Entscheidungsstichwort (Thema)
Totschlag
Tenor
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Traunstein vom 21. September 1998 im Rechtsfolgenausspruch mit den Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Die weitergehende Revision wird verworfen.
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zur Freiheitsstrafe von zwölf Jahren verurteilt. Seine hiergegen gerichtete Revision ist offensichtlich unbegründet, soweit sie den Schuldspruch betrifft (§ 349 Abs. 2 StPO). Zum Rechtsfolgenausspruch hat die Revision mit einer Verfahrensrüge Erfolg.
1. Dieser liegt folgendes zugrunde:
In der Hauptverhandlung vom 16. Juni 1998 hatte die Verteidigung den Antrag gestellt, die von ihr geladene und erschienene Frau Dr. Z. als Sachverständige „zum Beweis der Tatsache zu vernehmen, daß bei dem Angeklagten … bei der angeklagten Tat die Voraussetzungen der §§ 20, 21 StGB gegeben sind.”
Der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft beantragte die Zurückweisung dieses Antrages und außerdem, Frau Dr. Z. wegen Besorgnis der Befangenheit als Sachverständige abzulehnen. Hierzu bezog er sich auf einen Beschluß des Landgerichts München I vom 1. August 1996 in einem anderen Verfahren, in dem Frau Dr. Z. auf Antrag der Staatsanwaltschaft als befangen abgelehnt worden war. Das Landgericht gab dem Ablehnungsgesuch durch Beschluß vom 16. Juni 1998 statt. Die Revision beanstandet, die Ablehnungsentscheidung sei in der Sache rechtsfehlerhaft und es sei über den Beweisantrag nicht entschieden worden. Soweit die Revision darüber hinaus den Gang des Ablehnungsverfahrens rügt, teilt sie die Beschlußgründe hierzu nicht mit; die Rüge ist insoweit unzulässig.
2. Im übrigen sind die Verfahrensrügen zulässig erhoben.
Die Revision legt die den Vorgang betreffenden zwei Protokollseiten und den Beschluß des Landgerichts München I vom 1. August 1996 vor; entgegen ihrer Ankündigung aber nicht den beanstandeten Ablehnungsbeschluß des Landgerichts vom 16. Juni 1998.
Gleichwohl kann die Verfahrensrüge noch als zulässig angesehen werden. Entscheidend ist die Mitteilung der „die Rüge begründenden Tatsachen”. Dazu gehört grundsätzlich jedenfalls die Mitteilung des angegriffenen Beschlusses. Das kann der Revisionsführer mit eigenen Worten tun; wesentlich ist dabei aber die Vollständigkeit des Vortrags (BGHR StPO § 344 Abs. 2 Satz 2 Beweisantragsrecht 4).
Was die sachlichen Gründe für die Annahme der Befangenheit angeht, genügt der Vortrag, der Beschluß bestehe „ausschließlich daraus, auf den Beschluß des Landgerichts München I vom 1. August 1996 zu verweisen”, denn das trifft zu. Dem steht nicht entgegen, daß das Landgericht zusätzlich „insbesondere” auf bestimmte Teile dieses Beschlusses (S. 5 Abs. 3 und 4; S. 3 lit. e) hingewiesen hat. Denn damit hat das Landgericht dem Beschluß keine weitere (nicht mitgeteilte) Begründung hinzugefügt, sondern es wurden Teile des insgesamt in Bezug genommenen Beschlusses nochmals gesondert betont (sachlich setzt sich die Revision mit diesen hervorgehobenen Punkten auseinander). Somit ist dem Erfordernis des vollständigen Revisionsvortrags Genüge getan – inhaltlich konnte nicht mehr gesagt werden.
