Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision des Angeklagten M. wird das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 7. Oktober 2009 – soweit es diesen Angeklagten betrifft – gemäß § 349 Abs. 4 StPO im Ausspruch über die Höhe der Jugendstrafe aufgehoben.
Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten – wie auch zwei Mitangeklagte – wegen Totschlags in Tateinheit mit versuchter räuberischer Erpressung schuldig gesprochen und ihn zu einer Jugendstrafe von acht Jahren verurteilt. Die Revision des Angeklagten erzielt lediglich den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg. Im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
Rz. 2
1. Der Verurteilung liegt zugrunde, dass der Angeklagte am 15. April 2008 an einer gewaltsamen Eintreibung von Außenständen aus Drogenverkäufen des Angeklagten B. durch diesen und den Nichtrevidenten L. mitgewirkt hat, die zur Tötung des Drogenkäufers führte. Der Angeklagte hatte zunächst eine Mitwirkung an der Tötung abgelehnt und sich lediglich mit der Erteilung einer Lektion einverstanden erklärt. Nach Beginn der Tötungshandlungen der Mittäter sprang er mehrfach auf das Opfer, setzte hierduch dessen Wehrfähigkeit herab und nahm in Kenntnis und Billigung der Tathandlungen der Mittäter den Tod des Drogenkäufers in Kauf.
Rz. 3
2. Das Landgericht hat die Jugendstrafe neben der Schwere der Schuld auch mit dem Vorliegen schädlicher Neigungen gemäß § 17 Abs. 2 JGG begründet und hierfür auf die ganz erhebliche Beteiligung des Angeklagten an einem besonders schweren Delikt, wenn auch nicht als treibende Kraft, abgestellt. Es hat ferner ausgeführt: „Der bis dahin nur geringfügig strafrechtlich in Erscheinung getretene Angeklagte M. hat zur Überzeugung der Kammer erkennbare Defizite, sich von möglicherweise als falsch erkannten Handlungen zu distanzieren. Die Probleme, sich abzugrenzen, und die ihn prägenden Helfertendenzen führten zur Überzeugung der Kammer dazu, dass der Angeklagte M. aus falsch verstandener Kameradschaft auch bereit war, sich an erheblichsten Straftaten zu beteiligen. In der Tat sind schädliche Neigungen in einem Umfang hervorgetreten, die ohne eine längere Gesamterziehung die Gefahr weiterer nicht nur unerheblicher Straftaten in sich bergen” (UA S. 188).
Rz. 4
3. Diese Erwägungen tragen die Annahme schädlicher Neigungen nicht.
Rz. 5
a) Hierfür sind erhebliche Anlage- und Erziehungsmängel erforderlich, die in aller Regel nur bejaht werden können, wenn erhebliche Persönlichkeitsmängel schon vor der Tat, wenn auch verborgen, angelegt waren (BGHR JGG § 17 Abs. 2 schädliche Neigungen 5 m.w.N.; BGH NStZ 2010, 280, 281). Solche hat das Landgericht aber nicht festgestellt.
Rz. 6
aa) Die Jugendstrafkammer ist dem Gutachten des jugendpsychiatrischen Sachverständigen zur Persönlichkeit des Angeklagten gefolgt, das keine Auffälligkeiten im Sozialverhalten des Angeklagten festgestellt und ihn als hilfsbereite Persönlichkeit beschrieben hat, die über kein großes Selbstwertgefühl und wenig Selbstvertrauen verfüge und unter Prüfungsangst leide (UA S. 165). Er sei eine um Bestätigung bemühte Person, die nicht leicht eine eigene klare Position definieren könne und eher Tendenzen zeige, sich mit seinen Problemen einem Erwachsenen anzuvertrauen. Im Verhältnis zu den Eltern habe noch keine deutliche Emanzipation stattgefunden, der Angeklagte sei „jugendtypisch anlehnungsbedürftig’ (UA S. 187). Damit hat das Landgericht im Ergebnis lediglich Umstände festgestellt, die eine Reifeverzögerung belegen (vgl. BGHR aaO).
