Entscheidungsstichwort (Thema)
unerlaubtes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge
Leitsatz (amtlich)
Stellt der Tatrichter bei einem Betäubungsmitteldelikt einen Aufklärungserfolg nach § 31 Nr. 1 BtMG fest, kann eine nach § 49 Abs. 2 StGB mögliche Milderung des an sich anzuwendenden Strafrahmens nicht allein mit der Begründung versagt werden, die Menge des verstrickten Rauschgifts sei zu hoch; maßgeblich ist auch das Gewicht des Aufklärungserfolges.
Normenkette
BtMG 1981 § 31 Nr. 1
Verfahrensgang
Tenor
1. Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Mosbach vom 2. Juli 2001 im Strafausspruch mit den Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Gründe
Das Landgericht hat die Angeklagte wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt und einen Betrag von 2.500 DM für verfallen erklärt. Hiergegen wendet sich die Angeklagte mit ihrer Revision, mit der sie die Verletzung sachlichen Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat im Strafausspruch Erfolg; im übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
1. Nach den Feststellungen fand die Angeklagte aufgrund eines Hinweises ihres kurz zuvor wegen des Verdachts des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln festgenommenen Lebensgefährten im Keller ihrer Wohnung 200 g Heroin mit einem Heroinhydrochloridgehalt von 43 %. Sie veräußerte das Heroin – teilweise auf Kommission – an dessen frühere Kunden, damit diese das Rauschgift mit Gewinn weiterverkaufen sollten. Sie wollte den Erlös für ihren Lebensgefährten verwenden. Aufgrund der freiwilligen Offenbarung ihres Wissens konnten Betäubungsmittelstraftaten von vier anderen Beschuldigten aufgedeckt werden.
Die Strafkammer hat die Strafe dem Regelstrafrahmen des § 29a Abs. 1 BtMG entnommen, der von einem Jahr bis 15 Jahre Freiheitsstrafe reicht. Das Vorliegen eines minder schweren Falles nach § 29a Abs. 2 BtMG sowie eine mögliche Strafrahmenverschiebung nach § 31 Nr. 1 BtMG, § 49 Abs. 2 StGB hat die Kammer mit folgender Begründung verneint:
„Es wurde neben dem vertypten Strafmilderungsgrund gesehen, daß die Angeklagte nicht vorbestraft und geständig war. Auch die besondere Strafempfindlichkeit der Angeklagten sowie der Umstand, daß es sich um eine einmalige Gelegenheitstat handelte, wurden bedacht. Für die Angeklagte sprach schließlich, daß sie den Erlös aus den Geschäften für ihren Lebensgefährten verwenden wollte, wodurch die Angeklagte ihre Tatbeteiligung in die Nähe der Beihilfe stellte. Andererseits mußte aber berücksichtigt werden, daß das etwa 57-fache der nicht geringen Menge Heroin [86 Gramm Heroinhydrochlorid] an den Endverbraucher gelangte.Aus den gleichen Gründen schied auch eine Herabsetzung des Mindestmaßes gemäß §§ 31 BtMG, 49 Abs. 2 StGB aus.”
2. Diese Begründung für die Ablehnung einer Strafrahmenverschiebung nach § 31 BtMG i.V.m. § 49 Abs. 2 StGB hält rechtlicher Überprüfung nicht stand. Die Strafkammer hat sich bei den ihr nach § 31 BtMG offen stehenden Wahlmöglichkeiten für eine Strafmilderung allein auf die festgestellte Rauschgiftmenge gestützt.
a) Nicht zu beanstanden ist allerdings, daß die Strafkammer keinen minder schweren Fall nach § 29a Abs. 2 BtMG angenommen hat. Bei dieser zunächst gebotenen Prüfung (st. Rspr.; BGH, Beschl. vom 7. April 1999 – 2 StR 96/99) stellt die festgestellte Aufklärungshilfe einen vertypten Strafmilderungsgrund (BGHR BtMG § 31 Nr. 1 Aufdeckung 22) dar, der in eine Gesamtabwägung aller strafzumessungserheblichen Umstände einzubeziehen ist, wenn die allgemeinen Milderungsgründe für die Annahme eines minder schweren Falles auch ohne den vertypten Milderungsgrund nicht ausreichen. Die Kammer ist aufgrund der Tatumstände zu dem Ergebnis gelangt, daß der Beitrag der Angeklagten zum unerlaubten Handeltreiben in der Nähe zur Beihilfe liegt. Zugunsten der Angeklagten hat sie auch als Nachtatverhalten das frühe umfassende Geständnis und die Aufklärungshilfe berücksichtigt. Diesen Gesamtumständen, die eher für das Vorliegen eines minder schweren Falles sprechen, hat die Kammer als erschwerenden Umstand gegenübergestellt, daß das etwa 57-fache des Grenzwertes der nicht geringen Menge an den Endverbraucher gelangt ist. Indem sie in den Urteilsgründen zum Ausdruck gebracht hat, sie habe den vertypten Strafmilderungsgrund des § 31 BtMG „gesehen”, hat sie noch ausreichend zum Ausdruck gebracht, daß der Erschwerungsgrund der erheblichen Rauschgiftmenge die Milderungsgründe einschließlich der Aufklärungshilfe überwiegt. Diese tatrichterliche Würdigung ist revisionsrechtlich hinzunehmen.
b) Stellt der Tatrichter jedoch bei einem Betäubungsmitteldelikt einen Aufklärungserfolg nach § 31 Nr. 1 BtMG fest, kann eine nach § 49 Abs. 2 StGB mögliche Milderung des an sich anzuwendenden Strafrahmens nicht allein mit der Begründung versagt werden, die Menge des verstrickten Rauschgifts sei zu hoch; maßgeblich ist auch das Gewicht des Aufklärungserfolges.
