Tenor
Die sofortige Beschwerde des Angeklagten gegen den Beschluss des Vorsitzenden des 7. Strafsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 5. Februar 2024 wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Gründe
I.
Rz. 1
1. Der Generalbundesanwalt legt dem Beschwerdeführer mit Anklageschrift vom 27. November 2023 zur Last, er habe im Zeitraum von November 2020 bis Juli 2022 in 20 Fällen von Deutschland aus als Sympathisant der terroristischen Vereinigung im Ausland „Islamischer Staat“ (IS) Gelder - insgesamt 25.410,76 € - gesammelt, über Dritte erfolgreich an IS-Mitglieder in Syrien transferiert und so - wie beabsichtigt - deren dortiges Tätigwerden für die Vereinigung gefördert (vgl. zu den Tatvorwürfen im Einzelnen BGH, Beschluss vom 13. Dezember 2023 - AK 91-95/23, juris Rn. 83 ff.).
Rz. 2
In rechtlicher Hinsicht geht die Anklageschrift davon aus, der Beschwerdeführer habe durch 20 selbständige Handlungen die terroristische Vereinigung im Ausland „Islamischer Staat“ unterstützt, deren Zwecke und Tätigkeiten darauf gerichtet seien, Mord (§ 211 StGB), Totschlag (§ 212 StGB), Völkermord (§ 6 VStGB), Verbrechen gegen die Menschlichkeit (§ 7 VStGB) oder Kriegsverbrechen (§ 8 ff. VStGB) zu begehen, und jeweils tateinheitlich gegen das Bereitstellungsverbot der im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften (ABl. L 139 vom 29. Mai 2002, S. 9) veröffentlichten unmittelbar geltenden Verordnung (EG) Nr. 881/2002 des Rates vom 27. Mai 2002, die der Durchführung einer vom Rat der Europäischen Union im Bereich der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik beschlossenen wirtschaftlichen Sanktionsmaßnahme dient, verstoßen. Der Beschwerdeführer habe sich mithin mutmaßlich strafbar gemacht gemäß § 129a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 5 Satz 1, § 129b Abs. 1 Satz 1 und 2 StGB, § 18 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a Variante 8 AWG in Verbindung mit Art. 2 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 881/2002 vom 27. Mai 2002 und der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 632/2013 der Kommission der Europäischen Union vom 28. Juni 2013 (ABl. L 179 vom 29. Juni 2013, S. 85), § 53 StGB. Dem entspricht die vorläufige rechtliche Beurteilung durch den Senat in seinem Haftfortdauerbeschluss vom 13. Dezember 2023 (BGH, Beschluss vom 13. Dezember 2023 - AK 91-95/23, juris Rn. 117 ff.).
Rz. 3
Der zuständige 7. Strafsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf hat mit Beschluss vom 22. Februar 2024 die gegen insgesamt fünf Personen erhobene Anklage unverändert zur Hauptverhandlung zugelassen und das Hauptverfahren eröffnet. Die Hauptverhandlung soll am 17. April 2024 beginnen; gegenwärtig sind 20 Hauptverhandlungstage vorgesehen und mit den Verteidigern der fünf Angeklagten abgesprochen worden.
Rz. 4
2. Der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs hat mit Beschluss vom 1. Juni 2023 (2 BGs 718/23) dem Beschwerdeführer Rechtsanwalt K. aus Kö. als Pflichtverteidiger beigeordnet. Mit Schriftsatz vom 9. Januar 2024 hat Rechtsanwalt H. aus Kö., der für den Angeklagten neben dem Pflichtverteidiger als Wahlverteidiger tätig ist, seine Beiordnung als zusätzlicher zweiter Pflichtverteidiger gemäß § 144 Abs. 1 StPO beantragt. Er hat zum einen geltend gemacht, der Pflichtverteidiger erwarte für Ende Mai 2024 die Geburt seines dritten Kindes, so dass er möglicherweise für längere Zeit nicht zur Verfügung stehe. Zum anderen ergebe sich die Notwendigkeit eines zweiten Pflichtverteidigers aus dem Umfang des Verfahrensstoffes: Der Aktenbestand belaufe sich auf 185 Bände nebst einer Vielzahl elektronischer Dateien, die Anklage benenne 48 Zeugen und der Strafsenat des Oberlandesgerichts habe 20 Verhandlungstage veranschlagt.
