Verfahrensgang
LG Bielefeld (Urteil vom 20.12.2002) |
Tenor
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Bielefeld vom 20. Dezember 2002 wird als unbegründet verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit sexuellem Mißbrauch einer Schutzbefohlenen in fünf Fällen, wegen sexuellen Mißbrauchs eines Kindes in zwei Fällen sowie wegen Mißhandlung einer Schutzbefohlenen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Jahren verurteilt. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt.
Das Rechtsmittel hat aus den in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts genannten Gründen keinen Erfolg. Der Erörterung bedarf nur die Verfahrensrüge, mit der ein Verstoß gegen §§ 59, 64 StPO gerügt wird, weil der Zeuge T. S. nach seiner zweiten Vernehmung ohne entsprechende Entscheidung unvereidigt geblieben ist.
Der Zulässigkeit der Rüge steht nicht entgegen, daß es der Beschwerdeführer unterlassen hat, gemäß § 238 Abs. 2 StPO eine Entscheidung des Gerichts über die Vereidigungsfrage herbeizuführen (vgl. BGH StV 1992, 146; NStZ-RR 1997, 302).
Die Verfahrensrüge greift jedoch nicht durch. Die Revision beanstandet zwar zu Recht, daß nach der zweiten Vernehmung des Zeugen T. S. keine Entscheidung über seine Vereidigung ergangen ist; dies wird durch das Verhandlungsprotokoll bewiesen, in dem lediglich mitgeteilt wird, daß der Zeuge im allseitigen Einverständnis entlassen wurde.
1. Ein Verstoß gegen § 59 StPO liegt dennoch nicht vor, weil die Vereidigung des Zeugen zu Recht unterblieben ist, da ihr ein Vereidigungsverbot nach § 60 Nr. 2 StPO entgegenstand.
Der Zeuge T. S. war in derselben Hauptverhandlung bereits abschließend vernommen und im allseitigen Einverständnis unvereidigt entlassen worden. In dieser Vernehmung hatte er den Angeklagten unter anderem dadurch zu entlasten versucht, daß er behauptete, die Vernehmungsbeamtin habe seine Angaben bei seiner polizeilichen Vernehmung bewußt falsch und unvollständig protokolliert. In seiner zweiten Vernehmung in der Hauptverhandlung blieb er auch nach Vorhalt der Bekundungen der Vernehmungsbeamtin, die zwischenzeitlich eidlich vernommen worden war, bei seiner in der ersten Vernehmung gemachten Aussage. Das Gericht hat dem Zeugen nicht geglaubt. Es war vielmehr, wie sich aus den Urteilsgründen ergibt [UA 43, 41], der Ansicht, daß der Zeuge bei beiden Vernehmungen in der Hauptverhandlung zugunsten des Angeklagten falsch ausgesagt hat, um dessen Bestrafung zu vereiteln.
Weil jedenfalls nach der eidlichen Vernehmung der ermittelnden Polizeibeamtin der Verdacht einer versuchten Strafvereitelung durch die erste Falschaussage des Zeugen T. S. bestand, hätte das Gericht bei der Entscheidung über die Vereidigung des Zeugen nach der zweiten Vernehmung das Vereidigungsverbot nach § 60 Nr. 2 StPO beachten müssen. Die Anwendung dieser Vorschrift ist nicht auf den Verdacht einer vor der Hauptverhandlung begangenen (versuchten oder vollendeten) Strafvereitelung oder Begünstigung beschränkt; sie umfaßt vielmehr auch den Fall, daß eine solche Tat durch eine in einem früheren Termin derselben Hauptverhandlung begangen worden ist, wenn der Zeuge in jenem Termin abschließend vernommen und nach Entscheidung über seine Vereidigung entlassen worden ist (vgl. BGHSt 34, 68 f.; Senge in KK 5. Aufl. § 60 Rdn. 24). Auch die Tatsache, daß der Zeuge T. S. wegen der versuchten Strafvereitelung nach § 258 Abs. 6 StGB straffrei bleibt, weil er die Tat zugunsten seines Stiefvaters begangen hat, ist in diesem Zusammenhang unbeachtlich, da persönliche Strafausschließungsgründe das Vereidigungsverbot des § 60 Nr. 2 StPO grundsätzlich unberührt lassen (vgl. Senge aaO § 60 Rdn. 20 m.w.N.).
2. Auf eine Verletzung des § 64 StPO kann sich der Beschwerdeführer ebenfalls nicht erfolgreich berufen.
Zwar hat das Landgericht, indem es nach der zweiten Vernehmung des Zeugen T. S. keine Vereidigungsentscheidung getroffen hat, den Angeklagten nicht darüber unterrichtet, aus welchen Gründen die Vereidigung unterblieben ist. Das Urteil beruht jedoch nicht auf diesem Mangel, da das Vereidigungsverbot des § 60 Nr. 2 StPO schon in der Hauptverhandlung erkennbar war (vgl. Meyer-Goßner StPO 46. Aufl. § 64 Rdn. 3 m.w.N.). Durch die von Amts wegen vorgenommene wörtliche Protokollierung der Angaben des Zeugen in seiner zweiten Vernehmung, die in den wesentlichen Punkten denen in seiner ersten Vernehmung entsprachen, war für die Verfahrensbeteiligten ersichtlich, daß das Gericht diesen Bekundungen keinen Glauben schenkte. Nach § 273 Abs. 3 Satz 1 StPO erfolgt die wörtliche Protokollierung einer Aussage nur dann, wenn es auf deren Wortlaut ankommt. Dabei kann sich das Interesse an der Feststellung sowohl auf das laufende als auch auf ein anderes (auch künftiges) Verfahren beziehen (Meyer-Goßner aaO § 273 Rdn. 21, 23). Hier erfolgte die wörtliche Protokollierung im Hinblick auf ein späteres Ermittlungsverfahren gegen den Zeugen wegen falscher uneidlicher Aussage. Nach dem Aussageinhalt und den Vorhalten aus der Vernehmung der zu demselben Fragenkomplex gehörten Polizeibeamtin war für die Verfahrensbeteiligten erkennbar, daß das Gericht davon ausging, der Zeuge habe in seiner ersten, abgeschlossenen Vernehmung falsch ausgesagt, um eine Bestrafung des Angeklagten zu verhindern. Damit war auch der Grund der Nichtvereidigung zu ersehen, so daß der Angeklagte sein Prozeßverhalten darauf einrichten konnte.
Unterschriften
Tepperwien, Kuckein, Athing, Solin-Stojanović, Ernemann
Fundstellen
Haufe-Index 2559040 |
NStZ 2004, 97 |