Verfahrensgang
LG Gera (Urteil vom 03.03.2003) |
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Gera vom 3. März 2003
- im Schuldspruch im Fall 1 der Urteilsgründe,
- im Strafausspruch im Fall 2 der Urteilsgründe und
- im Gesamtstrafenausspruch
mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Jugendschutzkammer zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit schwerem Raub in zwei Fällen (Einzelstrafen: elf Jahre und sieben Jahre Freiheitsstrafe) sowie wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit Raub (Einzelstrafe: fünf Jahre Freiheitsstrafe) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von dreizehn Jahren und sechs Monaten verurteilt. Dagegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge in dem aus dem Beschlußtenor ersichtlichen Umfang Erfolg; im übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
1. Nach den Feststellungen verfolgte der Angeklagte im Fall 1 der Urteilsgründe die 15jährige Geschädigte nachts auf der Straße, umfaßte sie von hinten, hielt ihr den Mund zu und drückte sie zu Boden. Er stopfte ihr ein komplettes Päckchen Tempotaschentücher in den Mund und drückte ihr einen spitzen Gegenstand, einen Kugelschreiber, gegen die rechte Halsseite unterhalb des Kinns. Gegenüber der Geschädigten äußerte er, bei dem Gegenstand handele es sich um eine Spritze mit Gift und die Geschädigte würde innerhalb von dreißig Sekunden sterben, falls sie schreien sollte. Anschließend führte er die Geschädigte in eine Umkleidekabine auf einem Sommerbadgelände, wobei er ihr nach wie vor den spitzen Gegenstand an den Hals hielt. In der Kabine ließ er sich von der Geschädigten einen Schnürsenkel aus den Schuhen geben und band ihn ihr über den Mund. Als sie sich wehren wollte, hielt er ihr wieder den spitzen Gegenstand an den Hals. Sodann legte er den Gegenstand weg, schob das Top der Geschädigten hoch und küßte sie auf die unbedeckte Brust. Die durch das brutale Vorgehen des Angeklagten überaus verängstigte und eingeschüchterte Geschädigte mußte den Angeklagten danach manuell bis zum Samenerguß befriedigen. Anschließend zog der Angeklagte der Geschädigten ihren Slip aus und sie mußte sich hinlegen. Der Angeklagte leckte sie am Geschlechtsteil und führte seinen Finger in ihre Scheide ein. Im weiteren Verlauf legte er der Geschädigten deren Jacke über das Gesicht und führte kurzzeitig den Geschlechtsverkehr von vorn mit ihr durch. Danach drehte der Angeklagte die Geschädigte um und veranlaßte sie, sich hinzuknien, worauf er den Geschlechtsverkehr von hinten ungeschützt bis zum Samenerguß ausführte. Sodann nahm der Angeklagte die Jacke der Geschädigten an sich, in der sich ein Handy im Wert von 349 DM befand, und ließ sich ihr Portemonnaie mit ca. 15 DM Bargeld aushändigen. Anschließend entfernte sich der Angeklagte, wobei er die Geschädigte mit dem Päckchen Taschentüchern im Mund gefesselt und geknebelt nackt zurückließ. Bis auf das Bargeld warf er die Sachen später weg.
Das Landgericht hat in diesem Fall die Qualifikationstatbestände des § 177 Abs. 4 Nr. 1 StGB und des § 250 Abs. 1 Nr. 1 b StGB wegen der Verwendung des Kugelschreibers als „anderes gefährliches Werkzeug” bejaht. Zwar liege es auf der Hand, daß ein Kugelschreiber seiner Art nach kein allgemein gefährlicher Gegenstand sei, jedoch hätten objektiv bei der konkreten Verwendung, etwa durch Eindrücken des Kehlkopfs oder Druck auf die Luftröhre schwerwiegende Verletzungen zugefügt werden können.
