Entscheidungsstichwort (Thema)
Totschlag
Tenor
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Augsburg vom 2. Juli 1999 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags, begangen an seiner Ehefrau, zu einer Freiheitsstrafe von elf Jahren verurteilt. Gegen dieses Urteil richtet sich die auf eine Verfahrensrüge und die Sachbeschwerde gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel hat mit der Verfahrensrüge Erfolg.
1. Die Revision beanstandet zu Recht als verfahrensfehlerhaft, das Landgericht habe bei seiner Überzeugungsbildung Angaben des viereinhalbjährigen Sohnes S. des Angeklagten zum Ablauf der Tatnacht verwertet. Der auf die Verletzung von § 252 StPO gestützten Verfahrensrüge liegt folgendes zugrunde:
a) Nach den Urteilsfeststellungen kam der Angeklagte in der Tatnacht gegen 0.45 Uhr bis 1.00 Uhr nach Hause. Danach drosselte er seine Ehefrau mit einem Strangwerkzeug bis zu ihrem Tod. Nachdem gegen den Angeklagten Haftbefehl ergangen war, ordnete das Vormundschaftsgericht auf Antrag der Staatsanwaltschaft für S. die Ergänzungspflegschaft zur Vertretung bei der Entscheidung über die Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechts im Ermittlungsverfahren an. Das Kreisjugendamt erteilte sein Einverständnis zur Vernehmung des Kindes. Eine Kriminalbeamtin suchte das Kind – das sich mit seinem jüngeren Bruder bei den Großeltern aufhielt und von dem Tod der Mutter noch nichts wußte – auf und versuchte, mit ihm zu sprechen und es anzuhören. Das Ergebnis der Anhörung legte die Kriminalbeamtin in einem Vermerk nieder. Darin wird S. damit wiedergegeben, es sei vorgekommen, daß sein kleiner Bruder nach dem Essen nicht in sein Bett, sondern zu ihm wolle. Dann lege „sich manchmal der Papa zusammen mit dem C. zu ihm – S. – ins Bett und dann gibt der C. Ruhe”.
In der Hauptverhandlung hat die Strafkammer die Kriminalbeamtin über den Inhalt des Vermerks vernommen. Die Zeugin berichtete über ihren Versuch, durch ein möglichst informelles und kindgerechtes Gespräch vor allem mit S. herauszufinden, ob und gegebenenfalls was die Kinder in der Tatnacht mitbekommen hätten. Im Hinblick auf die Aussage der Kriminalbeamtin sah die Strafkammer davon ab, die Kinder selbst zu vernehmen, da weitergehende Angaben nicht zu erwarten seien.
b) Die Strafkammer hat die Aussage der Kriminalbeamtin dahin gewürdigt, es habe sich „durch die Einvernahme der Kinder durch die Zeugin” bestätigt, der Angeklagte habe nachts öfters den jüngeren Sohn versorgt. Davon, daß sein Vater auch bei ihm geschlafen habe, habe S. allerdings nichts gesagt. „Daß der Angeklagte nun gerade in der Nacht, in der seine Frau getötet wurde, von den Kindern so in Beschlag genommen wurde, wie er angab, erscheint eher zufällig und kaum nachvollziehbar”.
2. Mit dieser Würdigung hat die Strafkammer Bekundungen des Kindes S. als ergänzendes Indiz für die Täterschaft des Angeklagten gewertet. Dies verstößt gegen § 252 StPO.
a) Der Angeklagte hat zwar in der Hauptverhandlung nur erklärt, er habe die Tat nicht begangen. Das Urteil teilt auszugsweise aber auch mit, er habe bei den polizeilichen Beschuldigtenvernehmungen und gegenüber dem Sachverständigen eine Darstellung der Tatnacht gegeben. Er sei gegen 0.45 Uhr bis 1.00 Uhr nach Hause gekommen, habe gehört, daß der Sohn C. in seinem Zimmer unruhig war. Er sei mit C. ins Wohnzimmer gegangen und habe ferngesehen. C. habe dann auch noch seine Mutter sehen wollen. Beide hätten von der Tür aus ins Schlafzimmer geschaut, ohne Licht zu machen, und sie hätten die Mutter zugedeckt im Bett liegen sehen. Nachdem auch S. aufgewacht sei, habe er sich gegen 2.00 Uhr bis 2.15 Uhr zusammen mit C. in das Bett von S. gelegt und sei dort mit den Kindern eingeschlafen. Mit dieser Einlassung setzt sich die Strafkammer nicht weiter auseinander. Sie sieht die Darstellung aufgrund der Aussage der Kriminalbeamtin über die Bekundungen des Kindes S. als widerlegt an, der nicht gesagt habe, daß der Angeklagte auch in der Tatnacht bei ihm im Bett geschlafen habe.
