Verfahrensgang

Schleswig-Holsteinisches OLG (Beschluss vom 27.04.1994)

Schleswig-Holsteinisches OLG (Beschluss vom 22.04.1994)

 

Tenor

Auf die weitere Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluß des 3. Senats für Familiensachen des Schlewig-Holsteinischen Oberlandesgerichts in Schleswig vom 22. bzw. 27. April 1994 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der weiteren Beschwerde, an das Beschwerdegericht zurückverwiesen.

Beschwerdewert: 18.936 DM.

 

Tatbestand

I.

Die Parteien haben am 5. Juni 1981 geheiratet. Am 24. April 1992 ist dem Ehemann (Antragsgegner) der Scheidungsantrag der Ehefrau (Antragstellerin) zugestellt worden.

In der Ehezeit (1. Juni 1981 bis 31. März 1992, § 1587 Abs. 2 BGB) hat die Ehefrau Anwartschaften der gesetzlichen Rentenversicherung in Höhe von monatlich 236,86 DM erworben. Der Ehemann, von Beruf Zahnarzt, hat Anrechte beim Versorgungswerk der Zahnärztekammer S.-H. (weitere Beteiligte zu 1 – im folgenden ZKSH) erlangt, die mit einem Nennbetrag von monatlich 1.814,90 DM festgestellt worden sind. Nach seiner dem Gericht erteilten Auskunft vom 1. Juni 1992 war der Ehemann daneben an der Erweiterten Honorarverteilung der Kassenzahnärztlichen Vereinigung S.-H. (im folgenden EHV) beteiligt.

Das Amtsgericht hat durch Verbundurteil die Ehe der Parteien geschieden und u.a. den Versorgungsausgleich dahin geregelt, daß zu Lasten der Anwartschaft des Ehemannes beim ZKSH auf dem Versicherungskonto der Ehefrau bei der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (weitere Beteiligte zu 2) monatliche Rentenanwartschaften in Höhe von 20,46 DM begründet werden. Anrechte des Ehemannes aus EHV sind dabei nicht berücksichtigt worden. Diese Entscheidung hat das Oberlandesgericht auf Beschwerde der Ehefrau dahin geändert, daß das Quasisplitting zu ihren Gunsten auf monatlich 103,80 DM angehoben wird. Zusätzlich hat es wie folgt erkannt:

„Etwaige Anwartschaften des Antragsgegners für eine erweiterte Honorarverteilung bleiben dem schuldrechtlichen Versorgungsausgleich vorbehalten.”

Mit der – zugelassenen – weiteren Beschwerde macht die Ehefrau geltend, daß der Versorgungsausgleich auch von der Beschwerdeinstanz nicht gesetzmäßig durchgeführt worden sei. Insbesondere beanstandet sie, daß das Oberlandesgericht die Anrechte des Ehemannes beim ZKSH als in der Anwartschaftsphase statisch beurteilt hat.

 

Entscheidungsgründe

II.

Das Rechtsmittel führt zur Aufhebung und Zurückverweisung.

1. Das Oberlandesgericht hat u.a. dahin erkannt, daß „etwaige” Anrechte des Ehemannes bei der EHV dem schuldrechtlichen Ausgleich vorbehalten bleiben. Insoweit ist seine Entscheidung nicht mit Gründen versehen und kann schon aufgrund von § 27 Satz 2 FGG i.V.m. § 551 Nr. 7 ZPO keinen Bestand haben.

Darüber hinaus begegnet die angefochtene Entscheidung auch weiteren rechtlichen Bedenken.

