Verfahrensgang
LG München I (Urteil vom 23.04.2003) |
Tenor
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 23. April 2003 wird als unbegründet verworfen, da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO).
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
Gründe
Ergänzend bemerkt der Senat:
Die Strafbemessung begegnet auch unter dem Gesichtspunkt der Dauer des Strafverfahrens keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
1. Das Landgericht hat die lange Zeitspanne zwischen den Taten des Angeklagten und der nunmehrigen Aburteilung ebenso strafmildernd berücksichtigt wie den Umstand, daß diese nicht vom Angeklagten zu vertreten ist (UA S. 44, 45).
2. Soweit die Revision meint, es liege eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung (gemeint: im Sinne des Artikel 6 Abs. 1 Satz 1 MRK) vor, deren einzelne Ursachen in den Urteilsgründen näherer Feststellung und Erörterung bedurft hätten, und dabei die Zeiträume zwischen verschiedenen Verfahrensereignissen anspricht, gilt folgendes:
a) Die Rüge ist schon nicht in zulässiger Weise erhoben. Will ein Beschwerdeführer beanstanden, durch das Verfahren sei das Beschleunigungsgebot des Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK verletzt und die Verfahrensverzögerung sei im Urteil nicht berücksichtigt worden, so hat er die Tatsachen, die den behaupteten Verfahrensverstoß belegen, in der Revisionsbegründung darzulegen, um dem Revisionsgericht eine entsprechende Nachprüfung zu ermöglichen (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO). Entsprechendes gilt, wenn der Beschwerdeführer wie hier beanstandet, das Urteil sei zwar eher allgemein vom Vorliegen einer Verfahrensverzögerung ausgegangen, aber Art, Ausmaß und Umstände dieser Verzögerung seien nicht oder nicht genügend festgestellt (so BGHR MRK Art. 6 Abs. 1 Satz 1 Verfahrensverzögerung 7 m.w.Rspr.Nw.).
Dem wird die Revisionsbegründung nicht gerecht. So heißt es dort etwa, der Zeitraum von ca. einem Jahr für das Zwischenverfahren und derjenige von 14 Monaten zwischen der ersten Revisionsentscheidung und dem Beginn der erneuten Hauptverhandlung seien erörterungsbedürftig gewesen. Hier wäre vorzutragen gewesen, was die Aktenlage insoweit zur Sachbehandlung und Verfahrensförderung konkret ergibt. Es ist nicht Aufgabe des Senats, von Amts wegen das – hier mehr als 60 Stehordner umfassende – Aktenwerk auf Verzögerungen durchzusehen oder auch nur in Teilabschnitten zu sichten, um die allgemein unter Hinweis auf zeitliche Eckdaten aufgestellte Behauptung einer Verzögerung zu prüfen. Beispielhaft zeigt sich gerade hinsichtlich des Zeitraums zwischen der ersten Revisionsentscheidung und der erneuten Hauptverhandlung, daß insoweit die Hinweise bedeutsam sein können, die in dem in dieser Sache ergangenen Senatsbeschluß vom 7. Februar 2002 – 1 StR 222/01 – unter IV.3.d) enthalten sind. Diese können naheliegenderweise zunächst, vor der Neuverhandlung, weitere Ermittlungen veranlaßt haben. Hierzu wäre konkret vorzutragen gewesen. Wäre dies geschehen, ergäbe sich eine andere Beurteilung als auf der Grundlage des unvollständigen Revisionsvortrages. Auch soweit sich die Revision darauf bezieht, daß die Strafkammer im Urteil ausführt, nach dem 13. Oktober 1995 sei ein „vorübergehender faktischer Stillstand” in den polizeilichen Ermittlungen eingetreten, hätte die Revision dazu Einzelheiten darlegen müssen, insbesondere auch zur Frage der genauen Dauer dieses Stillstandes.
b) Die Rüge hat auch deshalb keinen Erfolg, weil das Landgericht von einer „überlangen Verfahrensdauer” ausgeht und diese bei der Bemessung der Gesamtstrafe konkret, bei der Zumessung der Einzelstrafen in allgemeiner Form kompensiert hat.
Der Senat entnimmt dem Zusammenhang der Urteilsgründe, daß die Strafkammer unter dem Oberbegriff der „überlangen Verfahrensdauer” neben dem reinen Zeitablauf auch eine „rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung” feststellen wollte. Dafür spricht die vorgenommene Kompensation bei der Gesamtstrafbildung. Zudem umfaßt der verwendete Oberbegriff in der älteren Rechtsprechung (vgl. BGH NStZ 1999, 181) durchaus auch die rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerungen, wie sich an der Veröffentlichung von einschlägigen Entscheidungen und Stellungnahmen im Schrifttum unter entsprechenden Überschriften und Leitsätzen zeigt (so schon BGHR StGB § 46 Abs. 2 Verfahrensverzögerung 12 m.w.N.).
