Entscheidungsstichwort (Thema)
versuchter Totschlag
Tenor
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 12. Oktober 1998 nach § 349 Abs. 4 StPO
- dahin ergänzt, daß der Angeklagte im übrigen (Vorwurf des versuchten Totschlags) freigesprochen wird; insoweit fallen die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten der Staatskasse zur Last;
- im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
1. Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Amtsgericht Tiergarten in Berlin – Strafrichter – zurückverwiesen.
Gründe
Mit der zugelassenen Anklage ist dem Angeklagten versuchter Totschlag in Tateinheit mit Führen einer halbautomatischen Selbstladekurzwaffe zur Last gelegt worden; er habe am Tattage „auf öffentlichem Straßenland” eine Pistole des Kalibers 9 mm unerlaubt bei sich geführt, damit im Anschluß an einen Streit mit bedingtem Tötungsvorsatz auf den Nebenkläger geschossen und diesen verletzt. Das Schwurgericht ist zur Annahme einer durch Notwehr gerechtfertigten gefährlichen Körperverletzung gelangt; es hat den Angeklagten wegen unerlaubten Führens einer halbautomatischen Selbstladekurzwaffe zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt. Die mit der Sachrüge begründete Revision des Angeklagten führt zur Nachholung des gebotenen Teilfreispruchs und zur Aufhebung des Rechtsfolgenausspruchs; im übrigen hat das Rechtsmittel keinen Erfolg.
1. Soweit der vom Angeklagten abgegebene Schuß auf den Nebenkläger durch Notwehr gerechtfertigt war, entfällt auch die Strafbarkeit wegen des damit einhergehenden Führens einer Schußwaffe (BGH NStZ 1981, 299; BGH, Urteil vom 23. Juli 1998 - 4 StR 261/98 -; vgl. auch Spendel in LK, 11. Aufl. § 32 Rdn. 322 m.w.N.).
Die zitierten Entscheidungen verlangen in Fällen dieser Art zutreffend die Freisprechung wegen eines gerechtfertigten (oder auch entschuldigten) Schußwaffengebrauchs auch für den Fall, daß der Angeklagte unmittelbar zuvor die Schußwaffe in strafbarer Weise geführt (oder auch besessen bzw. erworben) hat. Nicht anders, als es die Rechtsprechung für Fälle strafbaren Waffenbesitzes (einschließlich -führens) und unmittelbar anschließender strafbarer gefährlicher Verwendung der Waffe annimmt (BGHSt 36, 151, 154; BGHR WaffG § 53 Abs. 1 Konkurrenzen 3 und 7), bilden nämlich strafbarer Waffenbesitz und anschließende gefährliche Verwendung der Waffe auch dann mehrere Taten, wenn jener Umgang mit der Waffe – wie hier infolge der Rechtfertigung des Schießens durch Notwehr – nicht mehr strafbar ist. Entgegenstehende frühere Rechtsprechung (BGH NStZ 1985, 515 - 4. Strafsenat -; NStZ 1986, 357 sowie NJW 1991, 503, 505 - 2. Strafsenat -), an der sich das Schwurgericht möglicherweise orientiert hat, ist vom 4. Strafsenat ersichtlich aufgegeben worden; für den 2. Strafsenat ist nichts anderes anzunehmen (vgl. BGH NStZ-RR 1999, 8, 9).
Danach war wegen des Anklagevorwurfs des versuchten Totschlags (in Tateinheit mit dem Vergehen nach § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3a lit. b WaffG) auf Freispruch zu erkennen.
2. Gleichwohl kann der Schuldspruch des angefochtenen Urteils bestehen bleiben. Denn die Anklage erfaßte – anders als in dem vom Senat in NStZ 1981, 299 entschiedenen Fall, in dem die Anklage ein weitergehendes Waffendelikt gänzlich unerwähnt ließ – eindeutig auch das zutreffend abgeurteilte strafbare Vergehen des Führens der Waffe am Tatabend bis zum Beginn des straflosen Schußwaffengebrauchs; daß das Gesamtgeschehen insoweit von der Anklage zu Unrecht als einheitliche Tat gewertet wurde, ändert hieran nichts. Zutreffend hat das Landgericht daher die – ausdrücklich auf § 154 StPO gestützte – Begleitverfügung zur Anklage, mit der über das Führen der Waffe hinausgehende Ausübung der tatsächlichen Gewalt über die Waffe sowie Waffen- und Munitionserwerb von der Verfolgung ausgenommen worden sind, als Beschränkung nach § 154a StPO gewertet.
3. Der Umstand uneingeschränkt abgeurteilten Führens der Schußwaffe begründet die Besorgnis, daß das Schwurgericht die teilweise gegebene Straflosigkeit nicht zutreffend beachtet und mithin einen zu weitgehenden Schuldumfang zugrunde gelegt hat. Daß sich ein solcher Fehler auf die Rechtsfolgenbestimmung ausgewirkt hat, läßt sich nicht sicher ausschließen.
Der neue – gemäß § 354 Abs. 3 StPO, § 25 Nr. 2 GVG bestimmte – Tatrichter wird zu bedenken haben, daß die vom Schwurgericht bislang ausgesprochene Versagung einer Strafaussetzung zur Bewährung – namentlich unter Berücksichtigung in diesem Zusammenhang nicht ausdrücklich erörterter wesentlicher Gesichtspunkte, nämlich Selbststellung, Waffenherausgabe und Untersuchungshaftverbüßung – bedenklich erscheint.
Unterschriften
Laufhütte, Harms, Basdorf, Nack, Gerhardt
Fundstellen
Haufe-Index 541026 |
NStZ 1999, 347 |