Verfahrensgang
LG Paderborn (Urteil vom 15.12.2017) |
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Paderborn vom 15. Dezember 2017 mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Hinsichtlich der Tat II.1 der Urteilsgründe (Anklage der Staatsanwaltschaft Bielefeld – … – vom 11. September 2014) wird die Sache an das Amtsgericht – Strafrichter – Bielefeld zurückgegeben; in diesem Umfang fallen die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten der Staatskasse zur Last.
3. Im Übrigen wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die verbleibenden Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Tatbestand
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten freigesprochen und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Hiergegen richtet sich die mit der nicht ausgeführten Sachrüge begründete Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel hat Erfolg.
I.
Rz. 2
Nach den Feststellungen schlug und trat der Angeklagte, der an einer hebephrenen Schizophrenie leidet und sich bereits von März 1999 bis Mai 2002 im Maßregelvollzug in einem psychiatrischen Krankenhaus befand, im Zeitraum von Juni 2013 bis Juni 2016 in drei Fällen jeweils auf andere Personen ein. In zwei weiteren Fällen versuchte er, andere körperlich durch Schläge bzw. einen Kopfstoß anzugreifen. Schließlich durchtrennte er ein Fahrradschloss mit einem Seitenschneider und nahm das Fahrrad an sich, ließ es aber im Zuge der nachfolgenden Flucht zurück. Die Fähigkeit des Angeklagten, das Unrecht seines Tuns einzusehen, war bedingt durch die hebephrene Schizophrenie bei allen Taten jedenfalls erheblich vermindert im Sinne des § 21 StGB, möglicherweise auch vollständig aufgehoben.
Entscheidungsgründe
II.
Rz. 3
Hinsichtlich der Tat II.1 der Urteilsgründe hat das angefochtene Urteil schon deshalb keinen Bestand, weil das Landgericht insoweit für die Entscheidung nicht zuständig war. Dieser Mangel ist vom Revisionsgericht von Amts wegen zu beachten (vgl. BGH, Beschlüsse vom 22. November 2017 – 4 StR 306/17 Rn. 4 f.; vom 1. Dezember 2005 – 4 StR 426/05, NStZ-RR 2006, 85 [Ls.]).
Rz. 4
Das Landgericht Paderborn hat das beim Amtsgericht – Strafrichter – Bielefeld gegen den Angeklagten aufgrund der Anklage der Staatsanwaltschaft Bielefeld vom 11. September 2014 anhängige und durch Beschluss vom 16. Mai 2017 eröffnete Verfahren gegen den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung nach Vorlage durch das Amtsgericht mit Beschluss vom 10. Juli 2017 übernommen und zu dem beim Landgericht anhängigen Verfahren hinzuverbunden. Dieser Verbindungsbeschluss ist unwirksam, weil er nicht von dem hierfür gemäß § 4 Abs. 2 StPO zuständigen Gericht erlassen worden ist. Die Verbindung von Strafsachen, die nicht nur die örtliche, sondern auch die sachliche Zuständigkeit betrifft, kann nicht durch Vereinbarung der beteiligten Gerichte, sondern in Fällen, in denen – wie hier – die verschiedenen Gerichte nicht alle zu dem Bezirk des ranghöheren gehören, nur durch Entscheidung des gemeinschaftlichen oberen Gerichts (§ 4 Abs. 2 Satz 2 StPO) herbeigeführt werden (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 22. November 2017 – 4 StR 306/17 aaO; vom 11. Juli 2013 – 3 StR 166/13, NStZ-RR 2013, 378; vom 26. Juli 1995 – 2 StR 74/95, BGHR StPO § 4 Verbindung 9). Gemeinschaftliches oberes Gericht für das zum Landgerichtsbezirk Bielefeld gehörende Amtsgericht Bielefeld und das Landgericht Paderborn ist das Oberlandesgericht Hamm. Infolge der Unwirksamkeit des Verbindungsbeschlusses ist das zum Amtsgericht – Strafrichter – Bielefeld angeklagte Verfahren dort rechtshängig geblieben. Der Senat gibt die Sache insoweit in entsprechender Anwendung des § 355 StPO an das Amtsgericht – Strafrichter – Bielefeld zurück.
III.
Rz. 5
Die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus hält einer rechtlichen Prüfung nicht stand, weil die Ausführungen des angefochtenen Urteils nicht belegen, dass die Anlasstaten im Zustand verminderter Schuldfähigkeit gemäß § 21 StGB begangen wurden.
Rz. 6
1. Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB darf nur angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei Begehung der Anlasstat aufgrund eines psychischen Defekts schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung auf diesem Zustand beruht.
