Leitsatz (amtlich)
Zum Umfang der Weisungs- und Überwachungspflicht des Rechtsanwalts gegenüber einer in der Kanzlei angestellten Assessorin, die den Auftrag erteilt bekommt, eine Berufungsschrift auf dem Nachhauseweg in den Nachtbriefkasten des OLG zu werfen.
Verfahrensgang
LG C. (Entscheidung vom 30.11.1995) |
OLG B. (Entscheidung vom 06.03.1996) |
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde der Klägerinnen wird der Beschluß des 3. Zivilsenats des B. Oberlandesgerichts vom 6. März 1996 aufgehoben.
Den Klägerinnen wird gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der Berufung gegen das Kostenschlußurteil des Landgerichts C. vom 30. November 1995 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt.
Wert: 2.400,00 DM.
Gründe
I.
Die Klägerinnen begehrten von den Beklagten zu 1 und 2 die Räumung und Herausgabe von Gewerberaum und rückständigem Mietzins. Der Beklagten zu 2 konnte die Klage nicht zugestellt werden. Nachdem die Beklagte zu 1 geräumt und die Parteien insoweit die Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt hatten, erging am 7. September 1995 ein teilweise klagabweisendes Teilurteil gegen die Beklagte zu 1 wegen des rückständigen Mietzinses. Am 16. Oktober 1995 nahmen die Klägerinnen die Klage gegen die Beklagte zu 2 zurück. Darauf erging am 30. November 1995 ein Kostenschlußurteil, das den Klägerinnen einen Teil der Kosten auferlegte. Dieses Urteil wurde den Klägerinnen zu Händen ihres erstinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten am 12. Dezember 1995 zugestellt. Am 23. Januar 1996 legten sie dagegen Berufung ein, verbunden mit einem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und führten dazu aus, die Fristversäumung beruhe auf einem Versehen der in der Kanzlei angestellten Assessorin A.. Nachdem der Berufungsauftrag erst am Tag des Fristablaufs erteilt worden sei, habe der zweitinstanzliche Prozeßbevollmächtigte die Berufungsschrift sofort gefertigt und die Assessorin unter Hinweis auf den Fristablauf gebeten, den Schriftsatz noch am selben Tag auf ihrem Nachhauseweg in den Nachtbriefkasten des Oberlandesgerichts zu werfen. Diesen Auftrag habe die Assessorin vergessen und das Versäumnis erst am 15. Januar 1996 bemerkt.
Das Oberlandesgericht hat den Antrag auf Wiedereinsetzung sowie die Berufung verworfen. Dagegen richtet sich die sofortige Beschwerde der Klägerinnen.
II.
Das Rechtsmittel hat Erfolg.
1.
Die Berufung scheitert nicht bereits daran, daß es den Klägerinnen nur um die Korrektur einer Kostenentscheidung geht. § 99 Abs. 1 ZPO, der die isolierte Anfechtung von Entscheidungen über den Kostenpunkt verbietet, ist unanwendbar, wenn - wie hier - ein Kostenschlußurteil ergeht (vgl. Zöller/Herget ZPO 19. Aufl. § 99 Rdn. 1, 10; Thomas/Putzo ZPO 19. Aufl. § 99 Rdn. 5 jeweils m.N.). Ein Fall des § 99 Abs. 2 ZPO liegt nicht vor.
2.
Allerdings ist die Berufung gegen das am 12. Dezember 1995 zugestellte Schlußurteil erst am 23. Januar 1996 und damit verspätet eingegangen. Den Klägerinnen ist jedoch Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist zu gewähren. Entgegen der Ansicht des Oberlandesgerichts haben die Klägerinnen hinreichende Tatsachen vorgetragen und glaubhaft gemacht, aus denen sich ergibt, daß die Fristversäumung weder auf ein Organisationsverschulden, noch auf ein Verschulden bei der Auswahl, Belehrung und Überwachung der Assessorin A. durch den zweitinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten zurückzuführen ist, das sich die Klägerinnen gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen müßten. Vielmehr beruht die Fristversäumung allein auf dem Versehen der mit der Beförderung der Berufungsschrift betrauten juristischen Hilfskraft, für das die Klägerinnen nicht einzustehen haben.
