Entscheidungsstichwort (Thema)
Wertfestsetzung im Zwangsversteigerungsverfahren. Tatsächliche bauliche Änderung. Änderung der Teilungserklärung. Erhöhung des Werts eines Wohnungseigentums
Leitsatz (redaktionell)
Besteht eine Divergenz zwischen der Wohnungsgröße, die der Schuldner angibt und derjenigen, die ein Sachverständiger und ihm folgend die Gerichte bei der Wertfestsetzung im Zwangsversteigerungsverfahren zugrunde gelegt haben, die auf tatsächlichen baulichen Veränderungen beruht, ist dies nur beachtlich, wenn auch die rechtlichen Voraussetzungen geschaffen wurden, um die zugewonnene Fläche zum Sondereigentum des Schuldners zu rechnen.
Normenkette
ZVG § 74a
Verfahrensgang
LG München I (Beschluss vom 10.05.2002) |
Tenor
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluß der 20. Zivilkammer des Landgerichts München I vom 10. Mai 2002 wird auf Kosten des Schuldners zurückgewiesen.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 33.800 EUR festgesetzt.
Tatbestand
Das Amtsgericht – Vollstreckungsgericht – hat mit Beschluß vom 29. Dezember 1999 die Zwangsversteigerung des im Rubrum aufgeführten Wohnungseigentums angeordnet. Dessen Verkehrswert hat es, gestützt auf ein Sachverständigengutachten, durch Beschluß vom 4. Juli 2000 auf 300.000 DM festgesetzt. Dagegen hat der Schuldner sofortige Beschwerde eingelegt mit der Begründung, die Eigentumswohnung habe eine Größe von 68,74 qm und nicht, wovon das Amtsgericht in seinem Wertfestsetzungsbeschluß ausgegangen sei, von nur 54 qm. Das Landgericht hat die sofortige Beschwerde zurückgewiesen, weil nicht die tatsächliche Größe, die möglicherweise der Schuldner richtig angegen habe, maßgeblich sei, sondern die der Teilungserklärung entsprechende.
Mit einem am 21. Februar 2002, dem festgesetzten Tage des Versteigerungstermins, beim Amtsgericht eingegangenen Schreiben hat der Schuldner unter Hinweis auf eine neue Abgeschlossenheitsbescheinigung vom 12. Januar 2001, der zufolge die Wohnung eine Größe von 72,85 qm hat, abermals die Änderung des Verkehrswertgutachtens beantragt. Gleichwohl hat das Amtsgericht im Versteigerungstermin das geringste Gebot und die Versteigerungsbedingungen auf der Grundlage des festgesetzten Verkehrswerts festgestellt und das Wohnungseigentum zu dem Meistgebot von 169.000 EUR zugeschlagen. Die sofortige Beschwerde des Schuldners hat das Landgericht zurückgewiesen. Dagegen wendet sich der Schuldner mit seiner – vom Landgericht zugelassenen – Rechtsbeschwerde.
Entscheidungsgründe
II.
Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 574 Abs. 1 Nr. 2 ZPO n.F.) und auch sonst zulässig; sie hat indessen keinen Erfolg.
Der Beschluß, durch den der Zuschlag erteilt (oder versagt) wird, kann mit der Begründung, daß der Grundstückswert unrichtig festgesetzt sei, nicht angefochten werden (§ 74a Abs. 5 Satz 4 ZVG). Grundsätzlich hindert die Bindung des Vollstreckungsgerichts an die Wertfestsetzung nicht nur eine erneute Prüfung des Wertes bei der Entscheidung über den Zuschlag, sondern auch die Überprüfung und Änderung eines fehlerhaft festgesetzten Wertes (Zeller/Stöber, ZVG 17. Aufl. § 74a Anm. 9.7). Ob eine Anfechtung des Zuschlagsbeschlusses dann möglich ist, wenn das Vollstreckungsgericht es trotz rechtzeitigen Nachweises neuer, für die Wertfestsetzung erheblicher Tatsachen unterlassen hat, den festgesetzten Wert von Amts wegen zu ändern (vgl. OLG Köln ZIP 1983, 999; Gerhardt, in: Dassler/Schiffhauer, Gerhardt/Muth, ZVG 12. Aufl. § 74a Rn. 36; Zeller/Stöber, § 74a ZVG Anm. 7.20), braucht der Senat im vorliegenden Fall nicht zu entscheiden.
