Verfahrensgang
LG Offenburg (Urteil vom 22.07.2019; Aktenzeichen 503 Js 7885/18 1 Ks) |
Tenor
1. Auf die Revision der Angeklagten H. wird das Urteil des Landgerichts Offenburg vom 22. Juli 2019, soweit es sie betrifft, im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
2. Die weitergehende Revision der Angeklagten H. und die Revision des Angeklagten O. werden als unbegründet verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
4. Der Angeklagte O. hat die Kosten seines Rechtsmittels und die dem Nebenkläger hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Tatbestand
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten O. wegen Mordes zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt und im Übrigen freigesprochen; die Angeklagte H. hat es wegen Beihilfe zum Mord zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt. Die hiergegen gerichtete, auf die Rüge einer Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision der Angeklagten H. führt mit der auf die Beanstandung einer Verletzung der Vorschriften über die Öffentlichkeit der Hauptverhandlung (§ 171b Abs. 3 Satz 2 GVG) gestützten Verfahrensrüge zur Aufhebung im Strafausspruch und bleibt im Übrigen ohne Erfolg. Die ebenfalls auf die Rüge einer Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten O. ist dagegen insgesamt unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
I. Revision H.
Rz. 2
1. Der genannten Verfahrensrüge der Angeklagten H. liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:
Rz. 3
a) Das Landgericht hat durch Beschluss vom 15. März 2019 am fünften Hauptverhandlungstag auf Antrag der Zeugin Ö. die Öffentlichkeit für die Dauer der Vernehmung der Zeugin gemäß § 171b Abs. 1 und 3 GVG ausgeschlossen. Zuvor hatte der Vorsitzende darauf hingewiesen, dass der Öffentlichkeitsausschluss während der Vernehmung dazu führe, dass die Öffentlichkeit auch für die Dauer der Schlussvorträge auszuschließen sei, und den Verfahrensbeteiligten diesbezüglich Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Der Verteidiger des Angeklagten O. hatte daraufhin vorgeschlagen, einen Ausschluss der Öffentlichkeit während der Schlussvorträge dadurch zu umgehen, dass die Verfahrensbeteiligten den Namen der Zeugin in öffentlicher Hauptverhandlung nicht nennen, sondern diesen durch einen Tarnnamen ersetzen. Der Nebenklägervertreter hatte diesem Vorschlag zugestimmt, während die anderen Verfahrensbeteiligten keine Stellungnahme abgegeben hatten.
Rz. 4
Am Ende der Vernehmung der Zeugin, die das intime Verhältnis zum Angeklagten O. zum Gegenstand hatte, verständigten sich sämtliche Verteidiger, der Nebenklägervertreter sowie der Vertreter der Staatsanwaltschaft darauf, bei den Schlussvorträgen in öffentlicher Hauptverhandlung auf die Nennung des Echtnamens der Zeugin zu verzichten und den Tarnnamen „U.” für sie zu verwenden. Die Angeklagten, die sich nicht zur Sache eingelassen hatten, und der Nebenkläger äußerten sich hierzu nicht. Die Zeugin erklärte sodann auf Frage des Vorsitzenden unter den zuvor besprochenen Bedingungen ihr Einverständnis damit, dass die Schlussvorträge in öffentlicher Hauptverhandlung gehalten würden. Nach der Vernehmung der Zeugin wurde die Öffentlichkeit wiederhergestellt.
Rz. 5
b) Im weiteren Verlauf wurde die Öffentlichkeit am neunten Verhandlungstag erneut – nunmehr für die Dauer der Beweisaufnahme über die Ergebnisse einer PKW-Innenraumüberwachung des Fahrzeugs der Angeklagten auf Antrag der Verteidigung beider Angeklagten – gemäß § 171b Abs. 1 und 3 GVG ausgeschlossen und nach der diesbezüglichen Beweisaufnahme wiederhergestellt.
