Verfahrensgang
LG Kassel (Urteil vom 28.10.2019; Aktenzeichen 8881 Js 44000/18 11 KLs) |
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Kassel vom 28. Oktober 2019, soweit es ihn betrifft,
geändert
- im Schuldspruch dahin, dass der Angeklagte wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in fünf Fällen, davon in zwei Fällen in Tateinheit mit unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und in einem Fall in Tateinheit mit Anstiftung zur unerlaubten Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge verurteilt wird;
- im Ausspruch über die Einziehung dahin, dass gegen den Angeklagten die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 42.000 EUR als Gesamtschuldner angeordnet wird.
mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben
- im Strafausspruch
- soweit eine Entscheidung über die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt unterblieben ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weiter gehende Revision des Angeklagten wird verworfen.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in fünf Fällen, davon in drei Fällen in Tateinheit mit unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt. Ferner hat es die Einziehung des Geldbetrages von 42.000 EUR gegen den Angeklagten angeordnet, davon in Höhe von 2.000 EUR als Gesamtschuldner. Die Revision des Angeklagten, die er mit der „Verletzung förmlichen und sachlichen Rechts” begründet, hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Erfolg. Im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
Rz. 2
1. Die Verfahrensrüge ist nicht ausgeführt und daher unzulässig (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO).
Rz. 3
2. Die umfassende Nachprüfung des angefochtenen Urteils aufgrund der Sachrüge deckt zum Schuldspruch lediglich bei Fall 2 der Urteilsgründe einen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf. Nach den Urteilsfeststellungen zu diesem Fall bestellte der Angeklagte zwar Kokain in den Niederlanden, dieses wurde aber – anders als in den anderen Fällen – von einem unbekannten Kurier am Folgetag nach Deutschland geliefert. Damit wird – wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift zutreffend dargestellt hat – lediglich eine Anstiftung zur Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge im Sinne von § 30 Abs. 1 Nr. 4 BtMG, § 26 StGB belegt, was zu der aus der Beschlussformel ersichtlichen Schuldspruchänderung führt. § 265 Abs. 1 StPO steht dem nicht entgegen, da sich der Angeklagte nicht anders als geschehen hätte verteidigen können.
Rz. 4
3. Unabhängig von der auch den Einzelstrafausspruch zu Fall 2 der Urteilsgründe berührenden Schuldspruchänderung kann der Strafausspruch keinen Bestand haben. Durchgreifend rechtsfehlerhaft ist die Wertung der Strafkammer zulasten des Angeklagten, er habe „mit dem gesondert Verfolgten X. gemeinschaftlich gehandelt”. Allein der Umstand mittäterschaftlichen Handelns besagt noch nichts über das Maß der Tatschuld des einzelnen Beteiligten (vgl. Senat, Beschluss vom 7. September 2015 – 2 StR 124/15, NStZ-RR 2016, 74; BGH, Beschluss vom 5. April 2016 – 3 StR 428/15, NStZ 2016, 525; SSW-StGB/Eschelbach, 4. Aufl., § 46 Rn. 80).
Rz. 5
4. Die Einziehungsentscheidung bedarf aus den vom Generalbundesanwalt dargelegten Gründen der Korrektur. Die Feststellungen belegen, dass der Angeklagte einen Erlös aus den Drogengeschäften in Höhe von insgesamt 42.000 EUR zusammen mit den Mittätern erlangt hat. Der Senat ordnet deshalb in entsprechender Anwendung von § 354 Abs. 1 StPO die Einziehung des Wertes von Taterträgen (§ 73 Abs. 1, § 73c StGB) und die gesamtschuldnerische Haftung des Angeklagten an.
Rz. 6
5. Das Urteil kann auch insoweit keinen Bestand haben, als das Landgericht die Voraussetzungen des § 64 Satz 1 StGB nicht erörtert hat, obwohl hierzu Anlass bestand. Wie der Generalbundesanwalt zutreffend ausführt, konsumierte der Angeklagte nach den Urteilsfeststellungen seit seinem 19. Lebensjahr bis zu seiner Festnahme in dieser Sache regelmäßig Betäubungsmittel, vornehmlich Kokain; er absolvierte Entzugstherapien und erlitt Rückfälle. Die hier gegenständlichen Taten beging er nach den Urteilsfeststellungen zur Mitfinanzierung des eigenen Drogenkonsums.
Rz. 7
Die unterbliebene Prüfung stellt sich deshalb als durchgreifender sachlich-rechtlicher Mangel dar. Erwägungen zu einer Anordnung nach § 64 StGB waren auch nicht deshalb entbehrlich, weil sich die Strafkammer – für sich genommen rechtsfehlerfrei – von der uneingeschränkten Schuldfähigkeit des Angeklagten überzeugt hat. Eine suchtbedingte Abhängigkeit kann auch dann die Annahme eines Hanges im Sinne des § 64 StGB begründen, wenn sie nicht den Schweregrad einer seelischen Störung im Sinne der §§ 20, 21 StGB erreicht (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 22. Februar 2007 – 4 StR 26/07, NStZ-RR 2007, 193, 194 mwN).
Rz. 8
Die unterbliebene Prüfung wird der neue Tatrichter – unter Hinzuziehung eines Sachverständigen (§ 246a StPO) – nachzuholen haben. Dass nur der Angeklagte Revision eingelegt hat, würde eine Unterbringungsanordnung im weiteren Verfahren nicht hindern (§ 358 Abs. 2 StPO). Er hat die Nichtanwendung des § 64 StGB durch das Tatgericht nicht von seinem Rechtsmittelangriff ausgenommen. Der neue Tatrichter wird im Hinblick auf die erforderliche konkrete Aussicht auf einen Behandlungserfolg (§ 64 Satz 2 StGB) beim Angeklagten allerdings auch die Sprachkenntnisse und die Bleibeperspektive des Angeklagten in den Blick zu nehmen haben (vgl. Senat, Beschlüsse vom 12. März 2014 – 2 StR 436/13 und vom 16. Juli 2019 – 2 StR 241/19 mwN).
Unterschriften
Franke, Appl, Krehl, Meyberg, RiBGH Dr. Grube ist urlaubsbedingt an der Unterschrift gehindert. Franke
Fundstellen
Dokument-Index HI14067150 |