Denn eine neue Tatsache war dem Vollstreckungsgericht vor der Zuschlagserteilung nicht bekannt geworden. Um eine „neue Tatsache” handelt es sich nur dann, wenn sich nach der Beschlußfassung die Grundlagen für die Wertfestsetzung geändert haben. Bringt der Schuldner vor, bereits die Beschußfassung sei falsch, verpflichte dies das Vollstreckungsgericht nicht zur Überprüfung des rechtskräftigen Wertfestsetzungsbeschlusses (OLG Köln ZIP 1983, 999; Steiner/Storz, ZVG 9. Aufl. § 74a Rn. 120; Zeller/Stöber, § 74a ZVG Anm. 7.20 unter a).
Im vorliegenden Fall wird nicht vorgebracht, daß sich nach der Beschlußfassung die Grundlagen für die Wertfestsetzung geändert haben. Der Schuldner hielt die Wertfestsetzung von Anfang an für falsch. Die Wohnungsgröße hat sich, seit das Zwangsversteigerungsverfahren betrieben wird, nicht verändert. Die Divergenz zwischen der Wohnungsgröße, die der Schuldner angibt, und derjenigen, die der Sachverständige und – ihm folgend – die Gerichte zugrunde gelegt haben, beruht auf angeblichen tatsächlichen (baulichen) Veränderungen (Einbeziehung der Podestfläche des Treppenhauses in die Wohnung), die in den Jahren 1979/1984 stattgefunden haben soll. Die Grundlagen für die Wertfestsetzung hätten sich nur geändert, wenn die rechtlichen Voraussetzungen geschaffen worden wären, um die Podestfläche zum Sondereigentum des Schuldners zu rechnen.
Nach den tatrichterlichen Feststellungen ist dies bis heute nicht geschehen, und deshalb war – und ist – die Wertfestsetzung auch in der Sache richtig. Der Schuldner hatte die seines Erachtens zutreffende Wohnungsgröße dem Vollstreckungsgericht zwar bereits vor Ergehen des Wertfestsetzungsbeschlusses vorgetragen. Er war aber – zu Recht – darauf aufmerksam gemacht worden, daß sein Vortrag nicht genüge, daß vielmehr – so lange die Teilungserklärung/Gemeinschaftsordnung nicht geändert sei – die nach seinen Angaben in die Wohnung mit einbezogene Podestfläche zum Gemeinschaftseigentum gehöre und den Wert seines Wohnungseigentums nicht erhöhe. Die anschließend ihm gebotene Gelegenheit, die Gemeinschaftsordnung zu ändern, hat der Schuldner bis heute nicht wahrgenommen. Das Erwirken einer neuen Abgeschlossenheitsbescheinigung (§ 7 Abs. 4 Nr. 2 WEG) reicht nicht aus, um dem jeweiligen Wohnungseigentümer ein gegen die Miteigentümer wirksames Recht auf die Podestfläche zu verschaffen. Dazu wäre vielmehr eine Vereinbarung aller Miteigentümer (§§ 3, 4 WEG) erforderlich gewesen.
Ob die Vorschrift des § 100 Abs. 3 ZVG, wonach das Beschwerdegericht von Amts wegen die im § 83 Nr. 6, 7 ZVG bezeichneten Versagungsgründe zu berücksichtigen hat, auch im Verfahren der Rechtsbeschwerde gilt, braucht der Senat nicht zu entscheiden. Denn es ist nicht ersichtlich, daß im vorliegenden Verfahren einer dieser Versagungsgründe vorliegt.
Unterschriften
Kreft, Ganter, Raebel, Kayser, Bergmann
Fundstellen
BGHR 2003, 463 |
ZfIR 2004, 173 |
InVo 2003, 209 |