Entscheidungsstichwort (Thema)
Nutzungsersatz für ehemals volkseigenes Grundstück. Kein Fall des rückständigen Grunderwerbs. Fehlen einer Bereinigungslage
Leitsatz (amtlich)
Hat eine Kapitalgesellschaft nach § 11 Abs. 2 TreuhG am 1.7.1990 das Eigentum an einem Grundstück erlangt, ist damit die Eigentumslage endgültig geklärt; für eine spätere Bereinigung der Rechtsverhältnisse nach § 3 VerkFlBerG und somit für einen Anspruch des Grundstückseigentümers gegen den öffentlichen Nutzer auf Zahlung des Moratoriumszinses (Art. 233 § 2a Abs. 9 EGBGB) bzw. des vorläufigen Nutzungsentgelts (§ 9 Abs. 1 VerkFlBerG) ist kein Raum.
Normenkette
TreuhG § 11 Abs. 2; EGBGB Art. 233; EGBGB § 2a Abs. 9; VerkFlBerG §§ 3, 9 Abs. 1
Verfahrensgang
Thüringer OLG (Urteil vom 15.03.2005; Aktenzeichen 5 U 1099/03) |
LG Mühlhausen (Urteil vom 21.10.2003; Aktenzeichen 6 O 501/99) |
Tenor
Die Beschwerden gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des 5. Zivilsenats des OLG Jena v. 15.3.2005 werden zurückgewiesen.
Von den Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt die Klägerin 33 % und der Beklagte 67 %. Die durch die Nebenintervention verursachten Kosten trägt die Klägerin zu 33 % und der Streithelfer des Beklagten zu 67 %.
Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens beträgt 442.538,04 EUR.
Gründe
I.
Die Klägerin verlangt von dem Beklagten Nutzungsersatz und Ersatz nicht gezogener Nutzungen hinsichtlich eines Grundstücks in M./Thüringen. Es war Volkseigentum; Rechtsträger war die Stadt M. . Von 1977 bis 1979 errichtete der V. M. auf dem Grundstück ein Gebäude, welches ab 1978 von der I. genutzt wurde. 1984 ging die Rechtsträgerschaft an dem Grundstück auf den V. über. Zum 1.7.1990 erlangte die Klägerin das Grundstückseigentum nach § 11 Abs. 2 TreuhG; sie wurde am 1.10.1992 in das Grundbuch eingetragen.
Die Nutzung des Grundstücks durch die nach dem 3.10.1990 von dem Streithelfer des Beklagten weitergeführte I. endete Ende 1992. Vom 1.1.1993 bis zum 31.1.1995 nutze der Beklagte das Grundstück unentgeltlich als medizinische Fachschule.
Am 2.11./10.12.1992 schlossen die Parteien eine Vereinbarung über die Wärme- und Wasserversorgung des Gebäudes ab dem 1.1.1993.
Am 14./21.1.1993 regelten der Streithelfer des Beklagten, die I. und der Rechtsvorgänger des Beklagten in einer Vereinbarung die weitere Nutzung des Grundstücks durch den Rechtsvorgänger des Beklagten. Die Beteiligten gingen davon aus, dass der Streithelfer Eigentümer des Grundstücks war.
Das LG hat der auf die Verurteilung des Beklagten zur Zahlung von 601.700,19 EUR nebst Zinsen gerichteten Klage i.H.v. 508.918,76 EUR (Nutzungsersatz v. 1.1.1993 bis 6.3.1996) nebst Zinsen stattgegeben. Auf die Berufung des Beklagten hat das OLG die Verurteilung auf 294.919,51 EUR nebst Zinsen reduziert.
Gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Berufungsurteil haben beide Parteien Beschwerde eingelegt.
II.
