Verfahrensgang
LG Lüneburg (Urteil vom 01.03.2016) |
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Lüneburg vom 1. März 2016 mit den Feststellungen aufgehoben; jedoch bleiben die Feststellungen zu den einzelnen Bestellungen aufrechterhalten.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Tatbestand
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Betruges in 104 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt. Seine auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Erfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
I.
Rz. 2
Nach den Feststellungen des Landgerichts machte sich der Angeklagte „um das Jahr 2008” als Einzelkaufmann mit dem Onlinehandel von Badezimmermöbeln selbständig. Er richtete eine Verkaufsplattform unter der Internetadresse „www.s.….de” ein. Der Onlinehandel entwickelte sich defizitär. Spätestens im Verlauf des Jahres 2011 geriet der Angeklagte in derartige wirtschaftliche Schwierigkeiten, dass er vielen Kunden, die an ihn in der Annahme eines seriösen Geschäftskontakts den Kaufpreis vorab überwiesen, die vertragsgegenständliche Ware nicht zu liefern vermochte; zur Rückzahlung des Kaufpreises war er ebenso wenig in der Lage. Dies wusste er. Im Jahr 2012 richtete der Angeklagte daneben eine zweite Verkaufsplattform mit einem höherwertigen Möbelangebot unter der Internetadresse „www.m.….de” ein, insbesondere auch aufgrund negativer Bewertungen der ersten Plattform im Internet. Gegenüber den Kunden, die beim Angeklagten über die zweite Plattform bestellten, hatte er, wie ihm bewusst war, dieselben Schwierigkeiten, seine Verpflichtungen zu erfüllen, wie bereits zuvor. Die Büroarbeit in dem einzelkaufmännischen Unternehmen, insbesondere auch den Kontakt zu den Kunden, erledigten – neben dem Angeklagten selbst – seine Lebensgefährtin und verschiedene geringfügig beschäftigte Mitarbeiterinnen.
Rz. 3
Zwischen dem 4. Januar 2012 und dem 3. März 2015 kam es zu 104 einzelnen Käufen mit Kaufpreisanzahlung, bei denen die Möbellieferung und die Kaufpreisrückzahlung ausblieben. 31 Bestellungen wurden über die Plattform „www.s.….de” aufgegeben (Einzelfälle Nr. 5, 6, 10, 11, 13, 14, 16 – 19, 23, 26, 28, 29, 31, 46, 47, 49, 52, 58, 59, 62, 65, 70, 74, 76, 82, 86, 89, 97, 104), 16 Bestellungen über die Plattform „www.m.….de” (Einzelfälle Nr. 22, 24, 32, 37, 39, 53, 60, 72, 73, 77, 85, 91, 94, 99 – 101) sowie 51 Bestellungen – ohne nähere Konkretisierung – im „Internethandel” bzw. „Onlinehandel des Angeklagten” (Einzelfälle Nr. 3, 4, 7 – 9, 12, 15, 20, 21, 27, 30, 34 – 36, 38, 40, 41, 43 – 45, 48, 50, 51, 54 – 56, 61, 63, 64, 66 – 69, 71, 75, 78 – 81, 83, 84, 87, 88, 90, 92, 93, 95, 96, 98, 102, 103). Darüber hinaus bestellten vier Kunden telefonisch (Einzelfälle Nr. 25, 33, 42, 57). Schließlich kauften zwei Kunden Ware, die der Angeklagte über das Internetportal „Ebay” unter Nutzung des Ebay-Kontos einer Bekannten angeboten hatte (Einzelfälle Nr. 1, 2).
Rz. 4
Das Landgericht hat angenommen, die einzelnen Betrugstaten stünden zueinander im Konkurrenzverhältnis der Tatmehrheit (§ 53 StGB), ohne allerdings diese rechtliche Wertung zu erläutern.
Entscheidungsgründe
II.
Rz. 5
Die Feststellungen rechtfertigen nicht die Verurteilung des Angeklagten wegen 104 tatmehrheitlich begangener Taten.
