Verfahrensgang
LG Erfurt (Urteil vom 15.03.2010) |
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Erfurt vom 15. März 2010 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in acht Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt und ihn im Übrigen freigesprochen. Die auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat Erfolg.
Rz. 2
1. Die Beweiswürdigung, auf der die Verurteilung des Angeklagten in den Fällen II. 1 – 7 beruht, hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
Rz. 3
Die Kammer hat sich in diesen Fällen im Wesentlichen auf die Angaben des Zeugen W. gestützt, der in der Hauptverhandlung zunächst angegeben hat, nach Bestellung über den Zeugen Sa. vom Angeklagten ca. ein Jahr lang, zuletzt Ende 2007, mit Haschisch beliefert worden zu sein. Er habe einmal im Monat 1 kg erworben, in zwei Fällen auch wesentlich mehr, ohne die Menge angeben zu können (UA S. 8). Auf Vorhalt seiner polizeilichen Beschuldigtenvernehmung vom 27. Oktober 2008 hat er die Angaben korrigiert und eingeräumt, es könne sein, dass die Lieferungen des Angeklagten erst im Juni 2007 begonnen hätten. Unter Zugrundelegung der Angaben der Vernehmungsbeamten aus den Beschuldigtenvernehmungen vom 27. Oktober bzw. 21. November 2008, bei denen der Angeklagte von mindestens fünf Geschäften über 1 kg Haschisch gesprochen und detailliert über zwei weitere Geschäfte mit je 7 kg berichtet habe (UA S. 13), hat die Kammer den Angeklagten in sieben Fällen wegen unerlaubten Handeltreibens in nicht geringer Menge schuldig gesprochen (UA S. 14) und ihn hinsichtlich dreier weiterer angeklagter Taten zwischen August 2006 und April 2007 freigesprochen (UA S. 15). Den Angaben des Zeugen W. ist das Landgericht gefolgt, obwohl dieser sowohl in einer polizeilichen wie auch in einer richterlichen Beschuldigtenvernehmung vom 1. Juli 2008 den Zeugen Sa. als Lieferanten benannt hatte (UA S. 9) und auch in dem gegen ihn ergangenen Strafurteil vom 4. Dezember 2008 der Zeuge Sa. und nicht der Angeklagte S. als Lieferant genannt ist (UA S. 9). Dies begegnet – auch wenn die Kammer in den Urteilsgründen auf die Korrektur der Angaben durch die Vernehmungen vom 27. Oktober und 21. November 2008 eingeht und zudem erörtert, warum der Zeuge Sa. und nicht der Angeklagte in dem gegen den Zeugen W. ergangenen Urteil als Veräußerer der von jenem erworbenen Betäubungsmittel aufgeführt sei (UA S. 9) – durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
Rz. 4
Der Zeuge W. hat ersichtlich mehrfach, beginnend von der ersten Einlassung als Beschuldigter am 1. Juli 2008 bis hin zu seiner Vernehmung in der gegen den Angeklagten gerichteten Hauptverhandlung, seine Aussage geändert und abwechselnd den Zeugen Sa. oder den Angeklagten als eigentlichen Betäubungsmittellieferanten belastet. Diese unkonstanten Angaben, die offenbar auch den Tatzeitraum betreffen, hätten für das Landgericht Anlass für eine besonders sorgfältige Würdigung der Aussage des Zeugen W. sein müssen. Dabei hätte die Kammer die Entstehung der einzelnen Angaben des Zeugen sowie ihre jeweiligen Inhalte im Einzelnen darlegen und vor allem – unter besonderer Berücksichtigung der von dem Zeugen für den jeweiligen Aussagewechsel gegebenen Erklärungen – erörtern müssen, aus welchem Grunde sie sich welcher Tatversion anschließt. Diesen Anforderungen ist die Kammer nur zum Teil gerecht geworden. So hat sie zwar in (noch) genügender Weise erläutert, dass aus ihrer Sicht die Korrektur der ursprünglichen Angaben durch die polizeilichen Vernehmungen vom 27. Oktober und 21. November 2008 der Glaubhaftigkeit der dabei gemachten, jetzt der Entscheidung zugrunde gelegten Angaben nicht entgegenstehe (vgl. UA S. 9). Sie hat sich aber nicht hinreichend mit dem zweiten Aussagewechsel des Zeugen unmittelbar nach der ersten Korrektur in den polizeilichen Vernehmungen in seiner eigenen Hauptverhandlung am 4. Dezember 2008 auseinander gesetzt. Es wird schon nicht klar, ob sich der Zeuge hierzu in der Hauptverhandlung gegen den Angeklagten geäußert hat; ebenso wenig erhellt sich, warum dieser nochmalige Aussagewechsel aus Sicht der Kammer für die Glaubwürdigkeit des Zeugen keine Rolle spielt. Die Ausführungen der Kammer in diesem Zusammenhang, die sich lediglich mit dem Umstand befassen, warum das Urteil gegen den Zeugen W. als Lieferanten den Zeuge Sa. nennt, greifen zu kurz, wenn sie sich mit den Aussagen von Prozessbeteiligten an dem damaligen Verfahren auseinandersetzen, anstatt die Frage zu stellen, aus welchem Grund der Zeuge W. entsprechende Angaben in seinem Verfahren gemacht hat und ob dies für deren Glaubhaftigkeit von Bedeutung ist.