Rz. 6
c) Die Verteidiger, der Nebenklägervertreter und die Staatsanwaltschaft hielten ihre Schlussvorträge in öffentlicher Hauptverhandlung; auch die Inhalte der unter Ausschluss der Öffentlichkeit durchgeführten Beweisaufnahme kamen dabei zur Sprache, ohne dass der Echtname der Zeugin Ö. genannt wurde. Den Angeklagten, die sich bis zuletzt nicht zur Sache eingelassen hatten, wurde in öffentlicher Hauptverhandlung – auch Presse, Fernsehen und Freunde sowie Verwandte beider Angeklagten waren anwesend – das letzte Wort gewährt. Diese beschränkten sich hierbei darauf, sich den Ausführungen ihrer Verteidiger anzuschließen.
Rz. 7
Ein Einverständnis mit dem Halten der Schlussvorträge in öffentlicher Hauptverhandlung wurde von den Angeklagten und dem Nebenkläger nicht erteilt. Eine Entscheidung über den Ausschluss der Öffentlichkeit während der Schlussvorträge wurde nicht getroffen.
Rz. 8
2. Dieser Verfahrensrüge kann der Erfolg zum Strafausspruch nicht versagt bleiben.
Rz. 9
a) Die Verfahrensrüge ist nicht bereits nach § 171b Abs. 5 GVG i.V.m. § 336 Satz 2 StPO ausgeschlossen. Zwar ist hiernach der revisionsgerichtlichen Kontrolle entzogen, ob die in § 171b Abs. 1 bis 4 GVG normierten tatbestandlichen Voraussetzungen für einen Ausschluss der Öffentlichkeit erfüllt sind; dies umfasst indes nicht die Prüfung, ob eine generelle Befugnis – oder Verpflichtung – zum Ausschluss der Öffentlichkeit während eines bestimmten Verfahrensabschnitts bestand (vgl. BGH, Beschlüsse vom 26. Oktober 2016 – 5 StR 396/16 Rn. 5 und vom 12. November 2015 – 2 StR 311/15 Rn. 6 mwN; Urteil vom 21. Juni 2012 – 4 StR 623/11 Rn. 7, BGHSt 57, 273, 275 mwN).
Rz. 10
b) Gemäß § 171b Abs. 3 Satz 2 GVG ist die Öffentlichkeit zwingend für die Dauer der Schlussvorträge auszuschließen, wenn diese zuvor während der Beweisaufnahme nach § 171b Abs. 1 oder 2 GVG ausgeschlossen war (vgl. BGH, Beschlüsse vom 27. November 2019 – 5 StR 530/19 Rn. 4; vom 9. Mai 2019 – 4 StR 605/18 Rn. 8 und 13; vom 26. Oktober 2016 – 5 StR 396/16 Rn. 5 und vom 12. November 2015 – 2 StR 311/15 Rn. 4). Unter Schlussvorträge im Sinne des § 171b Abs. 3 Satz 2 GVG fällt dabei auch das letzte Wort des Angeklagten (vgl. BGH, Beschlüsse vom 27. November 2019 – 5 StR 530/19 Rn. 4 ff. und vom 7. Dezember 2016 – 1 StR 487/16 Rn. 12 ff.).
Rz. 11
Dabei spricht für den zwingenden Ausschluss der Öffentlichkeit nach § 171b Abs. 3 Satz 2 GVG auch während des letzten Wortes des Angeklagten, dass dieser andernfalls in seinem letzten Wort eingeschränkt sein könnte. Sinn und Zweck des letzten Wortes nach § 258 Abs. 2 und 3 StPO ist es, dem Angeklagten zu ermöglichen, auch noch im letzten Augenblick vor der Urteilsverkündung für ihn günstige Umstände gegenüber dem Gericht vorzubringen (vgl. BGH, Beschluss vom 7. Dezember 2016 – 1 StR 487/16 Rn. 15; Urteil vom 31. März 1987 – 1 StR 94/87 Rn. 4). Hierbei könnte der Angeklagte in öffentlicher Sitzung gehemmt sein, wenn es sich um Umstände handelt, die seinen persönlichen Lebensbereich betreffen und über die er sich zuvor nicht oder nur in nichtöffentlicher Sitzung geäußert hat. Dies soll § 171b Abs. 3 Satz 2 GVG jedoch gerade verhindern (vgl. BGH, Beschluss vom 7. Dezember 2016 – 1 StR 487/16 Rn. 15).