Rz. 5
Der Vorsitzende des 7. Strafsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf hat den Antrag mit Beschluss vom 5. Februar 2024 (III-7 St 3/23) abgelehnt. Die Voraussetzungen des § 144 Abs. 1 StPO für die Bestellung eines weiteren Pflichtverteidigers lägen nicht vor. Das Verfahren sei weder besonders umfangreich noch besonders schwierig. Zudem sei keine Verfahrensdauer absehbar, die eine Mitwirkung eines zweiten Pflichtverteidigers zur Verfahrenssicherung erforderlich erscheinen lasse, und gebe es keine zureichenden Hinweise auf eine drohende längerfristige Verhinderung des bestellten Pflichtverteidigers.
Rz. 6
Gegen diesen Beschluss wendet sich der Wahlverteidiger des Angeklagten mit einer namens und im Auftrag des Angeklagten erhobenen sofortigen Beschwerde vom 7. Februar 2024. Der Generalbundesanwalt hat beantragt, das Rechtsmittel als unbegründet zu verwerfen.
II.
Rz. 7
Die sofortige Beschwerde ist gemäß § 142 Abs. 7 Satz 1, § 304 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 Nr. 1 StPO statthaft (vgl. BGH, Beschlüsse vom 24. März 2022 - StB 5/22, juris Rn. 7; vom 31. August 2020 - StB 23/20, NJW 2020, 3736 Rn. 7 [insoweit in BGHSt 65, 129 nicht abgedruckt]) und auch im Übrigen zulässig (§ 306 Abs. 1, § 311 Abs. 1 und 2 StPO). Der Wahlverteidiger hat das Rechtsmittel ausdrücklich für den - allein beschwerdeberechtigten - Angeklagten eingelegt (vgl. insofern BGH, Beschlüsse vom 5. Mai 2022 - StB 12/22, juris Rn. 7; vom 24. März 2022 - StB 5/22, juris Rn. 8). Der Angeklagte selbst ist beschwerdebefugt; er ist durch eine rechtsfehlerhafte Ablehnung der Bestellung eines weiteren Pflichtverteidigers im Rechtssinne beschwert, weil er hierdurch in seinem Recht auf Wahrung des Beschleunigungsgrundsatzes (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2, Art. 6 Abs. 1 EMRK) betroffen sein kann (vgl. BGH, Beschlüsse vom 24. März 2022 - StB 5/22, juris Rn. 9; vom 31. August 2020 - StB 23/20, NJW 2020, 3736 Rn. 7, 9 [insoweit in BGHSt 65, 129 nicht abgedruckt]).
III.
Rz. 8
Das Rechtsmittel ist jedoch unbegründet. Die Entscheidung des Vorsitzenden des 7. Strafsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf, den Antrag des Angeklagten auf Bestellung eines weiteren Pflichtverteidigers abzulehnen, ist nicht zu beanstanden.
Rz. 9
1. Zum Prüfungsmaßstab und zu den Voraussetzungen für die Bestellung eines zusätzlichen Pflichtverteidigers gilt:
Rz. 10
a) Das Rechtsmittelgericht nimmt bei der Entscheidung über die sofortige Beschwerde gegen die Ablehnung der Bestellung eines zusätzlichen Pflichtverteidigers durch das erkennende Gericht keine eigenständige Beurteilung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 144 Abs. 1 StPO vor und übt kein eigenes Ermessen auf der Rechtsfolgenseite aus, sondern kontrolliert die angefochtene Entscheidung lediglich im Rahmen einer Vertretbarkeitsprüfung dahin, ob der Vorsitzende seinen Beurteilungsspielraum und die Grenzen seines Entscheidungsermessens überschritten hat (vgl. BGH, Beschlüsse vom 5. Mai 2022 - StB 12/22, juris Rn. 8, 13; vom 24. März 2022 - StB 5/22, NStZ 2022, 696 Rn. 18; vom 31. August 2020 - StB 23/20, BGHSt 65, 129 Rn. 17 f.; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl., § 144 Rn. 12).
