Verfahrensgang
LG München II (Urteil vom 20.02.2019) |
Tenor
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts München II vom 20. Februar 2019 wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die den Nebenklägern im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hatte den Angeklagten mit Urteil vom 10. August 2017 der Beihilfe zu drei tateinheitlichen Fällen der gefährlichen Körperverletzung in Tateinheit mit Beihilfe zu zwei tateinheitlichen Fällen der Bedrohung und mit Beihilfe zur Sachbeschädigung sowie der Bildung bewaffneter Gruppen schuldig gesprochen, hierfür eine Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr verhängt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Noch am Tag der Verkündung war diese Verurteilung rechtskräftig geworden.
Rz. 2
Auf die Revision eines Mitangeklagten hat der Senat mit Urteil vom 14. Juni 2018 (3 StR 585/17) das landgerichtliche Urteil, soweit es den Angeklagten betraf, im Schuldspruch dahin geändert, dass er der Beihilfe zu zwei tateinheitlichen Fällen der gefährlichen Körperverletzung in Tateinheit mit Beihilfe zu zwei tateinheitlichen Fällen der Bedrohung, mit Beihilfe zur Sachbeschädigung sowie mit Bildung bewaffneter Gruppen schuldig ist, und es im Strafausspruch aufgehoben.
Rz. 3
Nunmehr hat das Landgericht aufgrund des vom Senat geänderten Schuldspruchs auf eine Freiheitsstrafe von elf Monaten erkannt und diese mit der vom Amtsgericht Ebersberg mit Urteil vom 14. November 2017 festgesetzten Einzelstrafe nach Auflösung der dortigen Gesamtstrafe auf eine (unbedingte) Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und einem Monat zurückgeführt und hierauf vom Angeklagten als Bewährungsauflage geleistete Zahlungen mit 30 Tagen angerechnet. Dagegen wendet er sich mit seiner auf die Sachrüge gestützten Revision. Das Rechtsmittel ist unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
Rz. 4
Der näheren Betrachtung bedarf allein der Ausspruch über die Gesamtstrafe einschließlich der Versagung einer Strafaussetzung zur Bewährung:
Rz. 5
1. Das Landgericht hat zu Recht gemäß § 55 StGB nachträglich auf eine Gesamtstrafe erkannt.
Rz. 6
Die Voraussetzungen dieser Norm lagen im Urteilszeitpunkt erstmalig vor: Noch bevor der Senat das erste Urteil des Landgerichts im Strafausspruch aufgehoben hat, hatte das Amtsgericht Ebersberg den Angeklagten am 14. November 2017 wegen Besitzes von Betäubungsmitteln (Tatzeit: 21. Juli 2017) unter Einbeziehung der – damals rechtskräftigen – Einzelstrafen aus dem landgerichtlichen Urteil zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten verurteilt, wobei es für das Betäubungsmitteldelikt eine Freiheitsstrafe von vier Monaten festgesetzt hatte. Auf die Berufung des Angeklagten hatte das Landgericht München II am 10. Januar 2018 den Strafausspruch dahin geändert, dass die Vollstreckung der Strafe zur Bewährung ausgesetzt worden war. Diese Verurteilung ist mittlerweile rechtskräftig.
Rz. 7
Zur Zeit der der Verkündung des angefochtenen Urteils vorausgegangenen letzten Tatsachenverhandlung lagen sämtliche Voraussetzungen des § 55 StGB vor. Für die Anwendbarkeit dieser Vorschrift ist der Zeitpunkt der letzten tatrichterlichen Sachentscheidung zur Schuld- oder Straffrage maßgebend, auch wenn eine Sache nach (teilweiser) Aufhebung einer ersten Verurteilung vom Revisionsgericht zurückverwiesen worden ist (s. BGH, Beschluss vom 19. Februar 2014 – 2 StR 558/13, NStZ-RR 2014, 242, 243; ferner BGH, Beschluss vom 22. Februar 2012 – 4 StR 22/12, NStZ-RR 2013, 7; Fischer, StGB, 66. Aufl., § 55 Rn. 37 f.). Lediglich für den Vollstreckungsstand einer für die nachträgliche Gesamtstrafenbildung in Betracht kommenden Vorstrafe gilt Abweichendes. Diesbezüglich ist auf den Zeitpunkt des früheren, in der Revisionsinstanz (teil-)aufgehobenen Urteils abzustellen, sollte die Strafe später vollstreckt worden sein. Denn dem Angeklagten soll durch sein Rechtsmittel nicht der einmal erlangte Rechtsvorteil der nachträglichen Gesamtstrafenbildung genommen werden (st. Rspr.; s. etwa BGH, Beschlüsse vom 5. Juli 2011 – 3 StR 188/11, juris Rn. 5; vom 24. Juli 2018 – 3 StR 245/18, juris Rn. 9 mwN).
