Tenor
Die beabsichtigte Entscheidung des 5. Strafsenats widerspricht der Rechtsprechung des 3. Strafsenats, der an dieser festhält.
Gründe
Rz. 1
Der 5. Strafsenat hat über die Revision eines Angeklagten zu entscheiden, der vom Landgericht wegen vorsätzlichen Inverkehrbringens bedenklicher Arzneimittel in 87 Fällen zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt worden ist. Der 5. Strafsenat hält die Verurteilung im Lichte der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union zum Arzneimittelbegriff (Urteil vom 10. Juli 2014 – C-358/13 und C-181/14, NStZ 2014, 461) für rechtsfehlerhaft. Er sieht sich an einem Freispruch jedoch gehindert, weil – insoweit unproblematisch – die von dem Angeklagten vertriebenen Kräutermischungen teilweise bereits zur Tatzeit in Anlage II zum Betäubungsmittelgesetz (BtMG) aufgenommene synthetische Cannabinoide enthielten und im Übrigen eine Strafbarkeit wegen gewerbsmäßigen Inverkehrbringens von Tabakerzeugnissen unter Verwendung nicht zugelassener Stoffe (§ 52 Abs. 2 Nr. 1, § 20 Abs. 1 Nr. 1, 2 VTabakG) in Betracht komme (BGH, Beschluss vom 5. November 2014 – 5 StR 107/14, juris). Der 5. Strafsenat beabsichtigt deshalb wie folgt zu entscheiden:
„Das gewerbsmäßige Inverkehrbringen von zum Rauchen bestimmten Kräutermischungen, denen nicht in die Anlage II zum Betäubungs-mittelgesetz aufgenommene synthetische Cannabinoide zugesetzt sind, kann nach § 52 Abs. 2 Nr. 1, § 20 Abs. 1 Nr. 1, 2 VTabakG strafbar sein.”
Rz. 2
Hieran sieht er sich jedoch durch nicht ausschließbar entgegenstehende Rechtsprechung des 3. Strafsenats gehindert (Senat, Urteil vom 4. September 2014 – 3 StR 437/12, juris).
Rz. 3
Das in Bezug genommene Urteil steht der beabsichtigten Entscheidung des 5. Strafsenats entgegen (I.). An dieser Rechtsprechung hält der Senat fest (II.).
Rz. 4
I. In dem Urteil vom 4. September 2014 (3 StR 437/12, juris) hat der Senat zu einer Strafbarkeit nach dem Vorläufigen Tabakgesetz (VTabakG) nicht ausdrücklich Stellung genommen. Voraussetzung des Freispruchs hinsichtlich des dem dortigen Angeklagten zur Last gelegten Verkaufs von sog. Kräutermischungen war jedoch die Verneinung einer Strafbarkeit nach dem VTabakG. Diese hat der Senat – stillschweigend – vorgenommen.
