Entscheidungsstichwort (Thema)
Deutsches Patent 28 58 819
Leitsatz (amtlich)
a) Auf die Versagung des rechtlichen Gehörs konnte auch eine schon vor dem 1. November 1998 eingelegte Rechtsbeschwerde gestützt werden, sofern dies nach dem 1. November 1998, aber noch vor Ablauf der Begründungsfrist geschehen ist.
b) Bei der Prüfung, ob rechtliches Gehör versagt worden ist, ist grundsätzlich davon auszugehen, daß das Gericht das von ihm entgegengenommene Parteivorbringen auch zur Kenntnis genommen hat. Eine auf § 100 Abs. 3 Nr. 5 PatG gestützte Rechtsbeschwerde kann deshalb Aussicht auf Erfolg nur dann haben, wenn der Rechtsbeschwerdeführer im Rahmen der gemäß § 102 Abs. 3 PatG vorgeschriebenen Begründung besondere Umstände darlegt, die deutlich machen, daß tatsächliches Vorbringen entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei der Entscheidung des Bundespatentgerichts überhaupt nicht erwogen worden ist.
Normenkette
PatG § 100 Abs. 3 Nr. 5 (Fassung: 1. November 1998); PatGÄndG 2 Art. 29
Verfahrensgang
BPatG (Aktenzeichen 17 W (pat) 43/96) |
Tenor
Die Rechtsbeschwerde gegen den am 23. April 1998 verkündeten Beschluß des 17. Senats (Technischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts wird auf Kosten der Patentinhaberin zurückgewiesen.
Der Wert des Gegenstandes der Rechtsbeschwerde wird auf 100.000,– DM festgesetzt.
Gründe
I.
Die Rechtsbeschwerdeführerin ist eingetragene Inhaberin des deutschen Patents 28 58 819 (Streitpatents), das auf einer unter Inanspruchnahme einer Unionspriorität vom 26. August 1977 getätigten Anmeldung vom 25. August 1978 beruht und dessen Erteilung am 9. März 1995 veröffentlicht worden ist. Das Streitpatent umfaßt drei Ansprüche, dessen Hauptanspruch (Anspruch 1) wie folgt lautet:
„Tragbarer Informationsträger für die Speicherung und Verarbeitung von Informationen, mit einem Speicher, der in mehrere Zonen unterteilt ist, von denen eine einen Inhaberschlüssel fest eingespeichert aufweist, mit Einrichtungen zum Auslesen aus dem Speicher und Einschreibung in bestimmte Zonen des Speichers, mit Einrichtungen zum Eingeben eines Inhaberschlüssels von außen, Mitteln zum Vergleichen des eingegebenen Inhaberschlüssels mit dem eingespeicherten Inhaberschlüssel und Mitteln zum Einschreiben einer Fehlerinformation in den Speicher bei Nichtübereinstimmung,
dadurch gekennzeichnet,
daß Mittel (16) zum Einschreiben einer Zugriffsinformation in den Speicher (21) bei Übereinstimmung der Inhaberschlüssel vorgesehen sind.”
Die Einsprechende hat Einspruch eingelegt. Das Deutsche Patentamt hat mit Beschluß vom 29. April 1996 das Streitpatent aufrechterhalten. Auf die Beschwerde der Einsprechenden hin hat die Patentinhaberin Anspruch 1 des Streitpatents hilfsweise auch mit folgendem kennzeichnenden Teil verteidigt:
„daß ein Mikroprozessor vorgesehen ist, der das Einschreiben einer Zugriffsinformation in den Speicher (21) bei Übereinstimmung der Inhaberschlüssel steuert.”
Durch Beschluß vom 23. April 1998 hat das Bundespatentgericht den Beschluß des Deutschen Patentamts aufgehoben und das Streitpatent widerrufen.
Hiergegen wendet sich die Patentinhaberin mit ihrer – nicht zugelassenen – Rechtsbeschwerde und beantragt,
den angefochtenen Beschluß des Bundespatentgerichts aufzuheben und die Sache dorthin zu neuer Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.
Die Einsprechende beantragt die Zurückweisung der Rechtsbeschwerde.
II.