Rz. 6
1. Sind mehrere Personen an einer Deliktserie beteiligt, so ist bei der Bewertung des Konkurrenzverhältnisses für jeden Täter oder Teilnehmer gesondert zu prüfen und zu entscheiden, ob die einzelnen Straftaten der Serie in seiner Person tateinheitlich oder tatmehrheitlich zusammentreffen. Maßgeblich ist hierbei der Umfang des Tatbeitrages bzw. der Tatbeiträge des Beteiligten. Erfüllt er hinsichtlich aller oder einzelner Taten der Serie sämtliche Tatbestandsmerkmale in eigener Person oder leistet er für alle oder einige Einzeltaten zumindest einen individuellen, nur je diese fördernden Tatbeitrag, so sind ihm diese Taten, soweit nicht natürliche Handlungseinheit vorliegt, als tatmehrheitlich begangen zuzurechnen. Erbringt er dagegen im Vorfeld oder während des Laufs der Deliktserie Tatbeiträge, durch die alle oder je mehrere Einzeldelikte der Tatgenossen gleichzeitig gefördert werden, so sind ihm die je gleichzeitig geförderten einzelnen Straftaten als tateinheitlich begangen zuzurechnen, da sie in seiner Person durch den jeweiligen einheitlichen Tatbeitrag zu einer Handlung im Sinne des § 52 Abs. 1 StGB verknüpft werden. Ob die anderen Beteiligten die einzelnen Delikte nach obigen Grundsätzen gegebenenfalls tatmehrheitlich begangen haben, ist demgegenüber ohne Bedeutung (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 17. Juni 2004 – 3 StR 344/03, BGHSt 49, 177, 182 f.; Beschlüsse vom 7. Dezember 2010 – 3 StR 434/10, juris Rn. 7; vom 18. Oktober 2011 – 4 StR 346/11, juris Rn. 3). Erschöpfen sich die Tatbeiträge im Aufbau und der Aufrechterhaltung des auf die Straftaten ausgerichteten „Geschäftsbetriebes”, sind diese Tathandlungen als – uneigentliches – Organisationsdelikt zu einer einheitlichen Tat im Sinne des § 52 Abs. 1 StGB zusammenzufassen (BGH, Beschlüsse vom 14. Oktober 2014 – 3 StR 365/14, NStZ 2015, 334 mwN; vom 23. Juli 2015 – 3 StR 518/14, NStZ-RR 2015, 341 f.). Für die konkurrenzrechtliche Beurteilung der Taten des Täters oder Teilnehmers kommt es dabei nicht darauf an, ob die anderen Beteiligten, die die tatbestandlichen Ausführungshandlungen vornehmen, (Mit-)Täter oder Gehilfen sind oder ob es sich um gutgläubige Werkzeuge handelt (vgl. Fischer, StGB, 63. Aufl., § 263 Rn. 203; S/S-Sternberg-Lieben/Bosch, StGB, 29. Aufl., § 52 Rn. 20 f.).
Rz. 7
2. An diesen Maßstäben gemessen, belegen die Feststellungen nicht, dass der Angeklagte in jedem der Einzelfälle einen individuellen tatfördernden Beitrag erbrachte. Den Urteilsgründen lässt sich nicht entnehmen, dass der Angeklagte an jedem Einzelfall beteiligt war, indem er etwa persönlich eine E-Mail-Bestätigung oder eine Rechnung übersandte. Zwar ist in den Urteilsgründen im Rahmen der Beweiswürdigung ausgeführt, dass sich in zahlreichen Einzelfällen der Erwerb von Badezimmermöbeln durch die Geschädigten im Internethandel des Angeklagten ebenso wie der jeweilige Kaufpreis „aus den durch den Angeklagten ausgestellten Rechnungen” ergebe; in zahlreichen anderen Fällen beruhe der Nachweis auf „Bestätigungen in Emails des Angeklagten” (UA S. 35). Dies kann aber nicht ohne weiteres dahin verstanden werden, dass er die Rechnungen und E-Mail-Bestätigungen individuell erstellte, zeichnete oder versandte. Solches liegt hier vielmehr fern. Die Beweisaufnahme hat ergeben, dass die Büroarbeit und der Kundenkontakt überwiegend in den Händen der Lebensgefährtin des Angeklagten und seiner weiteren Mitarbeiterinnen lagen (UA S. 31). Er selbst wandte den größten Teil seiner Arbeitszeit für Werbemaßnahmen im Internet auf (UA S. 30). Soweit der Angeklagte selbst einzelne geschädigte Kunden vertröstete und hinhielt, handelt es sich nicht mehr um tatbestandsrelevante Beiträge, weil die Handlungen erst nach Beendigung der Taten vorgenommen wurden.