Rz. 7
bb) Soweit die Jugendkammer eine vom Angeklagten geübte falsch verstandene Kameradschaft als schädliche Neigung anerkannt hat, fehlt es hierfür an der gebotenen Begründung (vgl. BGH StV 1985, 419, 420). Deren Annahme widerspricht zudem der festgestellten Tatmotivation. Insoweit hat das Landgericht dargelegt, dass der Angeklagte bei der – ihm persönlichkeitsfremden (UA S. 168) – Tötungshandlung mitgewirkt habe, um anerkannt zu werden bzw. die Anerkennung nicht zu verlieren (UA S. 167). Die Jugendkammer hätte angesichts dieser Feststellung erwägen müssen, ob diese Motivation – und damit auch die falsch verstandene Kameradschaft – ebenfalls den Reifeverzögerungen zuzurechnen ist und deshalb keine schädlichen Neigungen begründen konnte (vgl. BGHR aaO).
Rz. 8
cc) Das Landgericht hat ferner den Umstand nicht in seine Bewertung einbezogen, dass sich der Angeklagte während eines von den Mittätern eskalierend geführten Tatgeschehens spontan zur Mitwirkung an der Tötung entschlossen hat, was eine Würdigung als ein der Annahme schädlicher Neigungen tendenziell entgegenstehendes situationsbedingtes Versagen erfordert hätte (vgl. Eisenberg, JGG 14. Aufl. § 17 Rdn. 19).
Rz. 9
b) Auch soweit das Landgericht – ohne weitere Darlegung – schädliche Neigungen noch als zum Urteilszeitpunkt bestehend angenommen hat, begegnet dies durchgreifenden Bedenken. Es hat in diesem Zusammenhang wesentliche gegenläufige Feststellungen nicht erwogen, die Zweifel an der Fortdauer schädlicher Neigungen oder die Annahme von deren Überwindung hätten begründen können (vgl. BGH bei Böhm NStZ 1997, 481; Eisenberg aaO § 17 Rdn. 23).
Rz. 10
Der Angeklagte hat bereits neun Tage nach der Tat am 24. April 2008 sein den Mittätern gelobtes Schweigen gebrochen und sich den Ermittlungsbehörden gestellt, ohne gegen ihn bereits laufende Ermittlungsmaßnahmen gekannt zu haben (UA S. 34). Auch wenn der Angeklagte seinen eigenen Tatbeitrag teilweise geleugnet hat, hat das Landgericht die zutreffende Belastung der Mitangeklagten (todesursächliches Strangulieren durch den Angeklagten B. und Verlegung der Atemwege mittels gewaltsamer Einführung einer Zwiebel durch den Angeklagten L.) als frühen Aufklärungsbeitrag gewürdigt (UA S. 190). Darüber hinaus hat sich der Angeklagte nach zwei Entlassungen aus der ihn beeindruckenden Untersuchungshaft (UA S. 190) dem weiteren Verfahren jeweils gestellt, sein relativiertes Tatverhalten als falsch erkannt, sich entschuldigt (UA S. 190) und keine weitere Straftat mehr begangen.
Rz. 11
4. Die aufgezeigten Mängel führen zur Aufhebung des Ausspruchs über die Höhe der Jugendstrafe. Auch wenn die Jugendkammer in nicht zu beanstandender Weise die Notwendigkeit von Verhängung von Jugendstrafe auch auf die Schuldschwere gestützt hat, ist nicht auszuschließen, dass sich die bisher von den Feststellungen nicht getragene Annahme schädlicher Neigungen bei der Bemessung der Jugendstrafe zum Nachteil des Angeklagten ausgewirkt hat (vgl. BGHR JGG § 17 Abs. 2 schädliche Neigungen 5 m.w.N.).
Rz. 12
Der Aufhebung von Feststellungen bedurfte es bei dem hier vorliegenden Subsumtionsfehler nicht. Das Landgericht wird die Jugendstrafe auf der Grundlage der bisher getroffenen Feststellungen neu zu bestimmen haben, wobei weitere Feststellungen, die nicht in Widerspruch zu den bisher getroffenen treten, dem Strafausspruch zugrunde gelegt werden können.
Unterschriften
Brause, Sander, Schneider, König, Bellay
Fundstellen
Haufe-Index 2419711 |
NStZ-RR 2010, 387 |
StV 2011, 581 |