Die form- und fristgerecht eingelegte Rechtsbeschwerde der Patentinhaberin ist statthaft. Hierfür genügt es, daß ein Verfahrensmangel gerügt wird, der in § 100 Abs. 3 PatG aufgeführt ist und die zulassungsfreie Rechtsbeschwerde eröffnet. Die Rüge muß innerhalb der Frist zur Begründung der Rechtsbeschwerde vorgebracht werden (§ 102 Abs. 3 PatG). Die Patentinhaberin hat sich innerhalb der vom Vorsitzenden des Senats verlängerten Frist mit Rechtsbeschwerdebegründung vom 30. November 1998 auf den in § 100 Abs. 3 Nr. 6 PatG (früher: § 100 Abs. 3 Nr. 5 PatG) aufgeführten Rechtsbeschwerdegrund, daß der angefochtene Beschluß nicht mit Gründen versehen sei, sowie darauf berufen, daß das rechtliche Gehör versagt worden sei.
Nach Art. 2 Nr. 25 a, Art. 30 Abs. 2 des 2. PatGÄndG vom 16. Juli 1998 (BGBl. I 1860) eröffnet auch die Versagung rechtlichen Gehörs die zulassungsfreie Rechtsbeschwerde. Es ist unschädlich, daß die Patentinhaberin die Rechtsbeschwerde bereits vor dem 1. November 1998 eingelegt hat, an dem Art. 2 Nr. 25 a des 2. PatGÄndG in Kraft trat (Art. 30 Abs. 2 PatGÄndG); denn es war ausreichend, daß die Rechtsbeschwerdebegründungsfrist (§ 102 Abs. 3 PatG) am 1. November 1998 noch nicht abgelaufen war und die Versagung rechtlichen Gehörs innerhalb dieser Frist nach dem 1. November 1998 durch die Patentinhaberin gerügt worden ist.
Nach § 100 Abs. 3 PatG ist die Frage, ob es einer Zulassung zur Einlegung der Rechtsbeschwerde gegen einen Beschluß eines Beschwerdesenats des Bundespatentgerichts nicht bedarf, aufgrund der erhobenen Rüge zu beurteilen. Wenn die Rüge nach der Rechtslage, die bei ihrer fristgerechten Geltendmachung gilt, als nach § 100 Abs. 3 PatG statthafte möglich ist, eröffnet deshalb auch sie die zulassungsfreie Rechtsbeschwerde. Bestätigt wird dieses Ergebnis durch Art. 29, der die Übergangsvorschriften des 2. PatGÄndG enthält. Der Umstand, daß darin nur für die Berufung gegen die Urteile der Nichtigkeitssenate des Bundespatentgerichts angeordnet ist, daß für vor dem 1. November 1998 eingereichte Rechtsmittel die Vorschriften in ihrer bis dahin geltenden Fassung anzuwenden sind, läßt den Umkehrschluß zu, daß auf die Rechtsbeschwerde die Neuregelung des 2. PatGÄndG (Art. 2 Nr. 25 a) uneingeschränkt Anwendung finden soll und damit auch für bereits vor dem 1. November 1998 anhängige Rechtsmittel dieser Art gilt.
III.
Die Rechtsbeschwerde ist unbegründet, weil die gerügten Mängel nicht vorliegen.
1. Das Bundespatentgericht hat ausgeführt, ein Informationsträger nach dem Oberbegriff des erteilten Patentanspruchs 1 sei aus der deutschen Offenlegungsschrift 26 21 271 bekannt gewesen. Um ein Höchstmaß an Sicherheit gegen unbefugte Benutzung zu gewährleisten, sei dort überdies die Möglichkeit aufgezeigt gewesen, auch bei einem positiven Vergleichsergebnis, also bei Übereinstimmung der Inhaberschlüssel das Einschreiben in einen Speicher zu simulieren. Für einen Fachmann, der mit dieser Lösung nicht zufrieden sei, liege es auf der Hand, den Vorgang nicht zu simulieren, sondern – wie im Streitpatent vorgeschlagen – auch tatsächlich auszuführen. Auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe aber auch der Hauptanspruch nicht, den die Patentinhaberin hilfsweise geltend gemacht habe und der durch das Einschreiben einer Zugriffsinformation in den Speicher mittels eines Mikroprozessors gekennzeichnet sei. Denn zum Prioritätszeitpunkt habe es schon zum allgemeinen Fachwissen des Durchschnittsfachmannes gehört, daß ein Mikroprozessor grundsätzlich beliebige Steuerungsaufgaben durchführen könne, die von einer diskret aufgebauten Schaltung geleistet würden; besondere Einzelheiten des zu verwendenden Mikroprozessors seien nicht behauptet und nicht beansprucht.
