Entscheidungsstichwort (Thema)
Cum-Ex- Geschäfte
Leitsatz (redaktionell)
1. Dass das im Auslieferungsersuchen beschriebene Verhalten des Angeklagten nach den Wertungen der Auslieferungsbewilligung nicht dem Tatbestand des dem schweizerischen Fiskalstrafrecht zuzuordnenden Abgabebetrugs unterfällt, weil der Angeklagte nicht „von ihm selbst geschuldete Steuern durch unrichtige Angaben (Steuerhinterziehung) oder arglistige Machenschaften (Steuerbetrug) im Veranlagungsverfahren verkürzt” habe, sondern dem gemeinrechtlichen Betrug i. S. des Art. 146 des schweizerischen Strafgesetzbuchs, ist unerheblich. Für die Wahrung der Identität der Tat ist weder erforderlich, dass der Straftatbestand im Recht des ersuchten Staates seiner Bezeichnung nach dem des ersuchenden Staates entspricht, noch kommt es darauf an, dass er nach seinen Tatbestandsmerkmalen vergleichbar ist. Die Rechtmäßigkeit der Auslieferung durch ein anderes Land ist von inländischen Gerichten nicht zu überprüfen.
2. Der „Ideengeber” und „Initiator” von Cum-Ex-Geschäften des Bankhauses W. ist, obwohl er die Körperschaftsteuererklärungen und Erstattungsanträge, die falsche Angaben zu – tatsächlich nicht bestehenden – Steuererstattungsansprüchen enthielten, nicht selbst unterzeichnete, der Steuerhinterziehung schuldig.
Normenkette
EuAlÜbk Art. 14 Abs. 1 Buchst. a, b; AO § 370
Verfahrensgang
LG Bonn (Entscheidung vom 13.12.2022; Aktenzeichen 62 KLs 2/20) |
Nachgehend
Tenor
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Bonn vom 13. Dezember 2022 wird als unbegründet verworfen. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
Ergänzend ist auszuführen:
1. Ein Verfahrenshindernis steht der Verurteilung nicht entgegen. Das Landgericht hat den Angeklagten wegen der Taten verurteilt, die der Auslieferung zugrunde lagen.
a) Nach Art. 14 Abs. 1 EuAlÜbk darf der Ausgelieferte wegen einer anderen, vor der Übergabe begangenen Handlung als derjenigen, die der Auslieferung zugrunde liegt, nur abgeurteilt werden, wenn der Staat, der ihn ausgeliefert hat, zustimmt (Art. 14 Abs. 1 Buchst. a EuAlÜbk) oder wenn nach Verstreichen der Schonfrist des Art. 14 Abs. 1 Buchst. b EuAlÜbk die dort genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Eine „andere Tat“ ist nicht anzunehmen, wenn sich die Angaben in der Auslieferungsbewilligung und diejenigen im späteren Urteil hinreichend entsprechen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 2. November 2010 - 1 StR 544/09 Rn. 14 und vom 4. Dezember 2013 - 1 StR 106/13, BGHSt 59, 105 Rn. 14). Der dem Spezialitätsgrundsatz zugrunde liegende Tatbegriff umfasst den gesamten dem ausliefernden Staat mitgeteilten Lebenssachverhalt, innerhalb dessen der Verfolgte einen oder mehrere Straftatbestände erfüllt haben soll (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschluss vom 9. Februar 2012 - 1 StR 152/11 Rn. 15). Zwar sind die Gerichte des ersuchenden Staates im Rahmen dieses historischen Vorgangs nicht gehindert, die Tat abweichend rechtlich oder tatsächlich zu würdigen; dies setzt aber voraus, dass insofern ebenfalls Auslieferungsfähigkeit besteht. Eine Änderung in der Rechtsauffassung berührt die Hoheitsinteressen des um Auslieferung ersuchten Staates regelmäßig nicht (vgl. BGH, Beschlüsse vom 9. Februar 2012 - 1 StR 148/11, BGHSt 57, 138 Rn. 14 und vom 2. November 2010 - 1 StR 544/09 Rn. 13).
b) Nach diesen Grundsätzen besteht - anders als die Revision meint - im Hinblick auf den Grundsatz der Spezialität kein Verfahrenshindernis. Der der Verurteilung zugrunde liegende Lebenssachverhalt entspricht demjenigen, der dem ersuchten Staat in dem ausschließlich auf den Vorwurf der Steuerhinterziehung gestützten Auslieferungsersuchen mitgeteilt und auf dessen Grundlage die Auslieferung des Angeklagten bewilligt wurde. Die Erwähnung der arglistigen Täuschung von Anlegern in dem mit dem Auslieferungsersuchen vom 23. Februar 2021 übersandten Haftbefehl des Landgerichts B. vom 25. November 2020 lässt die Identität der Tat unberührt. Denn die durch spätere Beschwerdeentscheidungen bestätigte Auslieferungsbewilligung der Schweiz wurde allein auf den Vorwurf gestützt, dass der Angeklagte aus eigenem Antrieb gemäß vorgefasster Bereicherungsabsicht ein raffiniertes System aufgebaut habe, um mit der Einreichung von fingierten Kapitalertragsteuerbescheinigungen ungerechtfertigte Rückerstattungen durch den deutschen Staat in Millionenhöhe zu erschleichen und somit das fiskalische Rückerstattungssystem der deutschen Kapitalertragsteuer planmäßig auszunutzen. Die arglistige Täuschung der Fondsanleger war - wie der Generalbundesanwalt zutreffend ausgeführt hat - für die Auslieferungsbewilligung ohne Belang.
