Verfahrensgang
LG Essen (Urteil vom 23.01.2004) |
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Essen vom 23. Januar 2004
- wegen eines offensichtlichen Fassungsversehens im Schuldspruch insoweit berichtigt, daß die Worte „in zwei Fällen” entfallen,
- im Maßregelausspruch mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Mißbrauchs von Kindern „in zwei Fällen” [richtig: in einem Fall; vgl. UA 7] und exhibitionistischer Handlungen unter Einbeziehung einer Strafe aus einem früheren Urteil zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten sowie wegen sexuellen Mißbrauchs von Kindern zu einer weiteren Freiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten verurteilt. Ferner hat es die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner wirksam auf den Maßregelausspruch beschränkten Revision, mit der er das Verfahren beanstandet und die Verletzung sachlichen Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge Erfolg.
Die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand, weil die Voraussetzungen der §§ 20 oder 21 StGB nicht – wie für die Maßregel nach § 63 StGB erforderlich (BGHSt 34, 22, 26/27) – zweifelsfrei festgestellt sind.
Die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus setzt nach ständiger Rechtsprechung die positive Feststellung eines länger andauernden, nicht nur vorübergehenden Defekts voraus, der zumindest eine erhebliche Einschränkung der Schuldfähigkeit sicher begründet (st. Rspr.; BGH StraFo 2003, 281). Eine solche positive Feststellung kann – wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift vom 4. Mai 2004 zutreffend näher ausgeführt hat – auch dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe nicht entnommen werden. Für die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus genügt es aber nicht, wenn lediglich nicht ausschließbar die Schuldfähigkeit bei den Taten aufgrund eines überdauernden Zustandes zumindest erheblich vermindert war.
Allerdings ist das Landgericht mit den gehörten Sachverständigen „zu dem Ergebnis gelangt, daß der Angeklagte in der Fähigkeit, das Unrecht seiner Taten einzusehen und danach zu handeln, bei allen Taten eingeschränkt war. (…) Der Angeklagte sei abhängig von Alkohol sowie devianter Sexualität und daher vermindert steuerungsfähig” (UA 8). Dabei hat das Landgericht aber bereits nicht erkennbar bedacht, daß nach ständiger Rechtsprechung die Annahme erheblich verminderter Schuldfähigkeit nicht gleichzeitig auf eine erhebliche Verminderung der Einsichts- und der Steuerungsfähigkeit gestützt werden kann (vgl. BGHSt 40, 341, 349; Tröndle/Fischer StGB 51. Aufl. § 63 Rdn. 6). Im übrigen steht die Annahme (zumindest) erheblich verminderter Schuldfähigkeit in Widerspruch zu den zu den einzelnen Taten getroffenen Feststellungen, wonach die Fähigkeit des Angeklagten, „seine Handlungen zielgerichtet zu steuern, … nicht beeinträchtigt” gewesen sei (UA 5/6; Hervorhebung durch den Senat). Der Widerspruch würde sich auch nicht ohne weiteres auflösen, wenn das Landgericht damit gemeint haben sollte, daß die jeweilige alkoholbedingte Enthemmung für sich allein die Steuerungsfähigkeit nicht erheblich beeinträchtigt hat. Denn nach Überzeugung der Strafkammer kann der Angeklagte seine „sexuellen Wünsche und Vorlieben” gerade im Zustand der Alkoholisierung „nur schwer kontrollieren” (UA 8), kommt also der Alkoholisierung letztlich tatauslösende Bedeutung zu. Soweit als weitere Ursache bei dem Angeklagten eine von der Norm abweichende sexuelle Präferenz in Form „pädophiler Fixierung” hinzutritt, geht das Landgericht zwar – allerdings ohne nähere Darlegung – von einer „behandlungsbedürftigen seelischen Abartigkeit” (UA 11) aus. Dies hätte aber schon deshalb näherer Erörterung bedurft, weil nach ständiger Rechtsprechung nicht jedes abweichende Sexualverhalten, auch nicht eine Devianz in Form einer Pädophilie, ohne weiteres mit einer schweren anderen seelischen Abartigkeit im Sinne der §§ 20, 21 StGB gleichzusetzen ist (vgl. zuletzt Senatsurteil vom 10. März 2004 – 4 StR 563/03).
Über die Voraussetzungen einer Maßregelanordnung ist danach insgesamt neu zu befinden. In diesem Zusammenhang wird – worauf der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift zu Recht hingewiesen hat – auch zu prüfen sein, ob – wie bereits im früheren Urteil vom 28. November 2001 (UA 5) – auch eine den Angeklagten weniger belastende Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) in Betracht kommt und geeignet ist, erneuter einschlägiger Straffälligkeit des Angeklagten wirksam zu begegnen. Eine Maßregelanordnung nach § 64 StGB (hier mit der Wirkung gemäß § 67 f StGB) setzt – anders als die Maßregelanordnung nach § 63 StGB – nicht voraus, daß sich ein Zustand im Sinne des § 21 StGB sicher feststellen läßt (st. Rspr.; BGHR StGB § 64 Abs. 1 Hang 2; BGH, Beschluß vom 26. Oktober 2000 – 3 StR 343/00).
Unterschriften
Tepperwien, Maatz, Solin-Stojanović, Ernemann, Sost-Scheible
Fundstellen