Rz. 12
c) Nachdem die Öffentlichkeit während der Vernehmung der Zeugin Ö. und für die Dauer der Beweisaufnahme über die Ergebnisse der PKW-Innenraumüberwachung gemäß § 171b Abs. 1 und 3 GVG ausgeschlossen war, stellt es sich als Verletzung der zwingenden Verfahrensregelung des § 171b Abs. 3 Satz 2 GVG dar, dass die Öffentlichkeit für die Dauer der Schlussvorträge einschließlich der Erteilung des letzten Wortes nicht ebenfalls ausgeschlossen wurde. Die vom Verteidiger des Angeklagten O. angestoßene Übereinkunft der Verteidiger, des Nebenklägervertreters und der Zeugenbeiständin, dass der Name der Zeugin Ö. in den Schlussvorträgen nicht genannt beziehungsweise allseits durch einen fiktiven Tarnnamen ersetzt werde, ändert dabei an dem Verfahrensverstoß nichts, weil der Ausschluss der Öffentlichkeit nach § 171b Abs. 3 Satz 2 GVG nicht zur Disposition der Verfahrensbeteiligten steht, sondern dem Ausschluss während der Beweisaufnahme zwingend nachfolgt.
Rz. 13
Anderes gilt auch nicht nach § 171b Abs. 4 GVG, wonach in dem Fall, dass die in ihren persönlichen Lebensbereichen betroffenen Personen dem Ausschluss der Öffentlichkeit widersprechen, die Öffentlichkeit nach § 171b Abs. 1 oder 2 GVG nicht ausgeschlossen werden darf. Die durch die Aussage der Zeugin Ö. in ihren Lebensbereichen betroffenen Personen – hierzu zählt neben der Zeugin auch der Angeklagte O. – haben einem Ausschluss der Öffentlichkeit nicht widersprochen; insbesondere ist das von der Zeugin Ö. (unter einer Bedingung) erklärte Einverständnis mit dem Unterbleiben des Ausschlusses der Öffentlichkeit während der Schlussvorträge einem Widerspruch gegen den Ausschluss der Öffentlichkeit im Sinne des § 171b Abs. 4 GVG qualitativ nicht gleichzusetzen. Zudem war das Halten der Schlussvorträge in öffentlicher Hauptverhandlung auch wegen des von den Angeklagten beantragten Öffentlichkeitsausschlusses während der Beweisaufnahme über die insbesondere deren eigene Privatsphäre berührende PKW-Innenraumüberwachung nach § 171b Abs. 3 Satz 2, Abs. 1 und 2 GVG unzulässig, woran auch ein Widerspruch der Zeugin Ö. gegen den Ausschluss der Öffentlichkeit von vornherein nichts hätte ändern können.
