Entscheidungsstichwort (Thema)
Höhe des Stundensatzes der Betreuervergütung
Leitsatz (redaktionell)
Weder eine Ausbildung zur Facharbeiterin für Datenverarbeitung noch die daneben bestandene Ausbilderprüfung, noch ein erfolgreich abgeschlossener Lehrgang „Mediation VHS” mit einem Umfang von 256 Unterrichtstunden erfüllen die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 VBVG und damit die Rechtfertigung eines erhöhten Stundensatzes.
Normenkette
VBVG § 4 Abs. 1 S. 2
Verfahrensgang
LG Stendal (Beschluss vom 20.08.2010; Aktenzeichen 25 T 56/10) |
AG Salzwedel (Entscheidung vom 11.03.2010; Aktenzeichen 63 XVII 141/07) |
Tenor
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 5. Zivilkammer des LG Stendal vom 20.8.2010 wird auf Kosten der Beteiligten zu 1) zurückgewiesen.
Beschwerdewert: 156 EUR
Gründe
I.
Rz. 1
Die Beteiligte zu 1) wurde vom AG zur Berufsbetreuerin des mittellosen Betroffenen für die Aufgabenkreise Gesundheitssorge, Aufenthaltsbestimmung, Vermögenssorge sowie Rechts- und Behördenangelegenheiten bestellt. Sie absolvierte eine Ausbildung zur Facharbeiterin für Datenverarbeitung und nahm an zahlreichen Informations- und Fortbildungsveranstaltungen teil. Ausweislich eines Zeugnisses der Industrie- und Handelskammer bestand sie 1999 die Ausbilderprüfung zum Nachweis der nach § 2 der Ausbilder-Eignungsverordnung vom 20.4.1972 erforderlichen Kenntnisse. Ferner stellte ihr die Volkshochschule Zertifikate über den erfolgreichen Abschluss der Lehrgänge "Mediation VHS" mit einem Gesamtumfang von 300 Unterrichtsstunden und "Mediator/Mediatorin" mit einem Gesamtumfang von 256 Unterrichtsstunden aus.
Rz. 2
Für den Abrechnungszeitraum vom 27.12.2008 bis zum 26.12.2009 hat die Beteiligte zu 1) die Festsetzung einer pauschalen Betreuervergütung auf der Grundlage eines Stundensatzes von 33,50 EUR beantragt.
Rz. 3
Das AG hat dem Antrag nur unter Zugrundelegung eines Stundensatzes von 27 EUR stattgegeben. Die dagegen gerichtete Beschwerde der Beteiligten zu 1) ist erfolglos geblieben. Mit der vom LG zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt sie ihren Vergütungsantrag in voller Höhe weiter.
II.
Rz. 4
1. Die Rechtsbeschwerde ist statthaft, weil sie vom Beschwerdegericht zugelassen wurde (§ 70 Abs. 1 FamFG). Sie ist auch im Übrigen zulässig.
Rz. 5
2. Die Rechtsbeschwerde hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.
Rz. 6
a) Das LG hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, die von der Beteiligten zu 1) absolvierte Ausbildung zur Facharbeiterin für Datenverarbeitung sei nicht betreuungsrelevant. Auch die von ihr abgelegte Ausbilderprüfung erfülle nicht die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 VBVG. Es sei bereits nicht ersichtlich, dass die der Prüfung zugrunde liegende Ausbildung in zeitlicher und inhaltlicher Hinsicht einer Lehre gleichzusetzen sei, jedenfalls fehle es aber an der Vermittlung betreuungsrelevanter Kenntnisse im Kernbereich. Von den nachgewiesenen Kenntnissen - Grundfragen der Berufsbildung, Planung und Durchführung der Ausbildung, Jugendliche in der Ausbildung, Rechtsgrundlagen und praktische Unterweisung - habe allenfalls die Vermittlung von Kenntnissen im Bereich Rechtsgrundlagen für die Führung einer Betreuung nutzbares Wissen vermitteln können. Die Teilnahme an Fortbildungsveranstaltungen rechtfertige gleichermaßen keinen höheren Stundensatz; diese erfüllten nicht die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 2 VBVG. Der Mediations-Lehrgang sei bereits aufgrund der Stundenzahl nicht mit einer in der Regel mehrjährigen Ausbildung i.S.v. § 4 Abs. 1 Satz 2 VBVG vergleichbar.
