Verfahrensgang
LG Berlin (Urteil vom 16.10.2012) |
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 16. Oktober 2012 nach § 349 Abs. 4 StPO mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit eine Aussetzung der Vollstreckung der Freiheitsstrafe zur Bewährung abgelehnt worden ist.
2. Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendschutzkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten – unter Freisprechung im Übrigen – wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes unter Einbeziehung einer Geldstrafe aus einem Strafbefehl (wegen Besitzes kinderpornographischer Schriften) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und acht Monaten verurteilt, deren Vollstreckung nicht zur Bewährung ausgesetzt wurde. Die auf die allgemeine Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten ist im Umfang der Beschlussformel begründet; im Übrigen ist sie unbegründet gemäß § 349 Abs. 2 StPO.
Rz. 2
1. Nach den Feststellungen besteht bei dem bereits einmal im Jahr 1999 wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern zu einer Bewährungsstrafe verurteilten Angeklagten eine – wahrscheinlich nicht ausschließliche – sexuelle Präferenz für junge Mädchen kurz vor oder an der Grenze zur Pubertät, deren er sich auch bewusst ist. Diese lebt er vorwiegend voyeuristisch aus; den Wunsch nach sexuellen Kontakten mit solchen Mädchen kann er weitgehend kontrollieren. Im Sommer 2010 arbeitete der Angeklagte als Reinigungskraft in einer Schule. Aus dieser Tätigkeit ergaben sich Kontakte mit Kindern. Da er über einen Schlüssel verfügte, traf er sich in der Schule auch an den Wochenenden zum Spielen mit Kindern, unter anderem mit den damals 11-jährigen Zwillingen A. und M. S.. Bei einer dieser Gelegenheiten zog er A. die Hose und die Unterhose herunter, rieb mit einem Finger an ihrer nackten Scheide und drang dabei für kurze Zeit in den Scheidenvorhof ein.
Rz. 3
Das Landgericht hat einen minder schweren Fall des schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern gemäß § 176a Abs. 4 StGB angenommen. Dabei hat es die – im Vergleich zu anderen vom Tatbestand erfassten Verhaltensweisen – eher geringe Intensität der Einwirkung besonders stark gewichtet, daneben aber auch die erhöhte Straf- und Haftempfindlichkeit des zurzeit psychisch „angeschlagenen” Angeklagten sowie den Umstand, dass der Angeklagte sich fast zwei Jahre mit den schließlich nur teilweise bestätigten verfahrensgegenständlichen Vorwürfen konfrontiert sah und ihn dies stark belastet hat. Außerdem habe er seitdem „ansatzweise ein Bewusstsein für seine problematische Veranlagung entwickelt”, wenngleich er sich bisher noch nicht habe durchringen können, professionelle Hilfe zu suchen (UA S. 39). Eine Strafaussetzung zur Bewährung hat es ihm indes mangels positiver Kriminalprognose sowie angesichts des Fehlens besonderer Umstände im Sinne des § 56 Abs. 2 StGB verwehrt.
Rz. 4
2. Die Begründung, mit der das Landgericht eine Strafaussetzung zur Bewährung abgelehnt hat, begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
Rz. 5
Das Landgericht entnimmt der früheren einschlägigen Verurteilung zu einer Bewährungsstrafe im Jahr 1999, der hier festgestellten Tat sowie dem Fund von kinder- und jugendpornographischen Dateien, der dem einbezogenen Strafbefehl zugrunde liegt, dass sich die vom Angeklagten selbst eingeräumte sexuelle Ausrichtung auf Mädchen im Kindesalter bei ihm bereits verfestigt habe. Es sei nicht zu erwarten, dass er ohne professionelle Hilfe in der Lage sein werde, diese Neigung künftig vollständig zu unterdrücken.
Rz. 6
Die Strafkammer setzt sich an dieser Stelle nicht mit der Frage auseinander, inwieweit insbesondere durch die Erteilung von Therapieweisungen sowie Weisungen nach § 56c Abs. 2 Nr. 3 StGB die Voraussetzungen für eine günstige Kriminalprognose geschaffen werden können (vgl. BGH, Beschluss vom 8. Oktober 1991 – 4 StR 440/91, BGHR StGB § 56 Abs. 1 Sozialprognose 21). Für eine mögliche therapeutische Erreichbarkeit des Angeklagten spricht nicht nur, dass er seine pädophilen Neigungen erkannt und selbst eingeräumt hat. Vielmehr ist es ihm in der Vergangenheit auch gelungen, seinen langjährig bestehenden Alkoholmissbrauch mit Hilfe einer stationären Alkoholtherapie und einer Selbsthilfegruppe in den Griff zu bekommen und seitdem keinen Alkohol mehr zu trinken. Zudem weist der Umstand, dass der Angeklagte unter der Belastung des hiesigen Ermittlungsverfahrens einen – ernstzunehmenden und möglicherweise mit bleibenden körperlichen Folgen verbundenen – Selbstmordversuch begangen hat, darauf hin, dass er bereits durch das gegen ihn geführte Strafverfahren stark beeindruckt worden ist.
Unterschriften
Basdorf, Sander, Schneider, Dölp, Bellay
Fundstellen