Verfahrensgang
LG Mönchengladbach (Urteil vom 10.01.2014) |
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Mönchengladbach vom 10. Januar 2014
im Schuldspruch dahin neu gefasst, dass der Angeklagte schuldig ist
- des schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen in zwei Fällen,
- des versuchten schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen und
- des sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen in drei Fällen;
- im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen „sexuellen Missbrauchs von Personen unter 14 Jahren in sechs Fällen, davon in zwei Fällen als schwere sexuelle Misshandlung und in einem Fall als versuchte schwere Misshandlung, in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen” zu der Gesamtstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Rügen der Verletzung formellen und sachlichen Rechts gestützten Revision. Die Verfahrensrüge ist nicht ausgeführt und schon deshalb unzulässig (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO). Mit der Sachrüge hat das Rechtsmittel den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg. Im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. Jedoch fasst der Senat den Schuldspruch entsprechend den Vorgaben des § 260 Abs. 4 Satz 1 und 2 StPO neu.
Rz. 2
Der Strafausspruch hat keinen Bestand. Nach den Feststellungen missbrauchte der Angeklagte im Tatzeitraum zwischen dem 3. Juni 2004 und dem 2. Juni 2007 in sechs näher bezeichneten Fällen seinen zwischen elf und dreizehn Jahre alten Stiefsohn, dessen Betreuung und Erziehung er zusammen mit der Mutter übernommen hatte. In zwei dieser Fälle übte er den Oralverkehr an dem Kind aus, einmal versuchte er den Analverkehr. Im gesamten Tatzeitraum und darüber hinaus bis zum Jahr 2011 sei es zudem zu einer Vielzahl von sexuellen Übergriffen gekommen, deren Gesamtzahl sich nicht feststellen lasse. Durchschnittlich zweimal die Woche habe der Angeklagte seinen Stiefsohn missbraucht, wobei er überwiegend bei dem Nebenkläger masturbiert und weniger häufig den Oralverkehr ausgeübt habe. Einen Analverkehr habe der Angeklagte in maximal 40 Fällen versucht. Das Landgericht hat im Rahmen der Strafzumessung jeweils zulasten des Angeklagten den Zeitraum des Missbrauchs und die Anzahl der Missbrauchstaten berücksichtigt. Die angeklagten Taten seien lediglich eine „Teilmenge einer Vielzahl von Übergriffen, die aber zeitlich nicht mehr zu konkretisieren waren”.
Rz. 3
Diese strafschärfende Erwägung begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Zwar ist es grundsätzlich zulässig, bei der Strafzumessung zu berücksichtigen, dass der Angeklagte noch sonstige – bisher nicht abgeurteilte – Straftaten begangen hat; dies gilt allerdings nur, wenn diese Taten prozessordnungsgemäß und so bestimmt festgestellt sind, dass sie in ihrem wesentlichen Unrechtsgehalt abzuschätzen sind und eine unzulässige Berücksichtigung des bloßen Verdachts weiterer Straftaten ausgeschlossen werden kann (vgl. BGH, Beschlüsse vom 12. Mai 1995 – 3 StR 179/95, BGHR StGB § 54 Serienstraftaten 2; vom 9. Oktober 2003 – 4 StR 359/03, bei Pfister NStZ-RR 2004, 353, 359 Nr. 37; vom 2. Juli 2009 – 3 StR 251/09, NStZ-RR 2009, 306). Diesen Anforderungen genügen die pauschalen Feststellungen zu einer Vielzahl weiterer Missbrauchstaten im Tatzeitraum nicht. So kann den Darlegungen schon nicht hinreichend entnommen werden, in wie viel weiteren Fällen es zu sexuellen Übergriffen gekommen ist. Das Landgericht geht zwar von einem „durchschnittlich” zweimal in der Woche stattgefundenen Missbrauch aus. Da es diese Missbrauchstaten jedoch „zeitlich nicht konkretisieren” kann, ist auch das Landgericht offensichtlich davon ausgegangen, dass der Angeklagte nicht im gesamten Zeitraum zwischen dem 3. Juni 2004 und dem Jahr 2011 an dem Nebenkläger zweimal wöchentlich sexuelle Handlungen vorgenommen hat. Darüber hinaus lässt sich aufgrund der Feststellungen nicht ermessen, in welchem Umfang der Angeklagte sich nach welchen gesetzlichen Tatbeständen, denen jeweils ein unterschiedlicher Unrechtsgehalt zugrunde liegt, strafbar gemacht haben soll. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Nebenkläger am 2. Juni 2007 vierzehn Jahre und am 2. Juni 2009 sechzehn Jahre alt wurde. Auch sagt der Umstand, dass der Angeklagte in „maximal” 40 Fällen den Analverkehr versucht haben soll, nichts darüber aus, in wieviel Fällen es vor dem 14. Geburtstag des Nebenklägers wenigstens zu solchen Übergriffen kam. Die nicht näher eingrenzbare Möglichkeit weiterer, nicht angeklagter Taten durfte das Landgericht deshalb bei der Strafzumessung nicht zu Lasten des Angeklagten berücksichtigen.
Rz. 4
Der Senat kann nicht ausschließen, dass der Strafausspruch auf dieser rechtsfehlerhaften Erwägung beruht; die Einzelstrafen und die Gesamtstrafe können deshalb nicht bestehen bleiben.
Rz. 5
Für die neue Verhandlung weist der Senat darauf hin, dass sexuelle Handlungen, die mit einem Eindringen in den Körper verbunden sind, den Tatbestand des schweren sexuellen Missbrauchs nach § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB begründen. Dass solche Sexualpraktiken stattgefunden haben, darf deshalb als solches nicht straferschwerend berücksichtigt werden (§ 46 Abs. 3 StGB).
Unterschriften
Becker, Pfister, RiBGH Hubert befindet sich im Urlaub und ist daher gehindert zu unterschreiben., Becker, Mayer, Spaniol
Fundstellen
Haufe-Index 7366103 |
NStZ 2015, 7 |
NStZ-RR 2014, 366 |
NStZ-RR 2014, 367 |
StV 2015, 552 |