Verfahrensgang
LG Verden (Aller) (Urteil vom 29.09.2017) |
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Verden vom 29. September 2017 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben
- im Strafausspruch,
- soweit das Landgericht von der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt abgesehen hat.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung und Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit versuchter Körperverletzung zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt. Dagegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf eine Verfahrensbeanstandung und die Sachrüge gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
Rz. 2
1. Die Verfahrensrüge dringt aus den in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts genannten Gründen nicht durch.
Rz. 3
2. Die auf die Sachrüge gebotene umfassende Überprüfung des Urteils hat zum Schuldspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Der Rechtsfolgenausspruch hat demgegenüber keinen Bestand. Das Landgericht hat mit rechtsfehlerhafter Begründung von der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) abgesehen. Dies führt auch zur Aufhebung der gegen den Angeklagten verhängten Jugendstrafe.
Rz. 4
a) Die sachverständig beratene Jugendkammer hat ihre Entscheidung, von der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt abzusehen, allein mit Hinweis darauf begründet, dass nach den Ausführungen der Sachverständigen „eine Substanzmittelabhängigkeit oder ein Hang” des Angeklagten „im Sinne des § 64 StGB nicht feststellbar sei”. Diese Begründung stößt schon deshalb auf durchgreifende rechtliche Bedenken, weil der Angeklagte, der auch die ihm zur Last fallende Tat unter erheblichem Alkoholeinfluss beging, den Urteilsfeststellungen zufolge seit 2014 dreimal wegen einer Alkoholvergiftung im Krankenhaus behandelt werden musste und sich im Jahr 2016 unter anderem wegen „schädlichen Konsums von Alkohol” mehrere Wochen lang zur stationären Behandlung in der Kinder- und Jugendpsychiatrie befand. In Anbetracht dessen liegt es ausgesprochen nahe, dass der Angeklagte den Hang hat, alkoholische Getränke im Übermaß zu sich nehmen, so dass es einer nachvollziehbaren Begründung bedurft hätte, worauf die gegenteilige Auffassung der Sachverständigen und – ihr folgend – der Jugendkammer beruhte.
Rz. 5
Da das Vorliegen der übrigen Unterbringungsvoraussetzungen nach den Urteilsgründen nicht von vornherein ausscheidet, muss über die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt deshalb – wiederum unter Hinzuziehung eines Sachverständigen (§ 246a StPO) – neu verhandelt und entschieden werden. Dem steht nicht entgegen, dass nur der Angeklagte Revision eingelegt hat (§ 358 Abs. 2 Satz 3 StPO; BGH, Urteil vom 10. April 1990 – 1 StR 9/90, BGHSt 37, 5, 9; Beschluss vom 19. Dezember 2007 – 5 StR 485/07, NStZ-RR 2008, 107); er hat die unterbliebene Anwendung des § 64 StGB nicht vom Rechtsmittelangriff ausgenommen.
Rz. 6
b) Der aufgezeigte Rechtsfehler führt auch zur Aufhebung des Strafausspruchs. Denn es ist nicht auszuschließen, dass das Landgericht im Falle der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt gemäß § 5 Abs. 3 JGG davon abgesehen hätte, gegen ihn eine Jugendstrafe zu verhängen.
Unterschriften
Becker, Spaniol, Tiemann, Berg, Leplow
Fundstellen
Dokument-Index HI11743717 |