Rz. 8
3. Allerdings erschöpfen sich die Tatbeiträge des Angeklagten nicht allein in der Organisation seines Geschäftsbetriebes. Auf der Grundlage der Urteilsfeststellungen hat der Angeklagte vielmehr mindestens drei materiell-rechtliche Betrugstaten begangen, wobei dem Senat eine abschließende Beurteilung indes nicht möglich ist:
Rz. 9
Hinsichtlich der 31 Bestellungen über die erste Plattform „www.s.….de” und der 16 festgestellten Bestellungen über die zweite Plattform „www.m.….de” liegen zwei tatmehrheitliche Fälle des Betruges vor. Der Angeklagte trug selbst maßgeblich durch das Einrichten und Betreiben der beiden Verkaufsplattformen im Internet zu der Täuschung der Kunden und der Irrtumserregung bei. Die Angebote auf diesen Plattformen schlossen konkludent die – wahrheitswidrige – Erklärung des Angeklagten ein, zur fristgemäßen Lieferung der Möbel imstande zu sein. Die Einrichtung einer zweiten Plattform mit einem grundsätzlich anderen (höherwertigen) Möbelangebot – zumal aus Anlass negativer Bewertungen der ersten Plattform im Internet – stellt eine eigenständige Tathandlung des Angeklagten dar, mit der er die Bestellungen der auf dieser Plattform angebotenen Möbel individuell förderte. Unabhängig davon, ob und wie sich das Möbelsortiment auf der Plattform noch änderte, stellt deren Einrichtung einen über das bloße Aufrechterhalten des Geschäftsbetriebes hinausgehenden tatbestandsrelevanten Beitrag dar.
Rz. 10
Soweit das Landgericht in 51 Einzelfällen verallgemeinernd festgestellt hat, dass die Bestellungen im „Internethandel” bzw. „Onlinehandel des Angeklagten” aufgegeben wurden, muss es sich um Bestellungen entweder über „www.s.….de” oder über „www.m.….de” gehandelt haben. Insoweit hat die Kammer eine Zuordnung nicht vorgenommen, ohne dass ersichtlich ist, dass ihr dies nicht möglich gewesen wäre.
Rz. 11
Gleiches dürfte für die vier telefonischen Bestellungen gelten. Auch diesen dürften auf der Grundlage der Angebote jeweils auf einer der beiden Plattformen vorgenommen worden sein. Besonders nahe liegt das in den Einzelfällen Nr. 42 („seriös wirkende Internetpräsenz” [UA S. 16]) und Nr. 57 („Nachfragen zu einigen Details” [UA S. 19]).
Rz. 12
Bezüglich der beiden Bestellungen der Kunden über Ebay liegt zumindest ein weiterer tatmehrheitlicher Fall des Betruges vor. In den beiden Einzelfällen, in denen der Angeklagte über das Ebay-Konto einer Bekannten Möbel an zwei Geschädigte verkaufte, waren die entsprechenden Angebote unabhängig von den beiden benannten Verkaufsplattformen. Das Einstellen der Angebote auf Ebay stellt einen weiteren individuellen Tatbeitrag des Angeklagten dar. Allerdings verhalten sich die Urteilsgründe nicht dazu, ob der Angeklagte die jeweiligen Angebote zu verschiedenen Zeitpunkten oder gleichzeitig einstellte.
III.
Rz. 13
Infolgedessen ist das Urteil aufzuheben. Die Feststellungen zu den einzelnen Bestellungen können jedoch bestehen bleiben, weil sie rechtsfehlerfrei getroffen sind (s. § 353 Abs. 2 StPO). Ergänzende Feststellungen sind möglich, sofern sie den bislang getroffenen nicht widersprechen, und, was die unterbliebene Zuordnung von Einzelbestellungen zu den Verkaufsplattformen betrifft, auch geboten.
Rz. 14
Von der Aufhebung umfasst sind indes die Feststellungen zum Rahmengeschehen, insbesondere zu Art und Anzahl der individuellen Tatbeiträge des Angeklagten zu den einzelnen Betrugstaten sowie zur Schadenswiedergutmachung.
Unterschriften
Becker, Schäfer, Spaniol, RiBGH Dr. Tiemann befindet sich im Urlaub und ist daher gehindert zu unterschreiben. Becker, Berg
Fundstellen
Haufe-Index 9942991 |
wistra 2017, 231 |