Rz. 5
II. An dieser Rechtsprechung ist festzuhalten.
Rz. 6
1. Kräutermischungen, denen synthetische Cannabinoide zugesetzt sind und die geraucht werden, um sich dadurch in einen mit dem Konsum von Marihuana vergleichbaren Rauschzustand zu versetzen, stellen keine Tabakerzeugnisse oder – diesen gleichgestellte – Tabakerzeugnissen ähnliche Waren dar, denn sie sind nicht im Sinne von § 3 Abs. 1, 2 Nr. 1 VTabakG zum Rauchen bestimmt. Die Verbots- und Strafvorschriften der §§ 20, 52 VTabakG sind deshalb nicht anwendbar. Hierzu gilt:
Rz. 7
Wie auch der Vorlegungsbeschluss nicht verkennt, sind Betäubungsmittel keine Tabakerzeugnisse (Zipfel/Sosnitza/Rathke in Zipfel/Rathke, Lebensmittelrecht, 145. Erg. Lfg., § 3 VTabakG Rn. 10; Rohnfelder/Freytag in Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, 196. Erg. Lfg., § 3 VTabakG Rn. 1). Dies ist für solche Stoffe allgemein anerkannt, die – wie etwa Cannabisprodukte oder Heroin – aufgrund ihrer Aufnahme in Anlage II zu § 1 Abs. 1 BtMG als Betäubungsmittel im Sinne dieses Gesetzes anzusehen sind, beschränkt sich aber nicht auf diese. Denn der Grund, warum Betäubungsmittel nicht zu den Tabakerzeugnissen oder den diesen ähnlichen Waren zählen, liegt darin, dass es ihnen an der erforderlichen Zweckbestimmung im Sinne von § 3 VTabakG selbst dann fehlt, wenn sie tatsächlich geraucht werden (Zipfel/Sosnitza/Rathke aaO):
Rz. 8
Das Vorläufige Tabakgesetz bezweckt den Schutz der Gesundheit von Verbrauchern vor Gefahren, die mit dem Konsum von Tabakerzeugnissen und diesen ähnlichen Waren verbunden sind. Dies ergibt sich schon aus der Entstehungsgeschichte der Regelungen über Tabakerzeugnisse, die zunächst in das Lebensmittelgesetz und ab dem Jahr 1974 in das Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetz eingegliedert waren; insoweit sollten die Regelungen den Gesundheitsschutz verstärken, ohne die „wirtschaftliche Entwicklung”, mithin den Vertrieb solcher Produkte, unnötig einzuschränken (vgl. etwa BT-Drucks. 7/255, S. 23). Auch die mit den Vorschriften des Vorläufigen Tabakgesetzes korrespondierenden europarechtlichen Regelungen bezwecken nicht allgemein den Gesundheitsschutz, sondern den Schutz „der menschlichen Gesundheit durch Verringerung der Gesundheitsschäden infolge von Tabakmissbrauch” (vgl. etwa Art. 1 der Richtlinie 89/622/EWG des Rates vom 13. November 1989 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Etikettierung von Tabakerzeugnissen; gleichlautend nunmehr: Art. 1 der Richtlinie 2001/37/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. Juni 2001 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Herstellung, die Aufmachung und den Verkauf von Tabakerzeugnissen, im Folgenden EG-Tabak-Richtlinie), ohne allerdings solche Produkte schlechthin zu verbieten. Sie werden vielmehr allgemein als marktgängige Genussmittel angesehen; Handelshemmnisse sollen durch die Harmonisierung der Regelungen in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union beseitigt werden (vgl. etwa Erwägungsgrund Nr. 3 der EG-Tabak-Richtlinie).
Rz. 9
Angesichts dieses Regelungszusammenhangs kann die Zweckbestimmung „zum Rauchen” etc. nicht von dem Begriff der Tabakerzeugnisse getrennt betrachtet werden. Vielmehr definiert § 3 Abs. 1 VTabakG – in inhaltlicher Übereinstimmung mit Art. 2 Nr. 1 EG-Tabak-Richtlinie – Tabakerzeugnisse als „aus Rohtabak oder unter Verwendung von Rohtabak hergestellte Erzeugnisse, die zum Rauchen, Kauen oder anderweitigen oralen Gebrauch oder zum Schnupfen bestimmt sind”. Den Tabakerzeugnissen ähnliche Waren im Sinne von § 3 Abs. 2 Nr. 1 VTabakG sind folglich nur solche, die Tabakerzeugnisse in einer ihrer Verwendungsarten ersetzen sollen (Rohnfelder/Freytag aaO, § 3 VTabakG Rn. 9). Betäubungsmittel sollen aber, selbst wenn sie geraucht werden, nicht ein Tabakerzeugnis ersetzen; sie werden vielmehr konsumiert, um sich mittels der darin enthaltenen psychotropen Substanzen in einen Rauschzustand zu versetzen.