Grundsätzlich darf sich ein Rechtsanwalt bei der Einhaltung prozessualer Fristen der Hilfe seiner Büroangestellten bedienen. Er muß sie jedoch sorgfältig auswählen und laufend durch Stichproben auf Eignung und Zuverlässigkeit überwachen. Allerdings können hierzu keine generellen Maßstäbe aufgestellt werden. Die Anforderungen an die Weisungs- und Überwachungspflichten richten sich jeweils nach der Art der übertragenen Tätigkeit und der Qualifikation der Bürokraft. Insbesondere bei einfachen Verrichtungen wie Botengängen sind die Anforderungen daher weniger streng (vgl. BGH, Beschlüsse vom 13. Januar 1988 - IVa ZB 13/87 - MDR 1988, 479 und vom 3. Juli 1992 - V ZB 11/92 - MDR 1992, 1002, 1003; Zöller/Greger a.a.O. § 233 Rdn. 23 Stichwort "Büropersonal"). Auch bei juristisch geschulten Hilfskräften, die die Sache nicht selbständig bearbeiten, sondern dem Prozeßbevollmächtigten zuarbeiten, bestehen in gewissem Umfang Weisungs- und Überwachungspflichten, die sich wiederum nach der Art der Tätigkeit und dem jeweiligen Ausbildungsstand der Hilfskraft richten (vgl. BGH, Beschluß vom 10. Januar 1962 - IV ZB 408/61 - LM ZPO § 232 Cc Nr. 8). So wird man bei einem Referendar höhere Anforderungen an die Weisungs- und Überwachungspflicht des Rechtsanwalts stellen als es bei einem Assessor der Fall ist. Generell gilt hier aber, daß sich der Rechtsanwalt bei juristisch ausgebildeten Hilfskräften in der Regel eher als beim Laienpersonal darauf verlassen kann, daß diese um die Bedeutung von Rechtsmittelfristen wissen und alle damit zusammenhängenden Tätigkeiten umsichtig und gewissenhaft ausführen, so daß die Anforderungen an die Überwachungspflichten geringer sind. Das gilt erst recht, wenn es sich, wie hier, noch nicht einmal um eine Fristenberechnung oder die Fertigung einer Rechtsmittelschrift handelt, sondern um einen schlichten Botengang.
Das Oberlandesgericht vermißt auch zu Unrecht einen ausführlicheren Vortrag der Klägerinnen darüber, daß und inwieweit ihr Prozeßbevollmächtigter die Assessorin mit der erforderlichen Sorgfalt ausgewählt, belehrt und überwacht habe. Wer - wie hier die Assessorin A. - zwei juristische Staatsexamen abgelegt und damit die Befähigung zur Ausübung einer anwaltlichen Tätigkeit hat, berechtigt im allgemeinen zu der Annahme, daß er ihm übertragene Pflichten auch mit der nötigen Sorgfalt erledigt, ohne daß dies noch besonderer Ausführungen bedarf. Die Klägerinnen haben im übrigen dargelegt und glaubhaft gemacht, daß die Assessorin die von Rechtsanwalt S. gefertigte Berufungsschrift unter dem ausdrücklichen Hinweis auf die am selben Tag ablaufende Frist und unter der Weisung, sie in den Nachtbriefkasten zu werfen, in Empfang genommen hat. Das reicht aus. Daher war den Klägerinnen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist zu gewähren.
Beschluss:
Wert: 2.400,00 DM.
Fundstellen
Haufe-Index 3018920 |
FamRZ 1996, 1403-1404 (Volltext mit red. LS) |
VersR 1997, 83-84 (Volltext mit red. LS) |