Versorgungsanrechte bei dem ZKSH und der EHV bestehen unabhängig voneinander; so ist in § 26 Abs. 1 Satz 3 der Satzung des ZKSH im Zusammenhang mit der Regelung der Beitragspflicht etwa bestimmt, daß Leistungsansprüche aus der EHV nicht als Befreiungsgrund gelten. Der Senat hat bereits entschieden, daß beim EHV erworbene Versorgungsanrechte gemäß § 1 Abs. 3 VAHRG in den öffentlich-rechtlichen Ausgleich einzubeziehen sind (Beschluß vom 29. Juni 1988 – IV b ZB 61/85 – Ez/FamR BGB § 1587 a Nr. 50). Zwar hat die Ehefrau in der Beschwerdeinstanz im Hinblick auf Anrechte aus der EHV ausgeführt, der schuldrechtliche Ausgleich sei insoweit für sie „deutlich günstiger”. Das Verfahren über den öffentlich-rechtlichen Versorgungsausgleich ist aber weitgehend der Parteiautonomie entzogen, zumal auch Belange der Solidargemeinschaft der Versicherten berührt werden. Nach allgemeinen Grundsätzen hat das Gericht im Scheidungsverbundverfahren von Amts wegen sämtliche Versorgungsanrechte der Parteien zu ermitteln und den öffentlich-rechtlichen Versorgungsausgleich nach den gesetzlichen Vorschriften durchzuführen; eine wirksame Parteivereinbarung gemäß § 1587 o BGB, die dem im Einzelfall Grenzen setzen könnte, ist vorliegend nicht zustande gekommen. Einen Antrag gemäß § 1587 b Abs. 4 BGB hat die Ehefrau nicht gestellt, so daß dahinstehen kann, ob ein solcher es gerechtfertigt hätte, die Anrechte beim EHV nicht öffentlich-rechtlich auszugleichen. Auch ging es nicht um den Sonderfall des § 3 b VAHRG, bei dem das Gericht dem schuldrechtlichen Ausgleich unterfallende Anrechte in engen Grenzen öffentlich-rechtlich ausgleichen kann, dabei aber einen entgegenstehenden Willen des ausgleichsberechtigten Ehegatten zu beachten hat (vgl. Senatsbeschluß vom 30. September 1992 – XII ZB 99/88 – FamRZ 1993, 172). Da demnach sowohl die vom Oberlandesgericht berücksichtigten Anrechte des Ehemannes bei der ZKSH als auch solche beim EHV dem Ausgleich nach § 1 Abs. 3 VAHRG unterfallen, bedeutet es auch einen Verstoß gegen den Amtsermittlungsgrundsatz des § 12 FGG, daß über Existenz und Höhe von Anrechten des Ehemannes beim EHV keine Feststellungen getroffen worden sind (vgl. Senatsbeschluß vom 24. Februar 1982 – IV b ZB 746/80 – FamRZ 1982, 471, 473; Keidel/Amelung FGG 13. Aufl. § 12 Rdn. 95). Daß die weitere Beschwerde diesen Verstoß nicht rügt, ist unerheblich, weil es sich um eine von Amts wegen zu prüfende Gesetzesverletzung handelt (vgl. Keidel/Kuntze a.a.O. § 27 Rdn. 15). Hiernach hat das Oberlandesgericht den öffentlich-rechtlichen Versorgungsausgleich der Ehegatten nicht dem Gesetz entsprechend geregelt. Da weitere tatrichterliche Ermittlungen erforderlich sind, ist eine abschließende Entscheidung durch den Senat nicht möglich.

2. Die Anrechte des Ehemannes beim ZKSH hat das Oberlandesgericht als im Anwartschaftsstadium statisch und im Leistungsstadium volldynamisch beurteilt und dazu im wesentlichen ausgeführt: Nach § 12 der Satzung des Versorgungswerks richteten sich die Beiträge der Versicherten nach dem jeweiligen Höchstbetrag, der nach den Regeln des SGB VI an die gesetzliche Rentenversicherung zu zahlen sei. Darin liege keine Dynamik im Anwartschaftsstadium, weil der Wert der Anrechte ausschließlich von den eigenen Beitragsleistungen des Versicherten abhänge, ohne daß sich insoweit eine allgemeine Einkommenssteigerung auswirke. Die Struktur des ZKSH entspreche derjenigen der Landesärztekammer Hessen und der der Zahnärztekammer Niedersachsen, die beide als im Anwartschaftsteil statisch zu beurteilen seien (Hinweis auf die Senatsbeschlüsse vom 25. September 1991 – XII ZB 77/90 – FamRZ 1992, 165 und vom 21. September 1988 – IV b ZB 104/86 – FamRZ 1989, 155). Auch die eigene Einschätzung des Versorgungswerks gehe in diese Richtung, wie aus dessen Auskunft vom 25. August 1992 hervorgehe, die sich auf eine beigefügte sachverständige Äußerung des Versicherungsmathematikers K. stütze.

Die weitere Beschwerde macht demgegenüber geltend, das Oberlandesgericht habe für seine Annahme den Sachverhalt nicht genügend aufgeklärt. Mangels gegenteiliger Anhaltspunkte sei davon auszugehen, daß das ZKSH wie andere berufsständische Versorgungswerke ihre Anwartschaften nach Maßgabe der in der versicherungsmathematischen Bilanz ausgewiesenen Überdeckung, die sich insbesondere aus der Beitragsdynamik ergebe, laufend erhöhe.