3. Die Rüge ist auch begründet.
a) Es liegt zunächst nahe, in dem Antrag auf Vernehmung von Frau Dr. Z. einen Beweisermittlungsantrag zu sehen. Denn im Antrag ist keine Beweistatsache benannt worden, sondern nur das Beweisziel – bei dem es sich hier zudem um die vom Gericht zu entscheidende Rechtsfrage handelt, daß die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten erheblich vermindert gewesen sei (BGHSt 43, 67 f.).
Wie bei jedem Beweisantrag auf Beiziehung eines (weiteren) Sachverständigen ist es auch im Fall des § 245 Abs. 2 StPO erforderlich, daß die Tatsachen benannt werden, die geeignet sein sollen, das Beweisziel zu bestätigen. Die bloße Behauptung, beim Angeklagten lägen (im Gegensatz zur Annahme der gehörten Sachverständigen) die Voraussetzungen der §§ 20, 21 StPO vor, genügt nicht.
Ein Beweisantrag ist jedoch nicht nur nach seinem Wortlaut zu beurteilen, sondern es kommt auf Sinn und Zweck der Erklärung an, der unter Berücksichtigung der in der Hauptverhandlung zutage getretenen Umstände, gegebenenfalls sogar des Akteninhalts zu ermitteln ist (BGH NJW 1959, 396; BGH NStZ 1983, 210). Hier hatte die Verteidigung bereits eine Stellungnahme von Frau Dr. Z. zu den Gutachten der gerichtlich beauftragten Sachverständigen vorgelegt. Aus dem Antrag im Zusammenhang mit dieser Stellungnahme aber ergeben sich Sinn und Zweck sowie die das Antragsziel tragenden Tatsachen.
b) Der Einwand über den Beweisantrag auf Vernehmung von Frau Dr. Z. als Sachverständige sei nicht entschieden worden (§ 244 Abs. 6 StPO), greift nicht durch. Ob ein Sachverständiger schon vor der Entscheidung über den Beweisantrag, ihn zu vernehmen, abgelehnt werden kann (vgl. hierzu Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO 44. Aufl. § 74 Rdn. 12), kann hier offen bleiben. Denn die Bestellung ist abzulehnen, wenn die sachkundige Person als Beweismittel völlig ungeeignet ist (§ 245 Abs. 2 Satz 3 StPO). Die Entscheidung des Landgerichts, Frau Dr. Z. wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen, führte dazu, daß sie als Sachverständige nicht vernommen werden konnte. Damit war sie als Beweismittel „völlig ungeeignet”. Die Entscheidung über die Vernehmung nach § 245 Abs. 2 StPO hing somit unmittelbar mit der Entscheidung über den Befangenheitsantrag zusammen. Der Ablehnungsbeschluß enthielt der Sache nach zugleich die Entscheidung über den Beweisantrag.
c) Das Landgericht hat über den Befangenheitsantrag nicht ohne Rechtsfehler entschieden.
aa) Wenn es um die Beurteilung der Ablehnung eines Sachverständigen geht, ist das Revisionsgericht an die Tatsachen gebunden, die der Tatrichter seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat. Eigene Ermittlungen kommen – anders als bei der Richterablehnung (Kleinknecht/Meyer-Goßner aaO § 338 Rdn. 27) – nicht in Betracht. Das Revisionsgericht entscheidet als Rechtsfrage, ob über das Ablehnungsgesuch ohne Verfahrensfehler und mit ausreichender Begründung entschieden wurde (BGH NStZ 1994, 388).
bb) Soweit Bedenken gegen die Unparteilichkeit eines Sachverständigen bestehen, müssen sie sich aus dem gegenständlichen Verfahren ergeben – bestimmte Verhaltensweisen oder Vorkommnisse im Rahmen eines anderen Verfahrens genügen zunächst einmal nicht. Sollte sich herausstellen, daß es sich um durchgängige Praxis handelt, die somit auch Auswirkungen auf das Gutachten des jetzigen Verfahrens hat, kann eine Ablehnung begründet sein. Wenn das Landgericht dazu den Beschluß eines anderen Gerichts heranzieht, so ist damit zunächst (nur) glaubhaft gemacht, daß seinerzeit das Gericht diese Gründe hatte, um den Sachverständigen abzulehnen.
