Verfahrensgang
LG Gießen (Entscheidung vom 06.08.2021; Aktenzeichen 9 KLs - 701 Js 13558/18) |
Nachgehend
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Gießen vom 6. August 2021, soweit es ihn betrifft, im Ausspruch über die Einziehung des Wertes von Taterträgen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen bandenmäßigen „unerlaubten“ Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in vier Fällen unter Auflösung einer Gesamtfreiheitsstrafe aus einem Urteil des Landgerichts Berlin vom 10. Oktober 2018 und Einbeziehung einer Einzelstrafe aus diesem Urteil sowie einer mit Urteil des Landgerichts Mannheim vom 14. August 2018 verhängten Strafe „unter Aufrechterhaltung der in den vorgenannten Entscheidungen getroffenen Einziehungsentscheidung“ zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren sowie daneben zu einer Gesamtgeldstrafe von 240 Tagessätzen zu je 165 € verurteilt. Außerdem hat das Landgericht gegen den Angeklagten als Gesamtschuldner die Einziehung „von Wertersatz“ in Höhe von 150.000 € angeordnet und näher bezeichnete Betäubungsmittel eingezogen. Die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten führt zur Aufhebung der Einziehungsentscheidung; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
Rz. 2
1. Die Überprüfung des Urteils hat zum Schuldspruch sowie zum Strafausspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
Rz. 3
2. Die Einziehung eines Geldbetrages in Höhe von 150.000 € hält hingegen sachlich-rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Das Landgericht hat die Einziehung - jeweils in unbezifferter Höhe - einesteils auf § 73 Abs. 1, § 73c Satz 1 StGB (Einziehung des Wertes von Taterträgen) anderenteils auf § 74 Abs. 1, § 74c Abs. 1 StGB (Einziehung des Wertes von Tatmitteln) gestützt. Dies begegnet durchgreifenden Bedenken.
Rz. 4
a) Nach den landgerichtlichen Feststellungen erhielt der Angeklagte von einem weiteren nicht revidierenden Mitangeklagten zum Zwecke des Erwerbs von Betäubungsmittel insgesamt mindestens 150.000 € in Bitcoins. Die Bitcoins stammten in einem nicht näher bestimmbaren Umfang aus vorangegangenen Betäubungsmittelverkäufen, im Übrigen konnten zu deren Herkunft keine konkreten Feststellungen getroffen werden. Nach Erhalt wurden die Bitcoins seitens des Angeklagten „ausgecasht“. Mit dem erlösten Geld bezahlte der Angeklagte in den gegenständlichen vier Fällen die jeweiligen Rauschgiftmittellieferungen für den gemeinsam betriebenen Betäubungsmittel-„Online Shop“ der Gruppierung. Infolge des „Auscashens“ waren die Bitcoins auf der „Wallet“ des Angeklagten nicht mehr vorhanden. Das hieraus erlöste Kaufgeld wurde tatplangemäß eingesetzt.
Rz. 5
Da die Kammer nicht festzustellen vermochte, welche Erlöse bei der Veräußerung des Rauschgifts jeweils erzielt wurden, hat sie als Gegenstand der Einziehung auf die nicht mehr vorhandenen, weil zu Kaufgeld umgetauschten Bitcoins abgestellt. Die Wertersatzeinziehung hat sie einerseits auf § 73c Satz 1 StGB, soweit die Bitcoins aus strafbaren Handlungen stammten, im Übrigen auf § 74c Abs. 1 StGB abgestellt, da sie die ursprünglich zum Zwecke der Betäubungsmittelbeschaffung überlassenen Bitcoins als Tatmittel angesehen hat.
Rz. 6
b) Die Feststellungen tragen die angeordnete Wertersatzeinziehung nicht.
Rz. 7
aa) Rechtsfehlerhaft hat es das Landgericht offengelassen, auf welche Rechtsgrundlage es die Einziehungsentscheidung stützt. Somit vermag das Revisionsgericht nicht zu prüfen, in Bezug auf welchen konkreten Betrag eine Einziehung nach § 74c Abs. 1 StGB bzw. § 73c Satz 1 StGB erfolgt ist. Mit Blick auf die unterschiedlichen tatbestandlichen Voraussetzungen zwischen den §§ 73 ff. StGB einerseits und den §§ 74 ff. StGB andererseits durfte dies nicht offenbleiben (vgl. BGH, Beschluss vom 8. Februar 2023 - 3 StR 477/22, juris Rn. 7 mwN). Die Anordnung der Tatertragseinziehung muss vielmehr unter Anführung ihrer tatsächlichen und rechtlichen Grundlagen entsprechend den Anforderungen des sachlichen Rechts nachvollziehbar im Urteil begründet werden (Volkmer/Fabricius, in: Patzak/Volkmer/Fabricius, BtMG, 10. Aufl., § 33 Rn. 158).