Damit deckt die weitere Beschwerde keinen Rechtsfehler auf. Wie der Senat bereits in der Entscheidung BGHZ 85, 194, 199 dargelegt und seither mehrfach bestätigt hat, reicht es für die Annahme der Dynamik einer Versorgung im Anwartschaftsstadium nicht aus, wenn die Beiträge an eine regelmäßig angepaßte allgemeine Bemessungsgrundlage – wie hier diejenige der gesetzlichen Rentenversicherung – gekoppelt sind und das Mitglied infolgedessen mit jeder Anhebung dieser Bemessungsgrundlage entsprechend höhere Anwartschaften erwerben muß (sogenannte Beitragsdynamik; vgl. zuletzt Beschluß vom 4. Oktober 1990 – XII ZB 115/88 – FamRZ 1991, 310, 312 m.w.N.). Daß die Struktur der ZKSH mit der des Versorgungswerks der Landesärztekammer Hessen vergleichbar ist, die vom Senat in mehreren Entscheidungen als im Anwartschaftsstadium statisch beurteilt worden ist (vgl. Senatsbeschluß vom 25. September 1991 a.a.O. m.w.N.), wird auch im Schrifttum vertreten (vgl. Soergel/Zimmermann BGB Nachtrag zur 12. Aufl. § 1587 a Rdn. 211). Die Satzung des Versorgungswerks sieht in § 25 Abs. 3 zwar eine Anpassung der laufenden Leistungen an die Veränderung der Lebenshaltungskosten und der Kaufkraft vor, nicht aber auch eine solche der Anwartschaften, die vielmehr nach Maßgabe des Beitrags- und Leistungsverzeichnisses im Anhang zur Satzung in einer festen Beziehung zu den geleisteten Beiträgen stehen. Aus den bereits erwähnten Ausführungen des Versicherungsmathematikers K. geht hervor, daß der mit monatlich 1.814,90 DM bemessene Nennbetrag des Anrechts des Ehemannes gemäß § 1587 a Abs. 2 Nr. 4 c BGB ermittelt worden ist. Eine solche Rentenbemessung ist typisch für eine im Anwartschaftsstadium statische Versorgung (vgl. Senatsbeschluß vom 21. Januar 1987 – IV b ZB 155/84 – FamRZ 1987, 361, 362). Es ist daher jedenfalls im Ergebnis nicht zu beanstanden, daß das Oberlandesgericht eine Statik im Anwartschaftsstadium angenommen hat; die von ihm zugrunde gelegte Volldynamik im Leistungsstadium ist die für die Ehefrau günstigste Möglichkeit, so daß insoweit eine Besserstellung nicht in Betracht kommt. Die von der weiteren Beschwerde ansonsten aufgeworfene Frage, ob bei Vorliegen einer unterhalb der Volldynamik liegenden Dynamik im Anwartschaftsstadium die vom Gesetz angeordnete Umrechnung mit Hilfe der pauschalierenden Tabellen der Barwertverordnung verfassungsrechtlichen Bedenken begegnen kann (vgl. dazu etwa Senatsbeschluß vom 10. Juli 1985 – IV b ZB 836/80 – FamRZ 1985, 1119, 1122; Johannsen/Henrich/Hahne Eherecht 2. Aufl. § 1587 a BGB Rdn. 240), stellt sich nach den Umständen des vorliegenden Falles nicht.

3. Die weitere Beschwerde rügt ferner, daß das Oberlandesgericht sich nicht die Frage vorgelegt hat, ob die Anrechte des Ehemannes bei der ZKSH auf der Grundlage des Deckungskapitals (§ 1587 a Abs. 3 Nr. 1 BGB) umzurechnen seien; diese Methode sei nämlich gegenüber der angewandten Umrechnung mit Hilfe der Barwertverordnung (Nr. 2 der Vorschrift) nach dem Gesetz vorrangig. Im Verfahren vor den Tatsacheninstanzen ist zwar von keiner Seite geltend gemacht worden, daß für die Anrechte der ZKSH ein individuelles Deckungskapital gebildet werde (verneinend insoweit Soergel/Zimmermann BGB 12. Aufl. § 1587 a Rdn. 211) und deswegen § 1587 a Abs. 3 Nr. 1 BGB anzuwenden sei. Da die Sache aber aus anderem Grunde zurückverwiesen werden muß (siehe oben 1), wird die Ehefrau Gelegenheit haben, ihr diesbezügliches Vorbringen im weiteren Verfahren dem Tatrichter zu unterbreiten.

 

Unterschriften

Blumenröhr, Zysk, Hahne, Sprick, Weber-Monecke

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1679905

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