Die Rechtsbeschwerde macht demgegenüber geltend, die Patentinhaberin habe in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundespatentgericht vorgetragen, die Steuerung des Schreibvorganges durch den Mikroprozessor sei von ausschlaggebender Bedeutung, weil erst durch diese Maßnahme ein Mißbrauch des Informationsträgers sicher verhindert werde. Der Mikroprozessor könne aufgrund der ihm innewohnenden Intelligenz die Einhaltung von komplizierten Sicherheitsregeln überwachen. Indem der Mikroprozessor das Einschreiben steuere, werde eine Manipulation von außen unmöglich. Außerdem sei in der mündlichen Verhandlung von der Patentinhaberin nachgewiesen worden, daß zum Prioritätszeitpunkt ein Mikroprozessor, der zur Steuerung des Einschreibens fähig gewesen wäre, nicht bekannt gewesen sei; ein Mikroprozessor mit dieser Eigenschaft sei erstmals in den Unterlagen des Streitpatents beschrieben worden. Gleichwohl habe sich das Bundespatentgericht ausweislich der Gründe seiner Entscheidung mit diesem Vorbringen nicht befaßt.
2. Zu Unrecht leitet die Beschwerde hieraus einen Verstoß gegen das Gebot des rechtlichen Gehörs ab.
Der Anspruch auf rechtliches Gehör gibt jedem Verfahrensbeteiligten das Recht, sich zu dem der Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalt zu äußern und dem Gericht die eigene Auffassung zu den erheblichen Rechtsfragen darzulegen; das Gericht ist verpflichtet dieses Vorbringen zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen (st. Rspr., vgl. etwa BVerfG, Beschl. v. 2. Mai 1995 - I BvR 2174/94, NJW 1995, 2095, 2096 m.w.N.).
Hieraus kann nicht abgeleitet werden, daß sich das Gericht mit jedem Vorbringen einer Partei in den Gründen seiner Entscheidung ausdrücklich zu befassen oder gar sich hiermit in einer bestimmten Weise auseinanderzusetzen habe (st. Rspr. vgl. etwa BVerfG, Beschl. v. 6. Juni 1991 - II BvR 324/91, NJW 1992, 1031; Beschl. v. 1. Februar 1978 - I BvR 426/77, NJW 1978, 989 m.w.N.). Das Fehlen einer Auseinandersetzung in den Entscheidungsgründen erlaubt deshalb für sich genommen noch nicht den Schluß, das Gericht habe das Parteivorbringen nicht hinreichend berücksichtigt. Grundsätzlich ist vielmehr davon auszugehen, daß ein Gericht das von ihm entgegengenommene Parteivorbringen auch zur Kenntnis genommen hat. Es muß deshalb besondere Umstände geben, die deutlich machen, daß tatsächliches Vorbringen entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei der Entscheidung des Gerichts überhaupt nicht erwogen worden ist (st. Rspr. vgl. etwa BVerfG, Beschl. v. 6. Juni 1991 - II BvR 324/91, NJW 1992, 1031 m.w.N.). Diese Umstände hat der Rechtsbeschwerdeführer im Rahmen der gemäß § 102 Abs. 3 PatG vorgeschriebenen Begründung der Rechtsbeschwerde darzulegen, wenn dieses Rechtsmittel erfolgreich sein soll.
