Verfahrensgang
LG München I (Urteil vom 12.04.2018) |
Tenor
1. Auf die Revision des Beschuldigten wird das Urteil des Landgerichts München I vom 12. April 2018 mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die hiergegen gerichtete und auf die Verletzung sachlichen Rechts gestützte Revision des Beschuldigten hat Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO).
Rz. 2
Der Generalbundesanwalt hat in seiner Antragsschrift vom 18. Juni 2018 Folgendes ausgeführt:
„Die Maßregelanordnung nach § 63 StGB hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
Hierbei kann dahinstehen, ob die Schuldunfähigkeit des Beschuldigten ausnahmsweise sowohl auf die fehlende Einsichts- als auch die nicht vorhandene Steuerungsfähigkeit gestützt werden kann (UA S. 12, 22). Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann zwar im Grundsatz die Anwendung von § 20 StGB nicht zugleich auf den Ausschluss sowohl der Einsichts- als auch der Steuerungsfähigkeit gestützt werden (etwa BGH, Beschluss vom 9. September 1986 – 4 StR 470/86, BGHR StGB § 63 Schuldunfähigkeit 1). Im Ausnahmefall können nach Maßgabe des entsprechenden Krankheitsbildes aber beide Fähigkeiten vollständig aufgehoben sein (Senat, Beschluss vom 6. März 2013 – 1 StR 654/12, NStZ-RR 2013, 303).
Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus kann jedenfalls deshalb keinen Bestand haben, weil das Landgericht bei der Prüfung, ob von dem Beschuldigten infolge seines Zustandes erhebliche weitere Taten zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist, nicht in den Blick genommen hat, dass alle Taten im Rahmen der Strafhaft begangen wurden (UA S. 9 ff.).
Eine Unterbringung nach § 63 StGB kommt nur in Betracht, wenn eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades dafür besteht, dass der Täter infolge seines Zustandes in Zukunft Straftaten von erheblicher Bedeutung begehen wird, also solche, die eine schwere Störung des Rechtsfriedens zur Folge haben. Die Annahme einer gravierenden Störung des Rechtsfriedens setzt nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes voraus, dass die zu erwartenden Delikte wenigstens in den Bereich der mittleren Kriminalität hineinreichen, den Rechtsfrieden empfindlich stören und geeignet sind, das Gefühl der Rechtssicherheit der Bevölkerung erheblich zu beeinträchtigen (vgl. Senat, Beschluss vom 13. Oktober 2016 – 1 StR 445/16 Rdnr. 13 m.w.N.).
Die erforderliche Prognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstat(en) zu entwickeln und hat sich darauf zu erstrecken, ob und welche Taten von dem Beschuldigten infolge seines Zustandes drohen, wie ausgeprägt das Maß der Gefährdung ist und welches Gewicht den bedrohten Rechtsgütern zukommt (vgl. Senat a.a.O. Rdnr. 15).
Diesen aufgezeigten Anforderungen genügt die Gefährlichkeitsprognose des Landgerichts nicht. Es hat lediglich dürftige Feststellungen zum Werdegang des Beschuldigten und zu seinen Vorstrafen getroffen (UA S. 4 ff.). Die Vorverurteilungen betrafen nach der ohne jegliche nähere Angaben erfolgten Auflistung wiederholt auch mit Freiheitsstrafen geahndete Gewalttaten in den Niederlanden und in Deutschland (BZR Nr. 3, 4).
Die getroffene Gefährlichkeitsprognose beruht auf der Erwägung, dass auf Grund fehlender Krankheitseinsicht des Beschuldigten (UA S. 28) wahrscheinlich mit erneuten psychotischen Exazerbationen und damit einhergehend mit der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten zu rechnen sei (UA S. 23 ff.). Die Strafkammer verhält sich jedoch nicht dazu, dass solche Verhaltensweisen, die der Beschuldigte während des Strafvollzugs gezeigt hat, innerhalb einer Einrichtung gegenüber dem Bewachungspersonal nicht ohne Weiteres denjenigen Handlungen gleichzusetzen sind, die ein Täter außerhalb einer Justizvollzugsanstalt begeht (vgl. BGH, Beschluss vom 3. September 2002 – 5 StR 399/02, NStZ-RR 2002, 331; Beschluss vom 22. Februar 2011 – 4 StR 635/10, NStZ-RR 2011, 202; Beschluss vom 25. April 2012 – 4 StR 81/12, NStZ-RR 2012, 271). Auf dieser Grundlage allein vermag die Gefahr, dass der Beschuldigte künftig den Anlasstaten gleichgelagerte Straftaten begehen wird, die Maßregelanordnung nicht zu begründen. Damit ist die vom Gesetz vorausgesetzte bestimmte Wahrscheinlichkeit der Begehung weiterer erheblicher rechtswidriger Taten nicht hinreichend belegt. Insgesamt lässt das Urteil die für eine derart einschneidende Maßregel wie die nach § 63 StGB gebotene Gründlichkeit weitgehend vermissen. Eine umfassende neue tatrichterliche Prüfung erscheint unerlässlich. Deshalb sind auch die zugrundeliegenden Feststellungen insgesamt aufzuheben, um dem neu zuständigen Tatgericht in sich stimmige Feststellungen zu ermöglichen.”
Rz. 3
Dem tritt der Senat bei.
Rz. 4
Der neue Tatrichter wird das Vorliegen einer paranoiden Schizophrenie bei dem Beschuldigten bereits seit 2001 genauer zu prüfen sowie – für die Gefährlichkeitsprognose – die in den Niederlanden und Deutschland begangenen Vortaten näher in den Blick zu nehmen und darzustellen haben.
Unterschriften
Raum, Fischer, Bär, Hohoff, Pernice
Fundstellen
Haufe-Index 11957212 |
StV 2019, 249 |