung sprechen können, hat die Strafkammer zwar rechtsfehlerfrei vorgenommen.
Rz. 11
bb) Hingegen hat das Landgericht im Fall II. 3. der Urteilsgründe mit Blick auf den vom Angeklagten in Abrede gestellten Tatvorsatz nicht hinreichend bedacht, dass die nicht mehr genau datierbare Tat im Zweifel zugunsten des Angeklagten innerhalb des zugrunde gelegten Tatzeitraumes erst am 14. April 2017 begangen worden ist, mithin etwa zwei Monate nach Beginn der Beziehung zu der Nebenklägerin, in der es zu regelmäßigen Treffen und sexuellen Handlungen gekommen war. Dieser Gesichtspunkt hat die Strafkammer u.a. dazu bewogen, weitere sechs angeklagte Taten gemäß § 154 Abs. 2 StPO einzustellen, weil „mit Voranschreiten der Beziehung zwischen dem Angeklagten und der Zeugin … B. und den wiederholten gemeinsamen sexuellen Handlungen der Angeklagte zumindest subjektiv davon ausgehen durfte, dass die Zeugin ab einem gewissen Zeitpunkt ihm gegenüber zur sexuellen Selbstbestimmung fähig war”. Für Fall II. 3. der Urteilsgründe gilt diese Erwägung jedoch ebenfalls, zumal das Landgericht keine weiteren für einen Vorsatz sprechenden Indizien gerade zu diesem Tatzeitpunkt hat feststellen können.
Rz. 12
Da weitere Feststellungen zur subjektiven Tatseite im Fall II. 3. der Urteilsgründe nicht mehr zu erwarten sind, ändert der Senat den Schuldspruch in analoger Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO entsprechend ab.
Rz. 13
3. Die Schuldspruchänderung im Fall II. 3. der Urteilsgründe führt zur Aufhebung der Einzelstrafe, da die Strafkammer dem Umstand, dass der Angeklagte „tateinheitlich zwei Delikte verwirklicht” hat, strafschärfende Bedeutung beigemessen hat. Die Aufhebung der verhängten Einsatzstrafe von einem Jahr und sechs Monaten zieht die Aufhebung des Ausspruchs über die Gesamtstrafe nach sich.
Unterschriften
Franke, Krehl, Eschelbach, Zeng, Meyberg
Fundstellen
Haufe-Index 14045038 |
NStZ-RR 2020, 313 |
NStZ-RR 2021, 3 |
HRRS 2020, 380 |