Kriminalpolitisches Ziel der Vorschrift des § 31 BtMG ist, über die Aufklärungshilfe von in Rauschgiftdelikte verstrickten Tätern und Beteiligten in den illegalen Rauschgiftmarkt einzudringen und die Möglichkeiten der strafrechtlichen Verfolgung begangener (Nr. 1) und der Verhinderung geplanter (Nr. 2) Straftaten zu verbessern (BGHSt 31, 163, 167; 33, 80, 81; BGH StV 1998, 601; 1994, 543, 544; BTDrucks. 8/3551 S.47). Insbesondere hatte der Gesetzgeber dabei schwerwiegende Betäubungsmittelstraftaten im Auge. Er hat deshalb für aufklärungsbereite Betäubungsmittelstraftäter den Anreiz eines schuldunabhängigen Strafmilderungsgrundes geschaffen.
In Fällen des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge nach § 29a BtMG eröffnet § 31 Nr. 1 BtMG bei Anordnung der Strafrahmenverschiebung nach § 49 Abs. 2 i.V.m. § 38 Abs. 2 StGB einen Strafrahmen von einem Monat (oder Geldstrafe) bis fünfzehn Jahre Freiheitsstrafe, der ungünstiger sein kann als der des minder schweren Falles (drei Monate bis fünf Jahre Freiheitsstrafe), weil die Obergrenze des Strafrahmens bestehen bleibt, aber günstiger als der Regelstrafrahmen von einem Jahr bis fünfzehn Jahre Freiheitsstrafe, weil er, wegen der Herabsetzung der Mindeststrafe, bei Taten von nicht allzu großem Gewicht die Verhängung einer Strafe erlaubt, die noch zur Bewährung ausgesetzt werden kann. Gerade diese Privilegierung der Aufklärungshilfe entspricht einem der Ziele der Vorschrift des § 31 Nr. 1 BtMG, einem Aufklärungsgehilfen die Möglichkeit zu geben, durch eine Strafaussetzung zur Bewährung den Weg aus der Rauschgiftszene zu schaffen und den bisherigen Kontakt zum Rauschgift aufzugeben (Weber, Betäubungsmittelgesetz § 31 Rdn. 127; Körner, Betäubungsmittelgesetz 5. Aufl. § 31 Rdn. 80; jeweils m.w.N.).
Steht zur Überzeugung des Tatrichters fest, daß die Darstellung eines Angeklagten über die Beteiligung anderer an der Tat zutrifft, so kann er unabhängig von der persönlichen Schuld eine Strafrahmenverschiebung vornehmen, wenn die Aufklärungshilfe Gewicht hat. Gewichtig ist die Aufklärungshilfe dann, wenn der Angeklagte einen wesentlichen Beitrag zum Aufklärungserfolg geleistet hat, nämlich, wenn ohne ihn die Tat nicht oder nicht vollständig aufgeklärt und die Überführung von Tatbeteiligten oder die Entdeckung von Organisations- und Vertriebsstrukturen, Schmuggelwegen, Rauschgiftlabors und -depots nicht oder nicht im gegebenen Umfang möglich gewesen wäre (Weber aaO § 31 Rdn. 87). Dies gilt um so mehr, wenn Hinterleute oder Lieferanten genannt werden. Dabei ist die Anwendung des § 31 BtMG nicht etwa nur auf bestimmte – weiche – Drogen oder auf Fälle geringer Mengen Rauschgift beschränkt. So darf sich der Tatrichter der Anwendung des § 31 BtMG nicht deshalb verschließen, weil die von der Rechtsprechung gezogene Grenze einer nicht geringen Menge überschritten worden ist (vgl. BGH StV 1998, 601 zur Anwendung des § 31 BtMG auf einen bandenmäßig betriebenen Handel mit 140 kg Haschisch nach § 30a Abs. 1 BtMG, „um auch nach außen ein Zeichen zu setzen”).
c) Die Begründung des Landgerichts für die Ablehnung der Strafrahmenverschiebung („aus den gleichen Gründen”) läßt erkennen, daß es diese Maßstäbe nicht angewandt hat. Da nicht auszuschließen ist, daß anderenfalls auf eine noch aussetzungsfähige Strafe hätte erkannt werden können, bedarf die Sache neuer Entscheidung. Die Verfallsanordnung kann bestehen bleiben.
Unterschriften
Schäfer, Nack, Boetticher, Schluckebier, Hebenstreit
Fundstellen
Haufe-Index 668056 |
NJW 2002, 908 |
Nachschlagewerk BGH |
StV 2002, 259 |