Rz. 8
bb) Ungeachtet dessen hat das Landgericht übersehen, dass die Einziehung des Wertes von Tatmitteln nach § 74c Abs. 1 StGB nur möglich ist, wenn der Angeklagte die Einziehung der ihm zustehenden Tatmittel vereitelt hat. Daran fehlt es hier. Die im Sinne der Bandenabrede bestimmungsgemäße Verwendung der Tatmittel, die das Landgericht nach seiner Wertung der Beurteilung zu Grunde legt, kann jedoch nicht zugleich als Vereitelungshandlung im Sinne des § 74c Abs. 1 StGB angesehen werden. Erst die funktionale Verwendung macht das Geld zum Einziehungsgegenstand (vgl. Senat, Beschluss vom 20. September 1991 - 2 StR 387/91, BGHR StGB § 74c Abs. 1 Vereitelung 1; BGH, Beschlüsse vom 19. Oktober 2010 - 4 StR 277/10, BGHR § 73a Anwendungsbereich 4; vom 14. Februar 2018 - 4 StR 648/17, juris Rn. 5; BGH, Urteil vom 18. November 2021 - 3 StR 131/21, juris Rn. 17; Senat, Beschluss vom 23. Februar 2023 - 2 StR 444/21, juris Rn. 16). Im Übrigen zeigen die Urteilsgründe weder eine Ermessensausübung auf noch ist mit Blick auf die konkreten Umstände eine nähere Begründung entbehrlich gewesen (vgl. Senat, Beschluss vom 26. Mai 2020 - 2 StR 44/20, juris Rn. 11; BGH, Beschluss vom 11. Januar 2022 - 3 StR 415/21, juris Rn. 6).
Rz. 9
cc) Soweit das Landgericht die Einziehung auf § 73c StGB gestützt hat, wird dies von den Feststellungen ebenfalls nicht getragen. Denn die Strafkammer ist lediglich allgemein davon ausgegangen, dass „die transferierten Bitcoins Erlöse aus vorangegangenen Betäubungsmittelverkäufen darstellen“ (UA 223), ohne es gerade denjenigen Taten zuzuordnen, wegen derer der Angeklagte verurteilt worden ist. Dies ist jedoch Voraussetzung einer Einziehung nach § 73 Abs. 1 StGB bzw. § 73c StGB (vgl. BGH, Beschluss vom 8. November 2018 - 4 StR 297/18, NStZ 2019, 271; Beschluss vom 19. August 2020 - 3 StR 219/20, juris Rn. 6). Die Urteilsgründe tragen auch nicht die erweiterte Einziehung des Geldes gemäß § 73a Abs. 1 StGB, da die Bitcoins nicht mehr vorhanden sind. Der Senat vermochte angesichts des nicht näher konkretisierten Anteils der inkriminierten Gelder auch nicht die Einziehung auf die von der Rechtsprechung anerkannte ersatzweise Einziehung des Werts der Taterträge nach § 73a Abs. 1, § 73c Satz 1 StGB (vgl. BGH, Beschlüsse vom 7. Mai 2019 - 5 StR 149/19, juris Rn. 8; vom 17. April 2019 - 5 StR 603/18, NStZ 2020, 661) zu stützen.
Rz. 10
Die Feststellungen sind von dem Rechtsfehler nicht betroffen und können daher bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO). Ergänzende Feststellungen sind möglich, soweit sie den bisherigen nicht widersprechen.
Rz. 11
c) Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat darauf hin, dass die Kammer unter Berücksichtigung des Verschlechterungsverbots (§ 358 Abs. 2 Satz 1 StPO) Umfang und Wert der für eine Einziehung nach § 73c Satz 1 StGB maßgeblichen Verkaufserlöse mit Blick auf die festgestellten Einkaufspreise, die jeweiligen Handelsmengen und den Gesamtumsatz nach § 73d Abs. 2 StGB schätzen kann (vgl. BGH, Beschluss vom 23. Januar 2019 - 3 StR 501/18, juris Rn. 6).
Rz. 12
Ferner wird die neu zur Entscheidung berufene Strafkammer zu beachten haben, dass die Entscheidung der Strafkammer, die mit Urteil des Landgerichts Mannheim vom 14. August 2018 angeordnete Einziehung des Wertes von Taterträgen (§ 73c Satz 1 StGB) in Höhe von 356.391,34 € und die mit Urteil des Landgerichts Berlin vom 10. Oktober 2018 angeordnete Einziehung von Taterträgen (§ 73 Abs. 1 StGB) in Höhe von 7.000 € aufrecht zu erhalten, mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Einbeziehung früherer Entscheidungen gemäß § 55 Abs. 2 StGB nicht in Einklang steht. Zwar sind - wie der Generalbundesanwalt im Ansatz zutreffend ausführt - frühere Entscheidungen in das neue Urteil dergestalt einzubeziehen, dass die Beträge aus den früheren und der aktuellen Einziehungsentscheidung zusammengezählt werden (vgl. BGH, Beschluss vom 1. Dezember 2021 - 6 StR 409/21, juris Rn. 5). Dies gilt jedoch nur, soweit die Einziehung des Wertes von Taterträgen oder Tatmitteln nach §§ 73c, 74c StGB angeordnet wurde. Hingegen erwirbt der Staat bei der Anordnung der Einziehung von Taterträgen regelmäßig mit Rechtskraft der Entscheidung das Eigentum an den eingezogenen Gegenständen (§ 75 Abs. 1 StGB). In der letztgenannten Konstellation ist das Aufrechterhalten einer Einziehungsentscheidung bei nachträglicher Gesamtstrafenbildung entbehrlich und entfällt (vgl. BGH, Beschluss vom 21. Februar 2023 - 6 StR 523/22, juris Rn. 4 mwN). Nur im verbleibenden Umfang findet eine Addition der Wertersatzeinziehungen statt.
Franke |
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Appl |
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Zeng |
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Grube |
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Schmidt |
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Fundstellen
Haufe-Index 15806218 |
NStZ 2024, 7 |
wistra 2023, 2 |
wistra 2024, 25 |
NZWiSt 2023, 393 |
StV 2024, 439 |