Rz. 11
b) Nach der Vorschrift des § 144 Abs. 1 StPO können in Fällen der notwendigen Verteidigung einem Beschuldigten zu seinem Wahl- oder (ersten) Pflichtverteidiger „bis zu zwei weitere Pflichtverteidiger zusätzlich“ bestellt werden, „wenn dies zur Sicherung der zügigen Durchführung des Verfahrens, insbesondere wegen dessen Umfang oder Schwierigkeit, erforderlich ist“. Die Beiordnung eines zusätzlichen Pflichtverteidigers ist somit nicht schon dann geboten, wenn sie eine das weitere Verfahren sichernde Wirkung hat, also grundsätzlich zur Verfahrenssicherung geeignet ist. Vielmehr muss die Bestellung eines Sicherungsverteidigers zum Zeitpunkt ihrer Anordnung zur Sicherung der zügigen Verfahrensdurchführung notwendig sein (BGH, Beschlüsse vom 5. Mai 2022 - StB 12/22, juris Rn. 10; vom 24. März 2022 - StB 5/22, NStZ 2022, 696 Rn. 13; vom 31. August 2020 - StB 23/20, BGHSt 65, 129 Rn. 13).
Rz. 12
Die Bestellung eines zusätzlichen Pflichtverteidigers ist daher lediglich in eng begrenzten Ausnahmefällen in Betracht zu ziehen. Ein derartiger Fall ist nur anzunehmen, wenn hierfür - etwa wegen des besonderen Umfangs oder der besonderen Schwierigkeit der Sache - ein unabweisbares Bedürfnis besteht, um eine sachgerechte Wahrnehmung der Rechte des Angeklagten sowie einen ordnungsgemäßen und dem Beschleunigungsgrundsatz entsprechenden Verfahrensverlauf zu gewährleisten.
Rz. 13
Von einer solchen Notwendigkeit ist auszugehen, wenn sich die Hauptverhandlung voraussichtlich über einen besonders langen Zeitraum erstreckt und zu ihrer regulären Durchführung sichergestellt werden muss, dass auch bei dem Ausfall eines Verteidigers weiterverhandelt werden kann, oder der Verfahrensstoff so außergewöhnlich umfangreich oder rechtlich komplex ist, dass er nur bei arbeitsteiligem Zusammenwirken mehrerer Verteidiger in der zur Verfügung stehenden Zeit durchdrungen und beherrscht werden kann (vgl. BGH, Beschlüsse vom 5. Mai 2022 - StB 12/22, juris Rn. 12; vom 24. März 2022 - StB 5/22, NStZ 2022, 696 Rn. 16; vom 31. August 2020 - StB 23/20, BGHSt 65, 129 Rn. 14 mwN; s. auch BT-Drucks. 19/13829 S. 49 f.).
Rz. 14
2. Hieran gemessen ist die Annahme des gemäß § 142 Abs. 3 Nr. 3 StPO zur Entscheidung berufenen Vorsitzenden des mit der Sache befassten 7. Strafsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf, die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Bestellung eines weiteren Pflichtverteidigers gemäß § 144 Abs. 1 StPO lägen nicht vor, ohne weiteres vertretbar. Mit dieser Beurteilung hat er die Grenzen des ihm zustehenden Beurteilungsspielraums nicht überschritten.