Rz. 14
d) Das Urteil beruht im Strafausspruch auf dem Rechtsfehler, soweit es die Angeklagte H. betrifft, weil der Senat nicht ausschließen kann, dass sich die Angeklagte bei pflichtgemäßem Ausschluss der Öffentlichkeit während der Schlussvorträge in ihrem letzten Wort in einer Weise geäußert hätte, die das Urteil in dem sie betreffenden Strafausspruch hätte beeinflussen können. Zu berücksichtigen ist insoweit, dass sich die Angeklagte aufgrund der bei ihr nach den getroffenen Feststellungen vorliegenden Angststörung, die vor allem bei Menschenansammlungen zutage tritt, gerade wegen der während der Schlussvorträge im Zuschauerraum befindlichen Personen an einer Einlassung im letzten Wort gehindert gesehen haben könnte, zumal sich unter diesen neben Presse und Medien auch Freunde und Verwandte ihres Ehemannes, des Angeklagten O., befanden, den sie bei einer Einlassung ausweislich der Ausführungen in der Revisionsbegründung naheliegenderweise belastet hätte. Zu berücksichtigen ist auch, dass zwischen der Angeklagten und ihrer Verteidigung besprochen war, dass sich die Angeklagte gegebenenfalls noch im letzten Wort zu einer – sie entlastenden – Einlassung zur Sache entschließen könne, wozu diese gerade in Anbetracht der Anträge der Staatsanwaltschaft und der Nebenklage, sie zu lebenslanger Freiheitsstrafe zu verurteilen, hätte geneigt sein können. Nach alledem kann aufgrund der Ausführungen in der Revisionsbegründung nicht ausgeschlossen werden, dass das Landgericht bei einer Einlassung der Angeklagten im letzten Wort den die Haupttat fördernden Tatbeitrag der Angeklagten und damit auch deren Schuld geringer gewichtet und daher eine geringere Strafe verhängt hätte.
Rz. 15
e) Dagegen kann mit Blick auf die dichte Beweis- und Indizienlage, auf die das Landgericht seine Überzeugung von der Haupttat und einer vorsätzlichen Unterstützung dieser Tat durch die Angeklagte zumindest in Form eines Auftretens als Lockvogel gestützt hat, ausgeschlossen werden, dass das Landgericht bei einer Einlassung der Angeklagten im letzten Wort Zweifel an der darin liegenden vorsätzlichen Förderung der Haupttat bekommen hätte. Der Schuldspruch hat daher Bestand.
Entscheidungsgründe
II. Revision O.
Rz. 16
Die Revision des Angeklagten O. deckt keinen durchgreifenden Rechtsfehler zu seinen Lasten auf. Insbesondere ist die Verfahrensrüge, mit der auch dieser Angeklagte das Unterbleiben des Ausschlusses der Öffentlichkeit während der Schlussvorträge beanstandet und eine Verletzung des § 171b Abs. 3 Satz 2 GVG geltend gemacht hat, ungeachtet der Frage ihrer Zulässigkeit jedenfalls offensichtlich unbegründet. Denn der Senat kann ausschließen, dass das Urteil hinsichtlich des Angeklagten O. auf dem Verfahrensverstoß beruht, weil sich die Beweislage gegen diesen Angeklagten insgesamt als erdrückend darstellt und zudem nichts dafür spricht, dass sich der Angeklagte bei Ausschluss der Öffentlichkeit während der Schlussvorträge in seinem letzten Wort zur Sache eingelassen oder sonstwie inhaltlich geäußert hätte. Zu berücksichtigen ist insoweit, dass der Angeklagte ausweislich der unwidersprochen gebliebenen dienstlichen Stellungnahme des Vorsitzenden der Strafkammer die ihm ausdrücklich wiederholt aufgezeigte Möglichkeit, eine Einlassung gegenüber dem Sachverständigen in einem Vieraugengespräch außerhalb der öffentlichen Hauptverhandlung abzugeben, nicht ergreifen wollte und ergriffen hat. Vor diesem Hintergrund erscheint es gänzlich fernliegend, dass der Angeklagte bei einem Ausschluss der Öffentlichkeit während der Schlussvorträge das letzte Wort für eine Einlassung genutzt hätte, die Einfluss auf den Schuld- oder Strafausspruch hätte haben können.
Unterschriften
Raum, Bellay, Bär, Leplow, Pernice
Fundstellen
Haufe-Index 14033489 |
NStZ 2021, 8 |
NStZ-RR 2020, 6 |
NStZ-RR 2021, 84 |
StraFo 2020, 378 |
HRRS 2020, 386 |