Leitsatz (amtlich)
a) Eine Verfahrenstrennung gem. § 145 Abs. 1 ZPO ist nicht zulässig, wenn der Gegenstand des abgetrennten Verfahrens in einem zulässigen Eventualverhältnis zu dem im ursprünglichen Verfahren verbliebenen Gegenstand steht.
b) Hat ein Gericht entgegen diesem Grundsatz eine Verfahrenstrennung ausgesprochen und das abgetrennte Verfahren an das Gericht eines anderen Rechtswegs verwiesen, ist die Verweisung dennoch wirksam, sofern sie nicht mit den in § 17a Abs. 4 GVG vorgesehenen Rechtsmitteln angegriffen wird.
Normenkette
ZPO § 145; GVG § 17a
Verfahrensgang
ArbG Berlin (Beschluss vom 27.01.2015; Aktenzeichen 57 Ca 1013/15) |
LG Berlin (Beschluss vom 05.11.2014; Aktenzeichen 33 O 165/13) |
Tenor
Zuständiges Gericht für den abgetrennten Teil des Klagebegehrens ist das ArbG Berlin.
Gründe
Rz. 1
I. Der Kläger verlangt von der Beklagten die Zahlung von 5.001 EUR nebst Zinsen aufgrund eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses vom 18.2.2013, mit dem zu seinen Gunsten Ansprüche des Immobilienberaters C. L. gegen die Beklagte gepfändet und zur Einziehung überwiesen wurden. L. und die Beklagte hatten am 13.9.2011 einen Vertrag geschlossen, der für von L. zu erbringende Beratungsleistungen in der Zeit vom 1.8.2011 bis 31.12.2013 u.a. ein monatlich von der Beklagten zu zahlendes Honorar i.H.v. 4.000 EUR nebst Umsatzsteuer vorsah. Der Kläger stützt die Klage in erster Linie auf die Nettobeträge dieser Honoraransprüche für die Monate November und Dezember 2012.
Rz. 2
Hilfsweise stützt der Kläger die Klage auf Vergütungsansprüche aus einem von der Beklagten behaupteten Arbeitsvertrag, der zwischen ihr und L. am 1.6.2012 geschlossen worden sei und ab diesem Datum ein monatliches Bruttogehalt von 4.240 EUR für die Tätigkeit von L. als Vertriebsleiter vorgesehen habe.
Rz. 3
Das LG hat die Klage durch Teilurteil abgewiesen, soweit der Kläger Ansprüche aus einem Beratervertrag geltend macht. Mit gleichzeitig verkündeten Beschluss hat es den Rechtsstreit im Übrigen zur gesonderten Verhandlung und Entscheidung durch Beschluss abgetrennt und sogleich insoweit den Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten für unzulässig erklärt und die Sache an das ArbG verwiesen. Das ArbG hat sich durch Beschluss für unzuständig erklärt und die Sache dem BGH zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vorgelegt.
Rz. 4
II. Das zuständige Gericht ist in entsprechender Anwendung des § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO zu bestimmen.
Rz. 5
1. Bei negativen Kompetenzkonflikten zwischen Gerichten verschiedener Gerichtszweige ist § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO entsprechend anwendbar. Obwohl ein nach § 17a GVG ergangener und unanfechtbar gewordener Beschluss, mit dem ein Gericht den beschrittenen Rechtsweg für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an ein anderes Gericht verwiesen hat, nach dem Gesetz keiner weiteren Überprüfung unterliegt, ist eine - regelmäßig deklaratorische - Zuständigkeitsbestimmung entsprechend § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO im Interesse einer funktionierenden Rechtspflege und der Rechtssicherheit dann geboten, wenn es innerhalb eines Verfahrens zu Zweifeln über die Bindungswirkung der Verweisung kommt und deshalb keines der in Frage kommenden Gerichte bereit ist, die Sache zu bearbeiten, oder die Verfahrensweise eines Gerichts die Annahme rechtfertigt, dass der Rechtsstreit von diesem nicht prozessordnungsgemäß gefördert werden wird, obwohl er gem. § 17b Abs. 1 GVG vor ihm anhängig ist (BGH, Beschl. v. 14.5.2013 - X ARZ 167/13, MDR 2013, 1242 Rz. 4 f. m.w.N.).
Rz. 6
So liegt der Fall hier. Sowohl das LG als auch das ArbG haben eine inhaltliche Befassung mit der Sache abgelehnt.
Rz. 7
2. Der BGH ist für die Entscheidung zuständig. Sofern zwei Gerichte unterschiedlicher Rechtswege ihre Zuständigkeit verneint haben, obliegt die Bestimmung des zuständigen Gerichts demjenigen obersten Gerichtshof des Bundes, der zuerst darum angegangen wird (BGH, MDR 2013, 1242 Rz. 7 m.w.N.).
Rz. 8
3. Zuständiges Gericht ist das ArbG Berlin.
Rz. 9
a) Ein Beschluss zur Verweisung des Rechtsstreits an das Gericht eines anderen Rechtswegs unter Erklärung der Unzulässigkeit des beschrittenen Rechtswegs ist einer weiteren Überprüfung entzogen, sobald er unanfechtbar geworden ist. Sofern das zulässige Rechtsmittel nicht eingelegt oder zurückgenommen worden oder erfolglos geblieben ist, wird die Verweisung für das Gericht, an das der Rechtsstreit verwiesen worden ist, hinsichtlich des Rechtswegs im Grundsatz gem. § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG bindend (BGH, MDR 2013, 1242 Rz. 9). Diese Bindungswirkung entfällt - anders bei Verweisungsbeschlüssen gem. § 281 ZPO - auch nicht ohne Weiteres, wenn sich die Verweisung als objektiv willkürlich erweist (BGH, Beschl. v. 29.4.2014 - X ARZ 172/14, NJW 2014, 2125 Rz. 12).