Rz. 15
a) Der Pflichtverteidiger hat mit einer Nachricht an das Oberlandesgericht vom 12. Dezember 2023 mitgeteilt, er stehe an den in Aussicht genommenen 20 Verhandlungstagen zur Verfügung. Eine mögliche Verhinderung - etwa wegen der erwarteten Geburt eines Kindes - hat er weder in dieser Mitteilung noch nachfolgend angezeigt. Insofern gibt es keinen Anhalt dafür, dass der Pflichtverteidiger über längere Zeit an einer Teilnahme an der Hauptverhandlung gehindert sein könnte. Eine bloß abstrakt-theoretische Möglichkeit eines späteren Ausfalls des Pflichtverteidigers gibt - außer in Fällen voraussichtlich ganz besonders langer Hauptverhandlungen - regelmäßig keinen Anlass zur Bestellung eines weiteren Pflichtverteidigers (BGH, Beschlüsse vom 24. März 2022 - StB 5/22, NStZ 2022, 696 Rn. 24; vom 21. April 2021 - StB 17/21, NJW 2021, 1894 Rn. 9). Eine außergewöhnlich lange Hauptverhandlungsdauer, die unter Umständen die Bestellung eines zweiten Pflichtverteidigers angezeigt erscheinen lassen könnte, steht hier jedoch nicht im Raum. Sollte es - wider Erwarten - doch zu einem längerfristigen Ausfall des Pflichtverteidigers kommen, bestünde dann die Möglichkeit, ihn gemäß § 143a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Alternative 2 StPO zu entpflichten und statt seiner den Wahlverteidiger zum Pflichtverteidiger zu bestellen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 24. Oktober 2022 - StB 44/22, NStZ-RR 2022, 380, 381; vom 25. August 2022 - StB 35/22, BGHR StPO § 143a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Aufhebung 3 Rn. 4).
Rz. 16
b) Auch der Umfang und die Schwierigkeit des Verfahrens gebieten die Bestellung eines weiteren Pflichtverteidigers nicht. Der Verfahrensstoff ist zwar umfangreich, aber nicht derart, dass seine Durchdringung nur durch arbeitsteiliges Zusammenwirken mehrerer Verteidiger geleistet werden könnte. Insofern ist auch zu bedenken, dass sich das Verfahren gegen fünf Angeklagte richtet, denen überwiegend unterschiedliche Taten der finanziellen Unterstützung des IS zur Last gelegt werden. Mithin betrifft den Beschwerdeführer nicht das gesamte Aktenmaterial. Hinzu kommt, dass die Vorwürfe in tatsächlicher Hinsicht überschaubar sind, die Beweislage nicht außergewöhnlich schwierig erscheint und voraussichtlich keine komplexen Rechtsfragen zu klären sein werden. Zur rechtlichen Beurteilung von Tatvorwürfen der Art, wie sie gegen den Angeklagten erhoben werden, liegt gefestigte Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs vor.
Rz. 17
c) Der Umstand, dass der 7. Strafsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf gemäß § 122 Abs. 2 Satz 2 GVG eine Besetzung in der Hauptverhandlung mit fünf Richtern beschlossen hat, gebietet entgegen dem Vorbringen des Wahlverteidigers in seinem Schriftsatz vom 24. Februar 2024 keine andere Beurteilung (vgl. BGH, Beschluss vom 25. August 2022 - StB 35/22, NStZ-RR 2022, 353, 354). Denn wegen der unterschiedlichen Aufgaben von Gericht und Verteidigung in der Hauptverhandlung kann nicht schon aus dieser Besetzung des Spruchkörpers der Schluss gezogen werden, dass die Verteidigung in der Hauptverhandlung von einem Pflichtverteidiger allein nicht leistbar wäre. Hinzu kommt vorliegend, dass das Verfahren gegen insgesamt fünf Angeklagte geführt wird, woraus ein erhöhter Aufwand für das Gericht, nicht aber in gleichem Umfang auch für die Verteidigung eines jeden Angeklagten resultiert.
Fundstellen
Haufe-Index 16241401 |
NStZ 2024, 502 |
NStZ 2024, 8 |
NStZ-RR 2024, 5 |
StRR 2024, 2 |
StRR 2024, 20 |