Das Landgericht durfte nicht ohne weiteres die für das frühere Verfahren glaubhaft gemachten Gründe übernehmen. Vielmehr war zu prüfen und zu erörtern, ob die Gründe, die zur damaligen Annahme von Befangenheit führten, noch fortbestehen und deshalb für das gegenwärtige Verfahren in gleicher Weise Geltung haben. Die im früheren Verfahren angenommene selektive und verfälschende Heranziehung und Wiedergabe von Sachverhalten, Beweiserhebungen und Befunden konnten eine Besonderheit in jenem Verfahren sein oder auch – was dann aber jetzt zu prüfen gewesen wäre – auf einer generellen Einstellung und Handhabung der Sachverständigen einseitig zu Gunsten von Angeklagten beruhen.
Das Landgericht hat „insbesondere” darauf abgehoben, daß das Landgericht München I am 1. August 1996 sich bei seiner Ablehnungsentscheidung auf Widersprüche zwischen der Zeugenaussage Dr. Z. und deren Eintragungen in Krankenunterlagen gestützt hatte, wonach eines von beiden falsch oder unvollständig sein müsse. Dieses Verhalten war anschließend in einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren überprüft worden. Dabei waren die Vorwürfe relativiert (nicht nachweisbar) und das Ermittlungsverfahren eingestellt worden. Das war dem Landgericht bei seiner Entscheidung vom 16. Juni 1998 bekannt. Trotzdem hat es sich nicht dazu geäußert, warum – unabhängig von etwaiger Strafbarkeit – aus den genannten Vorwürfen gleichwohl die Besorgnis der Befangenheit abzuleiten war. Eine Überprüfung hätte zudem ergeben, daß die Staatsanwaltschaft München I, die seinerzeit die Befangenheit von Frau Dr. Z. ‚besorgte’, daran nun nicht mehr generell festhalten wollte. Das folgt aus einem Behördenleiterschreiben vom 17. Juni 1998, wonach die damaligen Vorkommnisse mit Frau Dr. Z. besprochen worden seien und „im Hinblick darauf, daß das o.a. Ermittlungsverfahren eingestellt ist … bei der Staatsanwaltschaft München I für Frau Dr. Z. die gleichen Auswahlkriterien zu gelten (haben) wie bei der Bestellung anderer Sachverständiger.”
4. Da Schuldunfähigkeit (§ 20 StGB) nicht in Betracht kommt, kann der Rechtsfehler, der allein die Anwendung von § 21 betrifft, nur den Rechtsfolgenausspruch beeinflussen. Nur insoweit ist das Urteil mit den zugehörigen Feststellungen aufzuheben.
Die weiteren teils unzulässigen teils unbegründeten Verfahrensrügen und die Sachrüge betreffen allein den Rechtsfolgenausspruch, insbesondere die Frage erheblich verminderter Schuldfähigkeit. Insoweit verweist der Senat auf die Stellungnahme des Generalbundesanwalts.
5. Zu den übrigen Einwänden der Revision bemerkt der Senat:
a) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Strafhöhe gilt für den „Regelfall der Alltagskriminalität”, daß der Durchschnitt der erfahrungsgemäß vorkommenden Fälle nur einen verhältnismäßig geringen Schweregrad erreicht, die Strafe hierfür dann aber unter der Mitte des Strafrahmens anzusiedeln ist (BGHSt 27, 2, 4). Für Totschlag gelten diese Grundsätze nicht. Hier ist auch nicht allein bedeutsam, welche und wieviele Umstände strafschärfend und strafmildernd als bestimmend berücksichtigt worden sind. Maßgebend ist das Gesamtspektrum aller strafzumessungsrelevanten Umstände (BGHSt - GS - 34, 345; Schäfer, Praxis der Strafzumessung 2. Aufl. Rdn. 461, 471).