Rz. 7
b) Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung stand.
Rz. 8
aa) Ob ein Berufsbetreuer im Einzelfall die Voraussetzungen für eine erhöhte Vergütung gem. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 VBVG erfüllt, unterliegt einer wertenden Betrachtungsweise des Tatrichters. Dessen Würdigung kann im Rechtsbeschwerdeverfahren nur eingeschränkt darauf überprüft werden, ob der Tatrichter die maßgebenden Tatsachen vollständig und fehlerfrei festgestellt und gewürdigt, Rechtsbegriffe verkannt oder Erfahrungssätze verletzt und die allgemein anerkannten Maßstäbe berücksichtigt und richtig angewandt hat (vgl. BGH v. 26.10.2011 - XII ZB 312/11, MDR 2011, 1505 Rz. 10).
Rz. 9
bb) Einer solchen Überprüfung hält die tatrichterliche Würdigung des Beschwerdegerichts stand, nach der die Beteiligte zu 1) nicht über besondere für die Betreuung nutzbare Kenntnisse verfügt, die sie durch eine abgeschlossene Lehre oder eine vergleichbare abgeschlossene Ausbildung erworben hat.
Rz. 10
(1) Besondere Kenntnisse i.S.v. § 4 Abs. 1 Satz 2 VBVG sind Kenntnisse, die - bezogen auf ein bestimmtes Sachgebiet - über ein Grundwissen deutlich hinausgehen. Für die Führung einer Betreuung nutzbar sind Fachkenntnisse, die ihrer Art nach betreuungsrelevant sind und den Betreuer befähigen, seine Aufgaben zum Wohl des Betreuten besser und effektiver zu erfüllen und somit eine erhöhte Leistung zu erbringen (vgl. BayObLG BtPrax 2003, 135 zu § 1 Abs. 1 Satz 2 BVormVG m.w.N.; MünchKomm/BGB/Fröschle 5. Aufl., § 4 VBVG Rz. 10; Jürgens Betreuungsrecht 4. Aufl., § 4 VBVG Rz. 3; Jaschinski in jurisPK-BGB, 5. Aufl., § 3 VBVG Rz. 16). Es genügt die potentielle Nützlichkeit dieser Fachkenntnisse (BGH v. 23.7.2003 - XII ZB 87/03, FamRZ 2003, 1653).
Rz. 11
(2) Durch eine abgeschlossene Lehre oder vergleichbare Ausbildung sind die für die Betreuung nutzbaren besonderen Kenntnisse erworben, wenn der Kernbereich der Ausbildung auf die Vermittlung dieser Kenntnisse ausgerichtet ist (vgl. BayObLG FamRZ 2000, 844; OLG Dresden FamRZ 2002, 1306; BayObLG BtPrax 2003, 135; OLG Saarbrücken BtPrax 2003, 227, 228 m.w.N.).
Rz. 12
Eine Ausbildung ist dann mit einer abgeschlossenen Lehre vergleichbar, wenn sie staatlich reglementiert oder zumindest anerkannt ist, der durch sie vermittelte Wissensstand nach Art und Umfang dem durch eine Lehre vermittelten entspricht und der Ausbildungserfolg durch eine vor einer staatlichen oder staatlich anerkannten Stelle abgelegte Prüfung belegt ist. Als Kriterien können insb. der mit der Ausbildung verbundene Zeitaufwand, der Umfang und Inhalt des Lehrstoffes sowie die Ausgestaltung der Abschlussprüfung herangezogen werden (BGH v. 26.10.2011 - XII ZB 312/11, MDR 2011, 1505 Rz. 13 m.w.N.).
Rz. 13
Bei dieser Prüfung hat der Tatrichter strenge Maßstäbe anzulegen (vgl. BGH v. 23.7.2003 - XII ZB 87/03, FamRZ 2003, 1653).