Rz. 10
b) Der BGH hat bislang offenlassen können, ob Ausnahmefälle denkbar sind, in denen die bindende Wirkung einer rechtskräftigen Verweisung zu verneinen ist. Diese Frage bedarf auch im vorliegenden Zusammenhang keiner Klärung.
Rz. 11
Nach der Rechtsprechung des Senats kommt eine Ausnahme von der Bindungswirkung allenfalls bei extremen Verstößen gegen die den Rechtsweg und seine Bestimmung regelnden materiell- und verfahrensrechtlichen Vorschriften in Betracht (BGH NJW 2014, 2125 Rz. 13). Ein solcher Verstoß liegt im Streitfall nicht vor.
Rz. 12
aa) Allerdings war die Abtrennung des Verfahrens hinsichtlich des auf einen Arbeitsvertrag gestützten Teils des Klagebegehrens weder zweckmäßig noch zulässig.
Rz. 13
Eine Abtrennung gem. § 145 ZPO setzt voraus, dass die einzelnen Verfahrensteile Ansprüche betreffen, über die unabhängig voneinander entschieden werden kann. An dieser Voraussetzung fehlt es, wenn der Gegenstand des abgetrennten Verfahrens in einem zulässigen Eventualverhältnis zum Gegenstand des ursprünglichen Verfahrens steht (vgl. BGH Beschl. v. 8.11.1978 - IV ARZ 73/78, NJW 1979, 426 unter II 3; für den Fall eines unzulässigen Eventualverhältnisses vgl. BGH Beschl. v. 6.12.2006 - XII ZR 97/04, BGHZ 170, 152 Rz. 29). Mit der Abtrennung entstünde nämlich ein neues Verfahren, dessen Hauptantrag unter einer Bedingung steht. Eine Klage dieses Inhalts müsste als unzulässig abgewiesen werden, und zwar auch dann, wenn die Bedingung später eintritt (vgl. BGH, Urt. v. 6.12.2006 - XII ZR 190/06, BGHZ 170, 176 Rz. 9). Eine Verfahrenstrennung mit dieser Folge ist mit § 145 ZPO nicht vereinbar.
Rz. 14
bb) Dieser Verfahrensfehler ist aber nicht so schwerwiegend, dass er der Bindungswirkung des vom Kläger nicht angefochtenen Verweisungsbeschlusses entgegensteht.
Rz. 15
Eine fehlerhafte Verfahrenstrennung ist zwar nicht selbständig mit Rechtsmitteln angreifbar. Als dem Endurteil vorausgegangene Entscheidung unterliegt sie aber der Nachprüfung im Verfahren über ein Rechtsmittel gegen die Endentscheidung (BGH, Urt. v. 6.7.1995 - I ZR 20/93, NJW 1995, 3120). Im Streitfall hätte der Kläger mit einer sofortigen Beschwerde gegen den Verweisungsbeschluss des LG mithin die Rüge erheben können, dass eine Verweisung schon deshalb nicht in Betracht kommt, weil die Verfahrenstrennung zu Unrecht erfolgt ist.
Rz. 16
Wenn der Kläger von dieser Gelegenheit keinen Gebrauch gemacht hat, besteht kein Anlass, die rechtskräftig gewordene Verweisung als unwirksam anzusehen. Dem Kläger entsteht dadurch auch dann kein unzumutbarer Nachteil, wenn er die möglichen Konsequenzen der vom LG gewählten Verfahrensweise - insb. den Umstand, dass seine Klage vor dem ArbG schon deshalb abzuweisen sein wird, weil sie unter einer Bedingung steht - bei der Entscheidung über die Einlegung von Rechtsmitteln nicht überblickt hat. Er kann die genannte Konsequenz vermeiden, indem er sein Begehren auch vor dem ArbG mit einem unbedingten Klageantrag geltend macht. Eine hierin liegende Klageänderung ist schon im Hinblick auf die besondere Verfahrenssituation als sachdienlich anzusehen.
Rz. 17
Dem beim ArbG anhängigen Begehren steht auch nicht der Einwand der anderweitigen Rechtskraft entgegen. Selbst wenn der Streitgegenstand der beiden Verfahren identisch sein sollte, stünde die vom Kläger nicht angefochtene Entscheidung des LG der Geltendmachung und inhaltlichen Überprüfung von Ansprüchen aus dem Arbeitsvertrag jedenfalls deshalb nicht entgegen, weil das LG diese vom Gegenstand seiner Entscheidung ausgenommen hat. Wird in den Entscheidungsgründen eines die Leistungsklage abweisenden Urteils ein bestimmter materiell-rechtlicher Anspruch ausdrücklich als nicht beschieden bezeichnet, kann es dem Kläger nicht verwehrt werden, diesen Anspruch in einem weiteren Verfahren geltend zu machen (BGH, Urt. v. 14.5.2002 - X ZR 144/00, GRUR 2002, 787, 788).
Fundstellen