Rz. 8
2. Die Versagung einer Strafaussetzung zur Bewährung erweist sich ebenso wie die Bemessung der Gesamtstrafe als frei von Rechtsfehlern.
Rz. 9
a) Für die nach § 56 Abs. 1 StGB zu treffende Prognose kommt es auf den für das aktuelle Urteil maßgebenden Zeitpunkt an; dies gilt auch im Fall einer nachträglich zu bildenden Gesamtfreiheitsstrafe (s. BGH, Urteil vom 9. Juli 2003 – 2 StR 125/03, BGHR StGB § 56 Abs. 1 Sozialprognose 33; vgl. auch § 58 Abs. 2 StGB).
Rz. 10
Die Strafkammer hat bei ihrer Prognoseentscheidung namentlich die Persönlichkeit des Angeklagten, sein Vorleben und seine Lebensverhältnisse, die Umstände der den einbezogenen Strafen zugrundeliegenden Taten sowie die zu erwartenden Wirkungen eines Strafvollzugs auf ihn berücksichtigt. Erhebliche Bedeutung hat sie dabei dem Verhalten beigemessen, das der Angeklagte „im Rahmen des Bewährungsverfahrens” aufgrund der Verurteilung durch das Amtsgericht Ebersberg vom 14. November 2017 i.V.m. dem Urteil des Landgerichts München II vom 10. Januar 2018 zeigte. So handelte er wiederholt ihm erteilten Weisungen zuwider und entzog sich der Aufsicht und Leitung seiner Bewährungshelferin. Im Wege der gebotenen Gesamtwürdigung ist die Strafkammer zur Überzeugung gelangt, dass ihm insbesondere wegen dieser neuen Umstände gegenwärtig keine günstige Kriminalprognose mehr gestellt werden kann (UA S. 26 ff.). Dagegen ist rechtlich nichts zu erinnern.
Rz. 11
b) Das Verbot der reformatio in peius nach § 358 Abs. 2 Satz 1 StPO steht der Versagung der Strafaussetzung zur Bewährung nicht entgegen. Das Landgericht durfte eine unbedingte Gesamtfreiheitsstrafe verhängen, obwohl vormals in dem – vom Senat teilaufgehobenen – Urteil vom 10. August 2017 die Vollstreckung der Gesamtfreiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt war. Dies fügt sich stimmig in bestehende Rechtsprechung ein:
Rz. 12
Das Tatgericht darf grundsätzlich nicht von einer nachträglichen Gesamtstrafenbildung im Urteil absehen und sie dem Beschlussverfahren nach § 460 StPO überlassen; vielmehr ist die Anwendung des § 55 StGB zwingend. Das gilt auch für das Tatgericht, das nach vom Revisionsgericht angeordneter (teilweiser) Aufhebung und Zurückverweisung mit der Sache befasst ist (s. BGH, Beschluss vom 22. Februar 2012 – 4 StR 22/12, NStZ-RR 2013, 7). Für das Nachverfahren gemäß § 460 StPO gilt, dass auch dann eine Versagung der Strafaussetzung zur Bewährung in Betracht kommt, wenn in die Gesamtstrafe ausschließlich Freiheitsstrafen einbezogen sind, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt waren (s. BGH, Beschluss vom 3. Juli 1981 – StB 31/81, BGHSt 30, 168, 170; ferner LR/Graalmann-Scheerer, StPO, 26. Aufl., § 460 Rn. 38 f.; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 62. Aufl., § 460 Rn. 17, jeweils mwN). Was indes dem Tatgericht im Beschlusswege erlaubt ist, kann ihm im Fall der – vorrangigen – Entscheidung durch Urteil nicht verwehrt sein (vgl. BGH, Beschluss vom 7. Juli 2010 – 1 StR 212/10, BGHSt 55, 220, 228 Rn. 36).
Rz. 13
Hinzu kommt, dass eine Strafaussetzung zur Bewährung in dem (teil-)aufgehobenen früheren Urteil die Anwendung des § 55 StGB ebenso wenig hindert, wenn die neu zu bildende Gesamtfreiheitsstrafe nicht mehr aussetzungsfähig ist (s. BGH, Urteil vom 12. Januar 1993 – 5 StR 606/92, BGHR StGB § 55 Abs. 1 Einbeziehung 2; Beschluss vom 22. November 2001 – 1 StR 488/01, juris Rn. 2; KK-Gericke, StPO, 8. Aufl., § 358 Rn. 19).
Unterschriften
Gericke, Berg, Hoch, Anstötz, Erbguth
Fundstellen
Haufe-Index 13500383 |
NStZ-RR 2020, 7 |