Das Landgericht hat auf der Grundlage dieser Bewertung das Maß der Kompensation bei der Straffindung hinreichend bestimmt. Bei der Bildung der Gesamtstrafe hat es den Strafabschlag von einem Jahr und sechs Monaten ausdrücklich festgehalten und im Urteil als solchen ausgewiesen. Daß dies bei den Einzelstrafen – obgleich grundsätzlich erforderlich – nicht konkret in Form einer Gegenüberstellung verschiedener Strafmaße geschehen ist, vermag den Bestand des Strafausspruches hier nicht zu gefährden. Die Strafkammer hat ausdrücklich hervorgehoben, sie hätte höhere Einzelstrafen angesetzt, wenn nicht eine Kompensation erfolgt wäre (UA S. 48). Deshalb steht nicht zu besorgen, daß der Angeklagte etwa im Falle der späteren Notwendigkeit einer anderweitigen nachträglichen Gesamtstrafenbildung beim Wegfall der jetzt in Rede stehenden Gesamtstrafe benachteiligt werden könnte. Angesichts der eher milden Einzelstrafen und des straffen Zusammenzuges bei der Gesamtstrafenbildung vermag der Senat zudem sicher auszuschließen, daß das Verhältnis zwischen den ermäßigten wie nicht ermäßigten Einzelstrafen und den beiden gegenübergestellten Gesamtstrafen unstimmig sein könnte (vgl. dazu BGH NStZ 2002, 589).
c) Der Senat sieht indessen auf der Grundlage der Urteilsausführungen keinen Grund zur Annahme einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung, weil das Verfahren von außergewöhnlicher Komplexität und auch sonst schwierig war. Durch die gegenteilige Wertung des Landgerichts und die darauf gestützte, genau bemessene Milderung der Gesamtstrafe ist der Angeklagte jedoch nicht beschwert.
Soweit sich aus dem Urteil des Landgerichts selbst einige zeitliche Spannen zwischen Verfahrensabschnitten ergeben (UA S. 44 f.), erweisen sich diese in einer Gesamtschau nicht als von solcher Qualität, daß dies die Annahme der Rechtsstaatswidrigkeit und der Unangemessenheit (im Sinne von Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK) begründen könnte. In Fällen solcher Art hat der Tatrichter zu prüfen, ob die Sache insgesamt in angemessener Frist verhandelt worden ist, wobei eine gewisse Untätigkeit innerhalb einzelner Verfahrensabschnitte dann nicht zu einer Verletzung von Artikel 6 Abs. 1 Satz 1 MRK führt, wenn dadurch die Gesamtdauer des Verfahrens nicht unangemessen lang wird. Dabei beginnt die „angemessene Frist” im Sinne der Konvention, wenn der Beschuldigte von den Ermittlungen in Kenntnis gesetzt wird; sie endet mit dem rechtskräftigen Abschluß des Verfahrens. Neben der gesamten Dauer vom Beginn bis zum Ende der Frist kommen für die Frage der Angemessenheit die Schwere und die Art des Tatvorwurfs, der Umfang und die Schwierigkeit des Verfahrens, die Art und Weise der Ermittlungen, das Verhalten des Beschuldigten sowie das Ausmaß der mit dem andauernden Verfahren verbundenen Belastungen für den Beschuldigten als maßgebende Kriterien in Betracht (siehe nur BGHR MRK Art. 6 Abs. 1 Satz 1 Verfahrensverzögerung 9; vgl. zusammenfassend Franke in MünchKomm. StGB § 46 Rdn. 62 mit weiteren Rechtsprechungsnachweisen).
Hier handelt es sich um eine umfangreiche, schwierige Wirtschaftsstrafsache, die zunächst wegen mehrerer Tatkomplexe gegen vier Angeklagte geführt wurde. Die erste tatrichterliche Hauptverhandlung dauerte vom Oktober 1999 bis zum August des Jahres 2000. Das erste, vom Senat später teilweise aufgehobene Urteil umfaßte in seiner schriftlichen Begründung 510 Seiten. Das Gewicht des gegen den Angeklagten jetzt noch bestehenden, abgeurteilten Tatvorwurfs erweist sich zumal im Blick auf die außergewöhnliche Schadenshöhe von 128 Mio DM als erheblich. Angesichts der Komplexität der Vorgänge ist es auch nicht zu beanstanden, daß die Erstellung des polizeilichen Schlußberichts, die Anklageerhebung und die Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens sowie die Vorbereitung der beiden Hauptverhandlungen, aber auch das erste Revisionsverfahren mehrmonatige Zeiträume in Anspruch genommen haben. Schließlich ist zu bedenken, daß die Ausschöpfung der von der Dauer der ersten Hauptverhandlung mitbestimmten Frist zur Absetzung der Urteilsgründe ebensowenig eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung mitzubegründen vermag wie die auf Revision des Angeklagten hin erfolgte teilweise Aufhebung des ersten Urteils und die Zurückverweisung der Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung. Dies ist Ausfluß der Gesetzeslage und eines rechtsstaatlichen Rechtsmittelsystems (vgl. BGHR StGB § 46 Abs. 2 Verfahrensverzögerung 15). Der Angeklagte war zwar ersichtlich über wenigstens sieben Jahre hin (ausgehend von der im Urteil erwähnten ersten Beschuldigten-Vernehmung) dem Verfahren ausgesetzt, befand sich aber – im Jahr 1997 – nur etwa dreieinhalb Monate in Untersuchungshaft.
Soweit der Senat von Amts wegen auf die zulässige Revision hin Verfahrensverzögerungen nach Erlaß des angefochtenen tatrichterlichen Urteils zu berücksichtigen hat (BGHR StGB § 46 Abs. 2 Verfahrensverzögerung 8), worauf die Revision zutreffend hinweist, vermag er indes in dem Zeitraum von etwa drei Monaten zwischen dem Eingang der Revisionsbegründung beim Landgericht und der Übersendung des gesamten Vorganges an den Generalbundesanwalt nichts Beanstandungswürdiges zu sehen. Diese Dauer erklärt sich hier zwanglos aus den zu beachtenden Regularien (vgl. § 347 StPO, Nr. 163 ff. RiStBV) und dem großen Umfang des Aktenwerks, das auch drei Andere betraf.
Unterschriften
Nack, Wahl, Schluckebier, Kolz, Elf
Fundstellen
Haufe-Index 2557578 |
NStZ 2004, 504 |
StV 2004, 308 |