Nach Auffassung des Berufungsgerichts kann die Klägerin von dem Beklagten nach § 988 BGB den Ersatz der v. 1.1.1993 bis zum 31.1.1995 gezogenen Nutzungen verlangen. Die Klägerin sei seit dem 1.7.1990 Eigentümerin des Grundstücks, der Beklagte seit dem 1.1.1993 unentgeltlicher Besitzer. Er habe kein Recht zum Besitz gehabt. Eine vertragliche Regelung über die Nutzung des Grundstücks existiere nicht. Ein Besitzrecht nach Art. 233 § 2a Abs. 9 EGBGB habe der Beklagte nicht gehabt, weil er das Grundstück erst seit dem 1.1.1993 genutzt habe und er sich auf die vorhergehende Nutzung durch seinen Streithelfer nicht berufen könne. Zwar folge das nicht aus dem Umstand, dass zwei verschiedene öffentlich-rechtliche Körperschaften als Schulträger aufgetreten seien; aber der Streithelfer habe seine Nutzung aufgegeben, und der Beklagte habe eine neue Schule eröffnet. Investitionen oder Dispositionen, die ein schutzwürdiges Vertrauen auf den Fortbestand der Grundstücksnutzung schaffen könnten, habe der Beklagte nicht getroffen. Ab dem 1.2.1995 schulde der Beklagte keinen Nutzungsersatz, weil er nicht bösgläubig i.S.v. § 990 Abs. 1 BGB gewesen sei. Er habe sich auf Grund der Vereinbarung mit seinem Streithelfer v. 14./21.1.1993 für zum Besitz berechtigt gehalten; später habe er sein vermeintliches Besitzrecht von dem erwarteten positiven Ausgang des erst 1998 zu seinen Ungunsten ausgegangenen Vermögenszuordnungsverfahrens abgeleitet.
III.
Die Nichtzulassungsbeschwerden sind zulässig, bleiben in der Sache jedoch ohne Erfolg, weil keine Zulassungsgründe vorliegen.
1. Entgegen der Auffassung der Klägerin stellen sich hinsichtlich des von dem Berufungsgericht verneinten Anspruchs auf Nutzungsersatz für die Zeit ab dem 1.2.1995 keine entscheidungserheblichen Fragen von grundsätzlicher Bedeutung (§ 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 ZPO); insoweit ist auch keine Entscheidung des Revisionsgerichts zur Fortbildung des Rechts (§ 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 Alt. 1 ZPO) oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 Alt. 2 ZPO) erforderlich. Das Berufungsgericht ist nämlich nicht davon ausgegangen, dass der Beklagte bei der Erlangung des Besitzes am 1.1.1993 bösgläubig i.S.v. § 990 Abs. 1 BGB gewesen und erst später gutgläubig geworden sei. Vielmehr ist der angefochtenen Entscheidung zu entnehmen, dass das Berufungsgericht den Beklagten von dem Zeitpunkt seiner Besitzerlangung an für gutgläubig hinsichtlich seines Besitzrechts gehalten hat.
2. Auch unter dem von der Klägerin hervorgehobenen Gesichtspunkt, ob der Tatrichter im Einzelfall zu prüfen habe, worüber sich der Besitzer geirrt habe und ob der konkrete Irrtum grob gewesen sei, ist keine Entscheidung des Revisionsgerichts zur Rechtsfortbildung oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich. Das Berufungsgericht hat nicht, wie die Klägerin meint, nur auf die schwierige Rechtslage im Allgemeinen abgestellt; es ist auch hinreichend konkret auf die hier zu beurteilende Situation eingegangen.
3. Der Beklagte macht erfolglos geltend, dass die grundsätzliche Frage zu klären sei, ob der Moratoriumstatbestand des Art. 233 § 2a Abs. 9 EGBGB voraussetze, dass die öffentliche Körperschaft, die ein Grundstück zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben nutze, es selber bereits am 3.10.1990 in gleicher Weise genutzt habe. Diese Frage stellt sich hier nicht, weil der vorliegende Sachverhalt nicht von Art. 233 § 2a Abs. 9 EGBGB erfasst wird.