b) Diese Verwertung der Aussage des Kindes verstößt gegen § 252 StPO. Die Kriminalbeamtin hätte zu den Bekundungen des Kindes S. nicht vernommen werden dürfen. § 252 StPO regelt das Verbot der Protokollverlesung nach Zeugnisverweigerung. In ständiger Rechtsprechung ist das Verbot über den Wortlaut der Vorschrift hinaus dahin ausgedehnt worden, daß es dem Gericht auch verwehrt ist, die früheren Aussagen eines Zeugnisverweigerungsberechtigten durch Anhörung nichtrichterlicher Vernehmungspersonen in die Hauptverhandlung einzuführen und dann zu verwerten (BGHSt 21, 218; 2, 99, 104 f.).
Zwar besteht das aus dem Sinn des § 252 StPO abzuleitende Verwertungsverbot nach dem Wortlaut dieser Regelung nur unter der Voraussetzung, daß der Zeuge in der Hauptverhandlung von seinem Recht zur Aussageverweigerung Gebrauch macht. Dies ist hier formal nicht geschehen, denn die Strafkammer hat nach Vernehmung der Kriminalbeamtin von einer Vernehmung des Kindes abgesehen. Gleichwohl ist eine zum Verwertungsverbot führende Lage gegeben. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs dürfen nichtrichterliche Vernehmungspersonen in der Hauptverhandlung grundsätzlich so lange nicht über den Inhalt früherer Angaben eines zur Zeugnisverweigerung berechtigten Zeugen gehört werden, wie Ungewißheit darüber besteht, ob der Zeuge von seinem Weigerungsrecht Gebrauch macht oder darauf verzichtet (BGHSt 25, 176, 177; 7, 194, 196; 2, 110, 111). Eine solche Ungewißheit bestand auch im Zeitpunkt der Anhörung und Vernehmung der Kriminalbeamtin. Da es bei dem Recht, die Aussage zu verweigern, um eine höchstpersönliche Befugnis geht, kann es nicht allein auf eine zustimmende Erklärung des gesetzlichen Vertreters, sondern zusätzlich auch auf die nach richterlicher Belehrung festzustellende Bereitschaft des Kindes ankommen.
Die vom Bundesgerichtshof als Ausnahme zugelassene Verwertung der Aussage der Vernehmungsperson für den Fall, daß der weigerungsberechtigte Zeuge im Zeitpunkt der Hauptverhandlung nicht erreichbar ist, weil sein Aufenthalt nicht ermittelt werden konnte (BGHSt 25, 176; vgl. auch BGHSt 27, 139), liegt hier nicht vor.
c) Auf diesem Verfahrensfehler beruht das Urteil. Der Senat kann wegen der besonderen Schwierigkeiten der Beweiswürdigung und angesichts der Einlassungen des Angeklagten, er habe gegen 2.00 Uhr mit seinen Kindern die Ehefrau von der Schlafzimmertür aus zugedeckt im Bett liegen sehen und danach im Bett von S. geschlafen, nicht ausschließen, daß die Verurteilung durch den Verfahrensfehler beeinflußt ist.
3. Auf die Sachrüge, die zu keinem weitergehenden Erfolg führen kann, kommt es nach alledem nicht an.
Unterschriften
Schäfer, Granderath, Boetticher, Herr RiBGH Schomburg ist wegen Krankheit an der Unterschrift verhindert. Schäfer, von Lienen
Fundstellen
Haufe-Index 556626 |
StV 2000, 236 |