b) Zu den Rügen, welche die Ablehnung weiterer Sachverständiger betreffen:
aa) Zunehmende umfangreiche (nach den Erfahrungen des Senats sogar mehrmonatige, vgl. BGH, Urt. vom 12. Februar 1998 - 1 StR 588/97, teilweise abgedruckt in NStZ 1998, 422) Auseinandersetzungen um die Zulassung von der Verteidigung geladener Personen als Sachverständige oder Zeugen verdunkeln das eigentliche Anliegen des Strafprozesses und sind unter prozeßökonomischem Aspekt zweifelhaft.
Entscheidend ist, daß der Richter den Sachverständigen leitet und dafür sorgt, daß dieser als Gehilfe des Gerichts sein Gutachten erstattet. Bei Fragen der §§ 20, 21 StGB, also der „Fähigkeit zu normgerechten Verhalten zur Tatzeit” (vgl. hierzu und zu psychiatrischen Gutachten mit psychoanalytischem Ansatz Senatsentscheidung vom 7. Juli 1999 - 1 StR 207/99), entscheidet der Richter über die Erheblichkeit einer Beeinträchtigung als Rechtsfrage (BGHSt 43, 67).
bb) Das Gesetz gestattet bei unmittelbar geladenen Personen eine Entschädigung nur, wenn die „Vernehmung …. zur Aufklärung der Sache dienlich war” (§ 220 Abs. 3 StPO).
Eine – schon zur Vermeidung von Mißbrauch (BGH bei Holtz in MDR 1976, 814 f.) – sich am Wortlaut des Gesetzes ausrichtende und damit restriktive Beurteilung ergibt, daß das nur dann der Fall ist, wenn das Gutachten die Entscheidung (oder den weiteren Verfahrensgang) im Ergebnis beeinflußt hat (OLG München StV 1996, 491 f.; Gollwitzer in LR StPO 25. Aufl. § 220 Rdn. 29). Es genügt nicht, daß einem Beweisantrag nach § 245 Abs. 2 StPO stattgegeben (Tolksdorf in KK 4. Aufl. § 220 Rdn. 14) oder zur Sache Gehörendes ausgesagt wurde. Das Beweismittel muß der weiteren Aufklärung gedient, also den Verfahrensgang oder die Beurteilung der Sache gefördert haben (Gollwitzer aaO). Das ist nicht der Fall bei Übereinstimmung mit den gerichtlichen Gutachten oder wenn das Gericht dem mitgebrachten Sachverständigen nicht gefolgt ist und dessen Gutachten bei Berücksichtigung der gerichtlichen Gutachten auch keinen modifizierenden Einfluß auf die Entscheidung hatte. Allein die Diskussion über das neue (weitere) Gutachten oder der Umstand, daß sich das Gericht (oder der von ihm geladene Sachverständige) mit den Einwänden des unmittelbar geladenen Sachverständigen auseinandersetzt, begründet für sich noch nicht die Annahme, der Sachverständige habe der Aufklärung der Sache gedient. Andernfalls könnte jegliches Vorbringen als „zur Aufklärung dienlich” angesehen werden; dem stehen schon der Wortlaut des § 220 Abs. 3 StPO und der Sinn dieser Bestimmung entgegen. Allein die Diskussion über einen Gegenstand besagt noch nichts über ihre Eignung zur Wahrheitsförderung (aA Widmaier StV 1985, 528; vgl. auch OLG München aaO). Auch insoweit dient der Strafprozeß (allein) der Aufklärung entscheidungserheblicher Tatsachen.
Unterschriften
Schäfer, Brüning, Wahl, Boetticher, Schomburg
Fundstellen
Haufe-Index 539997 |
NStZ 1999, 632 |
wistra 1999, 469 |
StV 1999, 576 |