Rz. 14
(3) Fortbildungen, Lebens- und Berufserfahrung sind grundsätzlich nicht als Quelle für den Erwerb von vergütungserhöhenden nutzbaren Fachkenntnissen anzuerkennen (vgl. HK-BUR Lütgens Stand 2005 vor §§ 3, 4 VBVG Rz. 66 m.w.N.; Jurgeleit/Maier Betreuungsrecht 2. Aufl., § 4 VBVG Rz. 15). Denn § 4 VBVG knüpft ausschließlich an den typisierten Ausbildungsgang an. Mit dem nach der Art der Ausbildung gestaffelten Stundensatz wollte der Gesetzgeber den Gerichten eine leicht zu handhabende Regelung zur Verfügung stellen und auf diese Weise eine einheitliche Vergütungspraxis sichern (für §§ 1836 Abs. 2 Satz 2, 1836a BGB a.F. i.V.m. § 1 BVormVG vgl. BT-Drucks. 13/7158, 14, 28). Wortlaut und Zweck der Vorschrift stehen deshalb auch einer Gesamtbetrachtung dahin, dass mehrere Ausbildungen und Fortbildungsmaßnahmen insgesamt einer Lehre vergleichbar sind, entgegen.
Rz. 15
cc) Die Ausbildungen und Fortbildungen der Beteiligten zu 1) genügen den Anforderungen des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 VBVG nicht.
Rz. 16
(1) Die Kenntnisse aus der Ausbildung zur Facharbeiterin für Datenverarbeitung sind, wie das Beschwerdegericht zutreffend ausgeführt hat und von der Rechtsbeschwerde auch nicht beanstandet wird, in ihrem Kernbereich schon nicht für die Führung der Betreuung nutzbar (§ 4 Abs. 1 Satz 2 VBVG).
Rz. 17
Die daneben bestandene Ausbilderprüfung erbringt über die Bestätigung der fachlichen Eignung in dem Ausbilderberuf hinaus lediglich den zusätzlichen Nachweis dafür, dass die Beteiligte zu 1) auch über die für einen Ausbilder gem. § 2 der Ausbilder-Eignungsverordnung vom 20.4.1972 erforderlichen berufs- und arbeitspädagogischen Kenntnisse verfügt. Sie ist als bloße Zusatzqualifikation der Befähigung zur Ausbildung in dem erlernten Beruf schon ihrer Art nach nicht mit einer Lehre vergleichbar (a.A. OLG Braunschweig BTPrax 2002, 131). Darauf, ob die durch die Ausbilderprüfung vermittelten Kenntnisse in ihrem Kernbereich betreuungsrelevant sind, kommt es daher nicht an.
Rz. 18
Die von der Rechtsbeschwerde angeführte Entscheidung des BayObLG vom 29.9.1999 (FamRZ 2000, 554) befasst sich mit § 76 Abs. 3 BBiG a.F. (jetzt § 30 Abs. 6 BBiG), der es ausnahmsweise zur Vermeidung von Härtefällen erlaubt, dass Personen, die die Voraussetzungen für eine fachliche Eignung nach § 76 Abs. 1 BBiG a.F. (jetzt § 30 Abs. 2, 4, 5 BBiG) nicht erfüllen, die fachliche Eignung widerruflich zuerkannt werden kann (Knopp/Kraegeloh BBiG 4. Aufl., § 76 Rz. 5; vgl. zu § 30 Abs. 6 BBiG: BT-Drucks. 15/3980, 49).
Rz. 19
Ein solcher Fall liegt hier nicht vor.
Rz. 20
(2) Auch der erfolgreich abgeschlossene Lehrgang "Mediation VHS" und das Zertifikat der VHS "Mediatorin Zeitraum: 12.5.2006 - 14.4.2007 Umfang: 256 Unterrichtstunden" können nicht einer abgeschlossenen Lehre gleichgestellt werden. Die Ausbildung ist weder staatlich reglementiert oder anerkannt noch ist der Ausbildungserfolg durch eine vor einer staatlichen oder staatlich anerkannten Stelle abgelegte Prüfung belegt (vgl. auch BayObLG FamRZ 2000, 1306; OLG Zweibrücken Rpfleger 2000, 64).
Rz. 21
(3) Ebenso wenig sind die einzelnen Fortbildungsmaßnahmen nach Art und Umfang mit einer Lehre vergleichbar.
Rz. 22
Zu Recht hat das Beschwerdegericht auch keine Gesamtbetrachtung der Ausbildungen und Fortbildungsmaßnahmen der Beteiligten zu 1) vorgenommen. Eine solche sieht § 4 VBVG nicht vor.
Fundstellen
Haufe-Index 2936689 |
FamRB 2012, 119 |