Rz. 5
Die Auseinandersetzung mit dieser Frage war umso mehr geboten, als nichts dafür ersichtlich ist, dass der von dem Zeugen für den ersten Aussagewechsel angegebene Grund, er habe sich von dem Angeklagten zunächst bedroht gefühlt und sei schließlich erst infolge der veränderten Sicherheitssituation in der Untersuchungshaft zu wahren Angaben hinsichtlich des Lieferanten bereit gewesen (vgl. UA S. 9), in dem bis zu seiner Hauptverhandlung dauernden kurzem Zeitraum entfallen sein könnte. Mit dem Umstand, dass der Zeuge in der gegen ihn gerichteten Hauptverhandlung gleichwohl zu seiner ursprünglichen Aussageversion zurückgekehrt ist, hätte sich das Landgericht deshalb – insbesondere vor dem Hintergrund der Feststellung, dass er ausdrücklich erklärt haben soll, keine vorsätzlich falschen Angaben in den polizeilichen Vernehmungen vom 27. Oktober und 21. November 2008 gemacht zu haben – eingehend auseinandersetzen müssen. Dies war im Übrigen nicht deshalb entbehrlich, weil das Landgericht mögliche Falschbelastungsmotive des Zeugen (UA S. 10: Absprache mit dem Zeugen Sa.; § 31 BtMG) erörtert und deren Vorliegen verneint hat, weil auch das Fehlen solcher Motive den zweimaligen Aussagewechsel nicht erklären kann.
Rz. 6
2. Der aufgezeigte Mangel in der Beweiswürdigung hinsichtlich der Fälle II. 1 – 7 erfasst auch die Verurteilung im Fall II. 8. Denn auch insoweit stützt sich die Kammer auf die Angaben des Zeugen W. (vgl. UA S. 8, 14). Dass sich eine Änderung in der Beurteilung der Glaubwürdigkeit des Zeugen W. nach der in den Fällen II. 1 – 7 gebotenen besonderen Würdigung seiner Angaben auch Auswirkungen auf die Beweislage im Fall II. 8 haben könnte, versteht sich von selbst. Dies ist im Übrigen nicht deshalb auszuschließen, weil die Angaben insoweit von dem Zeugen Sa. bestätigt worden sind (vgl. UA S. 7 f., 14). Auch dessen Angaben bedürfen – sowohl vor dem Hintergrund, dass die Kammer selbst seine Angaben teilweise für wenig überzeugend hält, als auch im Hinblick auf die auf den ersten Blick wenig einleuchtende Einlassung, die bei ihm aufgefundenen Betäubungsmittel habe der Angeklagte offensichtlich in seiner Wohnung zurückgelassen (UA S. 8) – einer über die bisherige Prüfung hinausgehenden sorgfältigeren Würdigung.
Unterschriften
Rissing-van Saan, Fischer, Schmitt, Krehl, Eschelbach
Fundstellen
Haufe-Index 2579096 |
StV 2011, 524 |