c) Dass das im Auslieferungsersuchen beschriebene Verhalten des Angeklagten nach den Wertungen der Auslieferungsbewilligung nicht dem Tatbestand des dem schweizerischen Fiskalstrafrecht zuzuordnenden Abgabebetrugs unterfällt, weil der Angeklagte nicht „von ihm selbst geschuldete Steuern durch unrichtige Angaben (Steuerhinterziehung) oder arglistige Machenschaften (Steuerbetrug) im Veranlagungsverfahren verkürzt“ habe (vgl. Auslieferungsentscheid vom 20. August 2021), sondern dem gemeinrechtlichen Betrug im Sinne des Art. 146 des schweizerischen Strafgesetzbuchs, ist unerheblich. Für die Wahrung der Identität der Tat ist weder erforderlich, dass der Straftatbestand im Recht des ersuchten Staates seiner Bezeichnung nach dem des ersuchenden Staates entspricht, noch kommt es darauf an, dass er nach seinen Tatbestandsmerkmalen vergleichbar ist (vgl. auch BGH, Beschluss vom 4. Dezember 2013 - 1 StR 106/13, BGHSt 59, 105 Rn. 16). Die Rechtmäßigkeit der Auslieferung durch ein anderes Land ist - verfassungsrechtlich unbedenklich (vgl. BVerfG, Beschluss vom 20. Oktober 1977 - 2 BvR 631/77, BVerfGE 46, 214, 219) - von inländischen Gerichten nicht zu überprüfen (vgl. BGH, Urteil vom 16. Januar 1963 - 2 StR 398/62, BGHSt 18, 218, 220). Fragen der Auslegung und Anwendung des schweizerischen Rechts muss der Senat daher genauso wenig nachgehen wie der Frage, ob die Schweiz den Angeklagten auch ausgeliefert hätte, wenn sie das ihm vorgeworfene Verhalten allein als fiskalische strafbare Handlung (vgl. Art. 5 EuAlÜbk) gewertet hätte.
d) Entgegen der Revision ist auch der Fall einer abweichenden rechtlichen Würdigung im Sinne des Art. 14 Abs. 3 EuAlÜbk nicht gegeben. Die rechtliche Würdigung als Steuerhinterziehung (§ 370 AO) ist gegenüber dem Auslieferungsersuchen unverändert. Einwendungen, die allein das gegen den Angeklagten wegen eines anderen Sachverhalts vor dem Landgericht W. geführte Steuerstrafverfahren und das dortige Auslieferungsverfahren betreffen, bedürfen hier keiner Erörterung.
2. Die Aufklärungsrüge ist - wie der Generalbundesanwalt im Ergebnis in seiner Antragsschrift zutreffend ausgeführt hat - bereits unzulässig. Das vorgelegte Schreiben vom 20. Juli 2007 an das Finanzamt W. hat keinen Bezug zu den verfahrensgegenständlichen Taten. Im Übrigen sind keine Tatsachenbehauptungen erkennbar.
3. Auch die sachlich-rechtlichen Einwendungen der Revision gehen fehl.
Die Revision meint, die nach den Feststellungen des Landgerichts unrichtigen Angaben zur einbehaltenen Kapitalertragsteuer seien nicht steuerlich erheblich im Sinne von § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO. Sie geht davon aus, die Finanzbehörden hätten schon aufgrund der Bezugnahme auf § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 4 EStG erkennen müssen, dass keine Kapitalertragsteuer hätte angerechnet werden dürfen. Diese Auffassung trifft nicht zu. Der Senat hat in seiner Grundsatzentscheidung vom 28. Juli 2021 - 1 StR 519/20, BGHSt 66, 182 nicht ausgeführt, dass bei Dividendenkompensationszahlungen eine Kapitalertragsteuererstattung schlechthin ausgeschlossen ist. Vielmehr waren derartige Zahlungen gemäß § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG (in der für die VZ 2007-2011 geltenden Fassung) - ebenso wie Dividenden - der Erhebung von Körperschaftsteuer durch Steuerabzug in Form von Kapitalertragsteuern nebst Solidaritätszuschlag unterworfen, welche grundsätzlich zur Anrechnung gebracht werden konnten. Indes fehlte es in den hier wie in den der Grundsatzentscheidung zugrunde liegenden Fällen an der im Gesetz (§ 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG i.V.m. § 31 KStG [in der für die VZ 2007-2011 geltenden Fassung] bzw. § 11 Abs. 2 Satz 1 InvStG [in der für die VZ 2009, 2010 geltenden Fassung]) vorausgesetzten Erhebung von Kapitalertragsteuer nebst Solidaritätszuschlag auf die Dividendenkompensationszahlungen, so dass die tatsächlichen Voraussetzungen für die Steueranrechnung nicht erfüllt waren (vgl. BGH, Urteil vom 28. Juli 2021 - 1 StR 519/20, BGHSt 66, 182 Rn. 62 ff.).
Eine Divergenz zu der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs besteht nicht. In dem Urteil vom 2. Februar 2022 - I R 22/20, BFHE 276, 20 hat sich der Bundesfinanzhof vielmehr ausdrücklich auf die Rechtsprechung des Senats bezogen und die darin aufgestellten Grundsätze bestätigt (Rn. 26, 62 ff.). Das Revisionsvorbringen gibt keinen Anlass zu einer anderen Beurteilung. Das von der Revision angeführte Urteil vom 15. November 2022 - VIII R 21/19, BFHE 278, 501 erging zu einem anders gelagerten Sachverhalt und zu § 20 Abs. 2 EStG, so dass eine Divergenz von vornherein ausscheidet.
Jäger |
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Bellay |
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Bär |
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Leplow |
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Munk |
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Fundstellen
DStR 2023, 10 |
wistra 2023, 3 |
wistra 2024, 32 |
NStZ-RR 2023, 387 |
Polizei 2024, 270 |
StV-S 2024, 67 |