An einer solchen Darlegung fehlt es hier. Die Rechtsbeschwerde beschränkt sich im wesentlichen auf die Wiedergabe bestimmten, angeblich nur mündlich vorgebrachten Tatsachenvortrags der Patentinhaberin und auf den Hinweis, daß dieses Vorbringen in den Gründen des angefochtenen Beschlusses nicht abgehandelt sei. Dies ist unzureichend. Ergänzend wird nur geltend gemacht, die Patentinhaberin habe dieses Vorbringen als von ausschlaggebender Bedeutung dargestellt; sie habe ferner den Nachweis erbracht, daß ein zur Steuerung des Einschreibens der Zugriffsinformation fähiger Mikroprozessor zum Prioritätszeitpunkt nicht bekannt gewesen sei. Auch damit ist jedoch kein besonderer Umstand dargetan, der den Schluß zuläßt, das Bundespatentgericht habe mündliches Vorbringen der Patentinhaberin nicht zur Kenntnis genommen bzw. nicht erwogen. Denn mit der entscheidungserheblichen Frage, auf die das behauptete Vorbringen der Patentinhaberin ersichtlich zielt, hat sich das Bundespatentgericht durchaus befaßt, wie seine Ausführungen zeigen, daß es schon zum Prioritätszeitpunkt zum allgemeinen Fachwissen des Durchschnittsfachmanns gehört habe, ein Mikroprozessor könne grundsätzlich beliebige Steuerungsaufgaben durchführen, die von einer diskret aufgebauten Schaltung geleistet werden. Danach muß das Bundespatentgericht erwogen haben, ob die von der Patentinhaberin angeblich besonders herausgestellte Steuerung durch den Mikroprozessor von ausschlaggebender Bedeutung ist. Mangels gegenteiliger Anhaltspunkte kann auch davon ausgegangen werden, daß das Bundespatentgericht dabei die Behauptung nicht unberücksichtigt gelassen hat, ein geeigneter Mikroprozessor sei erstmals in den Unterlagen des Streitpatents beschrieben worden. Das Bundespatentgericht hat allerdings die von der Patentinhaberin angeblich hervorgehobene Bedeutung des Mikroprozessors für die beanspruchte Lehre nicht anzuerkennen vermocht und ferner aus dem behaupteten Umstand, daß ein Mikroprozessor zur Steuerung des Einschreibens der Zugriffsinformation zum Prioritätszeitpunkt in Unterlagen noch nicht vorbeschrieben war, ersichtlich nicht den Schluß ziehen wollen, dieses Mittel habe einem Durchschnittsfachmann nicht nahegelegen. Ein Recht, mit der eigenen Einschätzung durchzudringen, gibt der Anspruch auf rechtliches Gehör einem Prozeßbeteiligten jedoch nicht.
3. Zu Unrecht meint die Rechtsbeschwerde ferner, aufgrund des zu ihrer Rechtfertigung Angeführten sei der angefochtene Beschluß hinsichtlich der Frage, ob zum Auffinden des Gegenstands des Patentanspruchs 1 nach dem Hilfsantrag eine erfinderische Tätigkeit notwendig gewesen sei, auch nicht mit Gründen versehen.
Unvollständigkeit in der Begründung stellt einen Begründungsmangel im Sinne des § 100 Abs. 3 Nr. 6 PatG erst dar, wenn die vorhandenen Gründe ganz unverständlich, verworren oder in sich widersprüchlich sind oder wenn sie sich auf leere Redensarten oder die bloße Wiedergabe des Gesetzestextes beschränken, so daß sie nicht erkennen lassen, welche tatsächlichen und rechtlichen Überlegungen für die Entscheidung maßgeblich waren (st. Rspr. vgl. etwa Sen.Beschl. v. 2. März 1993 - X ZB 14/92, GRUR 1993, 655, 656 - Rohrausformer) oder wenn von mehreren geltend gemachten ein (Angriffs- oder)Verteidigungsmittel, das selbständigen Charakter hat und deshalb in den Gründen auch zu bescheiden ist, bei der Begründung übergangen ist (st. Rspr. vgl. etwa, Sen.Beschl. v. 26. September 1996 - X ZB 18/95, GRUR 1997, 120, 122 - Elektrisches Speicherheizgerät). Solche Mängel sind nicht vorhanden. Warum das Bundespatentgericht angenommen hat, die nach dem Hilfsantrag der Patentinhaberin beanspruchte Lehre zum technischen Handeln beruhe nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit, ist den Gründen des angefochtenen Beschlusses ohne weiteres zu entnehmen; auf die vorstehenden Ausführungen kann insoweit verwiesen werden.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 109 Abs. 1 PatG. Eine mündliche Verhandlung hat der Senat nicht für erforderlich gehalten (§ 107 Abs. 1 PatG).
Unterschriften
Rogge, Jestaedt, Melullis, Scharen, Keukenschrijver
Fundstellen
Haufe-Index 539400 |
BB 1999, 2053 |
DB 1999, 2411 |
NJW-RR 2000, 573 |
GRUR 1999, 919 |
Nachschlagewerk BGH |