Rz. 10
Nichts anderes gilt für die mit synthetischen Cannabinoiden versetzten Kräutermischungen: Sie stellen kein Tabakerzeugnis im Sinne von § 3 Abs. 1 VTabakG dar, weil sie nicht aus Rohtabak oder unter Verwendung von Roh-tabak hergestellt werden. Sie sind keine den Tabakerzeugnissen ähnliche Waren im Sinne von § 3 Abs. 2 Nr. 1 VTabakG, weil sie nicht als Ersatz für Tabakerzeugnisse, sondern zur Erreichung eines anderen Zweckes – der Versetzung in einen mit Tabakerzeugnissen nicht zu erreichenden Rauschzustand – geraucht werden.
Rz. 11
2. Selbst wenn man die mit synthetischen Cannabinoiden versetzten Kräutermischungen entgegen der obigen Darlegungen als tabakähnliche Waren auffassen wollte, wären sie jedenfalls in dem vom Senat entschiedenen Fall nicht zum Rauchen bestimmt gewesen.
Rz. 12
Ausweislich der im Urteil des Senats wiedergegebenen Feststellungen des Landgerichts waren die Kräutermischungen mit dem Hinweis versehen, es handele sich um Raumerfrischer, der Inhalt der verkauften Tütchen sei nicht zum menschlichen Verzehr geeignet (BGH, Urteil vom 4. September 2014 – 3 StR 437/12, juris Rn. 5).
Rz. 13
Damit fehlt es an der von § 3 Abs. 2 Nr. 1 VTabakG vorausgesetzten Zweckbestimmung. Das Merkmal „bestimmt” ist wie bei der Definition der Lebensmittel im früheren § 1 LMBG bzw. wie nunmehr in Art. 2 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Januar 2002 zur Festlegung der allgemeinen Grundsätze und Anforderungen des Lebensmittelrechts, zur Errichtung der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit und zur Festlegung von Verfahren zur Lebensmittelsicherheit (im Folgenden: EG-Lebensmittel-BasisVO) auszulegen (Zipfel/Sosnitza/Rathke aaO, § 3 VTabakG Rn. 8). Bei der Definition des Lebensmittels ist – wie bei den Tabakerzeugnissen – maßgeblich auf die Zweckbestimmung abzustellen; damit ist die vorgesehene Verwendung gemeint, wie sie im Verkehr bei natürlicher Betrachtungsweise durch einen durchschnittlich informierten, aufmerksamen Verbraucher erkennbar ist (Rathke in Zipfel/Rathke, aaO, 150. Erg. Lfg., Art. 2 EG-Lebensmittel-BasisVO Rn. 23; G/J/W/Sackreuther, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, vor §§ 58-61 LFBG Rn. 38 mwN). Ein durchschnittlicher Verbraucher wird indes bei der Bezeichnung einer Ware als – nicht zum menschlichen Verzehr geeignetem – „Raumerfrischer” nicht davon ausgehen, dass diese zum Rauchen bestimmt sei. Auf den möglichen Kenntnisstand eingeweihter Kunden eines Verkäufers solcher Kräutermischungen über die tatsächliche Bestimmung kommt es nicht an.
Rz. 14
Ebensowenig kann darauf abgestellt werden, ob es nach vernünftigem Ermessen zu erwarten ist, dass solche Kräutermischungen geraucht werden. Denn diese in Art. 2 Abs. 1 EG-Lebensmittel-BasisVO aufgenommene Erweiterung über die Zweckbestimmung hinaus ist in der Definition der Tabakerzeugnisse bzw. der tabakähnlichen Waren im Sinne von § 3 VTabakG nicht enthalten (Zipfel/Sosnitza/Rathke aaO, § 3 VTabakG Rn. 8). Eine entsprechende Auslegung zur Begründung der Strafbarkeit kommt schon aufgrund der Gewährleistung aus Art. 103 Abs. 2 GG nicht in Betracht.
Unterschriften
Becker, RiBGH Pfister befindet sich im Urlaub und ist daher gehindert zu unterschreiben. Becker, Schäfer, Gericke, Spaniol
Fundstellen
Haufe-Index 7692699 |
NStZ-RR 2015, 142 |
NJW-Spezial 2015, 216 |
PharmaR 2015, 239 |