2. Der Schuldspruch im Fall 1 der Urteilsgründe begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Die rechtliche Würdigung des Landgerichts ist zum einen in sich widersprüchlich, weil es bei der Vergewaltigung aufgrund der Verwendung des Kugelschreibers die Verwendung eines anderen gefährlichen Werkzeugs bejaht hat, beim Raub hingegen nicht. Zum anderen ist die Erfüllung des Qualifikationstatbestandes des § 177 Abs. 4 Nr. 1 StGB nicht ausreichend mit Tatsachen belegt. Zwar ist es im Rahmen des § 177 Abs. 4 Nr. 1 StGB ohne Belang, ob der Gegenstand nach seiner Beschaffenheit generell bestimmt und geeignet ist, erhebliche Verletzungen zu verursachen; es genügt, daß er die Gefährlichkeit durch die konkrete Art des Einsatzes gewinnt (BGHSt 46, 225, 228; BGH NStZ-RR 2002, 108). Die Beurteilung, ob die konkrete Art des Einsatzes des Gegenstandes gefährlich war, setzt aber die Feststellung seiner Beschaffenheit voraus (BGH, Urt. vom 10. April 2003 – 3 StR 420/02). Wie die konkrete Beschaffenheit des vom Angeklagten verwendeten Gegenstands im vorliegenden Fall war, ob es sich um ein stabiles Schreibgerät oder einen leicht zerbrechlichen Plastikkugelschreiber handelte, ist den ersichtlich allein auf der Einlassung des Angeklagten beruhenden Feststellungen nicht zu entnehmen. Unter diesen Umständen erscheint zweifelhaft, ob der verwendete Kugelschreiber tatsächlich geeignet war, erhebliche Verletzungen am Hals des Opfers zu verursachen, zumal das Landgericht dieselbe Art und Weise der Verwendung desselben Gegenstands für den tateinheitlich verwirklichten Qualifikationstatbestand des § 250 StGB lediglich als Beisichführen eines Werkzeugs oder Mittels im Sinne des § 250 Abs. 1 Nr. 1 b StGB gewertet hat. Dagegen könnte im vorliegenden Fall sprechen, daß der Angeklagte sich veranlaßt sah, der Geschädigten vorzutäuschen, ihr eine Spritze mit Gift an den Hals zu halten. Hinzu kommt, daß das Landgericht selbst in dem vergleichbaren Fall 2 der Urteilsgründe wegen der fehlenden Möglichkeit, konkrete Feststellungen zur Beschaffenheit des dort verwendeten Schlüssels zu treffen, zugunsten des Angeklagten lediglich § 177 Abs. 3 Nr. 2 StGB angewendet hat. Die Sache bedarf danach weiterer Aufklärung.
3. Die Aufhebung des Schuldspruchs im Fall 1 der Urteilsgründe führt zur Aufhebung der hierfür festgesetzten Einzelstrafe und der Gesamtstrafe, aber auch zur Aufhebung des Strafausspruchs im Fall 2 der Urteilsgründe. Im Fall 2 der Urteilsgründe ist der Angeklagte ebenfalls wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit schwerem Raub verurteilt worden. Der Angeklagte hatte der Geschädigten in diesem Fall seinen Autoschlüssel mit der Spitze an die rechte Halsseite gehalten, so daß sie annahm, es handele sich um ein Messer. Dazu sagte der Angeklagte sinngemäß, er würde zustechen, falls die Zeugin schreien sollte. Die Strafkammer hat hier die Qualifikation nach § 177 Abs. 4 Nr. 1 StGB verneint, weil keine konkreten Feststellungen über die Größe des Schlüssels, die Beschaffenheit und die mögliche Verletzungsgefahr getroffen werden konnten. Es liegt nahe, daß die Annahme des Qualifikationstatbestandes des § 177 Abs. 4 Nr. 1 StGB im Fall 1 der Urteilsgründe zu einer höheren Strafe geführt hat. Der Senat kann letztlich nicht ausschließen, daß sich dies auch auf die Zumessung der an sich nicht unangemessenen Strafe im Fall 2 der Urteilsgründe ausgewirkt hat. Sollte beiden Urteilsfällen derselbe Strafrahmen zugrunde zu legen sein, muß der neue Tatrichter jedenfalls in der Lage sein, in beiden Fällen eine neue abgewogene Strafzumessung aufgrund der Umstände der Tatausführung vorzunehmen.
4. Hingegen schließt der Senat aus, daß sich der Rechtsfehler im Fall 1 der Urteilsgründe auch auf die Strafzumessung im Fall 3 der Urteilsgründe, der lediglich der Strafrahmen des § 177 Abs. 2 Nr. 1 StGB wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit Raub nach § 249 Abs. 1 StGB zugrunde liegt, ausgewirkt hat.
Unterschriften
Rissing-van Saan, Otten, Rothfuß, Ernemann, Roggenbuck
Fundstellen
Haufe-Index 2558725 |
NStZ 2004, 261 |
StV 2004, 201 |