Rz. 7
2. Nimmt der Tatrichter – wie hier – eine erheblich verminderte Einsichtsfähigkeit des Täters an, so muss er darüber befinden, ob diese zum Fehlen der Unrechtseinsicht geführt oder ob der Täter gleichwohl das Unrecht der Tat eingesehen hat. Denn eine verminderte Einsichtsfähigkeit ist strafrechtlich erst dann von Bedeutung, wenn sie das Fehlen der Einsicht zur Folge hat. Nur unter dieser Voraussetzung führt eine verminderte Einsichtsfähigkeit – je nachdem, ob das Fehlen der Einsicht dem Täter zum Vorwurf gereicht – zur Anwendung von § 20 StGB oder § 21 StGB. Sieht der Täter dagegen trotz seiner erheblich verminderten Einsichtsfähigkeit das Unrecht seines Tuns tatsächlich ein, handelt er in vollem Umfang schuldhaft (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 5. Juli 2016 – 4 StR 215/16, NStZ-RR 2016, 271 [Ls.]; vom 17. April 2014 – 2 StR 405/12, BGHR StGB § 20 Einsichtsfähigkeit 4; vom 20. November 2012 – 1 StR 504/12, BGHR StGB § 63 Schuldunfähigkeit 5; Urteile vom 13. November 1990 – 1 StR 514/90, BGHR StGB § 20 Einsichtsfähigkeit 3; vom 2. Februar 1966 – 2 StR 529/65, BGHSt 21, 27, 28). Dass dem Angeklagten bei den vollendeten und versuchten Körperverletzungen und dem versuchten Diebstahl jeweils die Einsicht in das Unrecht seines Handelns tatsächlich fehlte, hat die Strafkammer nicht festgestellt. Zu der Frage der Steuerungsfähigkeit verhalten sich die Urteilsgründe weder im Rahmen der Feststellungen noch bei den Erwägungen zur Beweiswürdigung. Soweit bei den Ausführungen zur Gefährlichkeitsprognose an einer Stelle von der Verminderung der Einsichts- und Steuerungsfähigkeit die Rede ist, fehlen zu letzterem jegliche näheren Darlegungen.
Rz. 8
3. Auch im Übrigen begegnen die Ausführungen zur verminderten Schuldfähigkeit des Angeklagten durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
Rz. 9
Die Diagnose einer Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis führt für sich genommen nicht zur Feststellung einer generellen oder zumindest längere Zeiträume überdauernden gesicherten erheblichen Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit. Erforderlich ist vielmehr stets die konkretisierende Darlegung, in welcher Weise sich die festgestellte psychische Störung bei Begehung der Tat auf die Handlungsmöglichkeiten des Angeklagten in der konkreten Tatsituation und damit auf die Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat (st. Rspr.; vgl. Beschlüsse vom 12. Oktober 2016 – 4 StR 78/16, StV 2017, 588; vom 23. August 2012 – 1 StR 389/12, NStZ 2013, 98; vom 24. April 2012 – 5 StR 150/12, NStZ-RR 2012, 239; vom 29. Mai 2012 – 2 StR 139/12, NStZ-RR 2012, 306, 307). Feststellungen dazu, ob und in welcher Weise die hebephrene Schizophrenie des Angeklagten Auswirkungen auf die Begehung der einzelnen festgestellten Taten hatte, hat das Landgericht nicht getroffen. Die von der Strafkammer allein mitgeteilte, nicht näher konkretisierte gutachterliche Einschätzung des psychiatrischen Sachverständigen, wonach der Angeklagte bei zwischenmenschlichen Konflikten zu raptusartigen, aggressiven Ausbrüchen neige, ist nicht geeignet, eine Beeinflussung der von dem Angeklagten begangenen Taten durch dessen psychotische Erkrankung tragfähig zu belegen.
Rz. 10
4. Die Anordnung der Maßregel nach § 63 StGB kann daher nicht bestehen bleiben. Mit Blick auf die Vorschrift des § 358 Abs. 2 Satz 2 StPO ist auch der Freispruch des Angeklagten aufzuheben (vgl. BGH, Beschlüsse vom 5. August 2014 – 3 StR 271/14, BGHR StPO § 358 Abs. 2 Satz 2 Freispruch 1; vom 30. Juli 2013 – 4 StR 275/13 Rn. 18, insoweit in NStZ 2014, 36 nicht abgedruckt; vom 12. Oktober 2016 – 4 StR 78/16 aaO).
Rz. 11
Der Senat weist darauf hin, dass es auch bei der Verwertung früherer psychiatrischer Diagnosen im Rahmen der Schuldfähigkeitsbeurteilung grundsätzlich erforderlich ist, die den jeweiligen Diagnosen zugrundeliegenden Anknüpfungstatsachen mitzuteilen. Der neu mit der Sache befasste Tatrichter wird gehalten sein, eingehendere Feststellungen als bisher zu dem Verlauf und den Ausprägungen der psychischen Erkrankung des Angeklagten zu treffen.
Unterschriften
Sost-Scheible, Roggenbuck, Cierniak, Bender, Quentin
Fundstellen
Haufe-Index 11935972 |
NStZ-RR 2018, 319 |
StV 2019, 221 |