a) Bei dieser Vorschrift handelt es sich um ein besonderes, mit einem Endzeitpunkt versehenes Moratorium, mit dem eine in der DDR begründete öffentliche Nutzung fremder Privatgrundstücke bis zur endgültigen Bereinigung der Rechtsverhältnisse aufrechterhalten wird (BVerfG v. 8.2.2001 - 1 BvR 719/99, WM 2001, 778 [779]); die Regelung knüpft an die Fälle des "rückständigen Grunderwerbs" an, die dadurch gekennzeichnet sind, dass in der DDR Grundstücke ohne förmliche Enteignung oder Überführung in Volkseigentum für öffentliche Zwecke benutzt wurden (BGH, Urt. v. 18.1.2002 - V ZR 104/01, BGHReport 2002, 450 = MDR 2002, 630 = WM 2002, 768 [771]).
b) Hier liegen die Dinge jedoch anders. Das Grundstück war seit 1952 Volkseigentum; damit scheidet ein Fall des rückständigen Grunderwerbs aus. Die Klägerin wurde am 1.7.1990 Grundstückseigentümerin; damit fehlte es in dem hier maßgeblichen Zeitraum an einer Bereinigungslage. Die Vermögenszuordnung nach § 11 Abs. 2 TreuhG hat Vorrang vor jeder anderen Bereinigung; sie ist abschließend. Das hat der Senat bereits für den Anwendungsbereich des Sachenrechtsbereinigungsgesetzes entschieden (BGH, Urt. v. 19.9.2003 - V ZR 383/02, MDR 2004, 148 = BGHReport 2004, 15 = WM 2004, 677 [678]). Für die Bereinigung der Rechtsverhältnisse nach dem Verkehrsflächenbereinigungsgesetz, das das Moratorium nach Art. 233 § 2a Abs. 9 EGBGB verlängert hat, ohne seinen Zweck zu verändern (BGH, Urt. v. 18.1.2002 - V ZR 104/01, BGHReport 2002, 450 = MDR 2002, 630 = WM 2002, 768 [771]), gilt nichts Anderes. Wollte man Art. 233 § 2a Abs. 9 EGBGB auch in diesem Fall anwenden, beseitigte man damit die mit der endgültigen Zuordnung verbundenen Rechtsfolgen.
c) Die entsprechende Anwendung der Norm kommt nicht in Betracht, weil die Klägerin und ihre Rechtsvorgängerin in der DDR kein Eigentum verloren haben (BGH, Urt. v. 18.1.2002 - V ZR 104/01, BGHReport 2002, 450 = MDR 2002, 630 = WM 2002, 768 [772]).
d) Daraus folgt, dass die Eigentumslage hinsichtlich des Grundstücks mit der erfolgten Zuordnung endgültig geklärt war. Da dem Beklagten das Gebäude nicht zugeordnet wurde, liegt ein Eigentümer-Besitzer-Verhältnis nach §§ 987 ff. BGB vor; der Beklagte schuldet Nutzungsentgelt nach § 988 BGB (BGH, Urt. v. 26.11.2004 - V ZR 90/04, BGHReport 2005, 559 = NJW-RR 2005, 743 [745]).
4. Der Beklagte macht auch erfolglos den Zulassungsgrund der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung im Hinblick auf die Verteilung der Darlegungs- und Beweislast hinsichtlich des Umfangs der Grundstücksnutzung geltend. Das Berufungsgericht hat keine generellen Ausführungen zur Verteilung der Darlegungs- und Beweislast bei einem Anspruch auf Nutzungsherausgabe gemacht, die verallgemeinerungsfähig wären, sondern die Umstände des konkreten Falles zu Grunde gelegt. Der Beklagte legt auch keine Umstände dar, aus denen sich - eine fehlerhafte Beurteilung durch das Berufungsgericht unterstellt - Anhaltspunkte für eine konkrete Wiederholungsgefahr ergeben könnten.
IV.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 97 Abs. 1, 101 Abs. 1 ZPO.
Fundstellen
BGHR 2006, 416 |
ZfIR 2006, 224 |
LKV 2006, 144 |
MDR 2006, 805 |
NJ 2006, 189 |