Verfahrensgang
LG Görlitz (Urteil vom 04.03.2008) |
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Görlitz vom 4. März 2008 wird gemäß § 349 Abs. 4 StPO
- das Verfahren in den ersten neun Fällen des sexuellen Missbrauchs von Kindern (jeweils Einzelfreiheitsstrafe von zwei Jahren) auf Kosten der Staatskasse, die auch die insoweit entstandenen notwendigen Auslagen des Angeklagten zu tragen hat, eingestellt,
- das Urteil im Schuldspruch dahin abgeändert, dass der Angeklagte des sexuellen Missbrauchs von Kindern in 40 Fällen schuldig ist, und im Ausspruch über die Gesamtstrafe aufgehoben.
2. Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die weiteren Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in 49 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Es hat ihn von 45 weiteren mit der unverändert zugelassenen Anklage vorgeworfenen Fällen des sexuellen Missbrauchs von Kindern freigesprochen. Die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten führt zur Teileinstellung des Verfahrens und zur Aufhebung des Gesamtstrafausspruchs. Im Übrigen ist sein Rechtsmittel aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
Rz. 2
1. Die ersten neun Taten sind nicht von der Anklage umfasst und durften daher nicht Gegenstand der Verurteilung sein. Die Anklage benennt – offensichtlich zur Vermeidung der Anwendung des Strafgesetzbuchs der DDR und des Übergangsrechts (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 16. Februar 2005 – 2 StR 492/04) – als Tatzeitraum die Zeit vom 8. Oktober 1990 bis 26. Juli 1992, ohne dabei maßgeblich auf den Beginn der Tatserie abzustellen. Hingegen legen die Urteilsfeststellungen (UA S. 4, 5) – auch unter Berücksichtigung der Ausführungen auf UA S. 27 – der Verurteilung die an einem Wochenendtag vor dem 27. Juli 1990 begangene Initialtat und eine daran bis zum 26. Juli 1991 anschließende, für höchstens drei Wochen unterbrochene Tatserie zugrunde, während der der Angeklagte zu seiner Erregung sexuelle Handlungen an seiner Tochter mindestens einmal pro Woche ausführte; in insgesamt 33 der 49 Fälle vollzog der Angeklagte nach der – für sich genommen nicht zu beanstandenden Schätzung des Landgerichts – mit der Geschädigten, von deren Glaubwürdigkeit sich die Kammer auch aufgrund deren nachvollziehbarer zeitlicher Einordung des Beginns der Tatserie (UA S. 22, 26: vor Erhalt des Begrüßungsgeldes, vor Wegzug eines Klassenkameraden, noch im gemeinsam mit dem Bruder bewohnten Kinderzimmer) überzeugt hat, den Geschlechtsverkehr. Zugunsten des Angeklagten ist davon auszugehen, dass zu den 33 Beischlafsfällen (§ 176 Abs. 1, Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 StGB a.F.) die neun im Zeitraum von Juli 1990 bis 8. Oktober 1990 begangenen Missbrauchstaten gehören.
Rz. 3
2. Infolge der Verfahrenseinstellung entfallen neun Einzelstrafen von jeweils zwei Jahren Freiheitsstrafe. Dies zieht die Aufhebung des Gesamtstrafausspruchs nach sich.
Rz. 4
3. Die im Zeitraum vom 8. Oktober 1990 bis zum 26. Juli 1991 begangenen Taten sind – anders als die vor dem 3. Oktober 1990 liegenden Fälle (vgl. dazu BGH aaO) – nicht verjährt (§ 78b Abs. 1 Nr. 1, § 78 Abs. 3 Nr. 3 StGB). Der Angeklagte ist am 28. Juni 2006 (Band II Blatt 149 der Hauptakten) erstmals verantwortlich vernommen worden (§ 78c Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB). Seine Tochter wurde am 27. Juli 1978 geboren.
Rz. 5
Dass das Tatgericht, dessen Urteil im Gegensatz zur Qualität der inhaltlichen Beweiswürdigung ungewöhnlich nachlässig in Bezug auf Daten und Zahlen gefasst ist, ersichtlich versehentlich nur eine Tatserie bis zum 13. Geburtstag der Nebenklägerin ausgeurteilt und den Angeklagten infolgedessen von einer Vielzahl weiterer Fälle freigesprochen hat, ist unangefochten geblieben, beschwert den Angeklagten nicht und ist infolge Rechtskraft nicht korrigierbar. Der Senat versteht die Wendung auf UA S. 27 nicht dahin, dass das Landgericht den zeitlichen Angaben der Nebenklägerin in unerklärtem Widerspruch zur Beweiswürdigung nachhaltig misstraut hätte, was zur umfassenden Aufhebung des Urteils hätte führen müssen.
Rz. 6
4. Das neue Tatgericht hat nach alledem aus den verbleibenden rechtskräftigen 40 Einzelstrafen (zugunsten des Angeklagten 24 Einzelfreiheitsstrafen von jeweils zwei Jahren und, wie ausgeurteilt, 16 Einzelfreiheitsstrafen von jeweils einem Jahr) eine Gesamtfreiheitsstrafe zu bilden. Dabei dürfte namentlich angesichts des bisher nach der letzten ausgeurteilten Tat verstrichenen Zeitraums und des engen zeitlichen, sachlichen und situativen Zusammenhangs der Tatserie eine im Vergleich zum angefochtenen Urteil straffere Zusammenziehung nahe liegen (vgl. dazu BGHR StGB § 54 Serienstraftaten 1, 3, 4, 5; Strafhöhe 1; § 54 Abs. 1 Bemessung 12). Etwa zu treffende neue Feststellungen dürfen nur zugrunde gelegt werden, wenn sie den nunmehr bestandskräftigen nicht widersprechen.
Unterschriften
Basdorf, Raum, Schaal, Roggenbuck, Schneider
Fundstellen
Haufe-Index 2565251 |
NStZ-RR 2011, 162 |