Verfahrensgang
LG Memmingen (Urteil vom 11.04.2013) |
Tenor
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Memmingen vom 11. April 2013 wird als unbegründet verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die den Nebenklägern im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Gründe
Rz. 1
Der zur Tatzeit heranwachsende Angeklagte wurde wegen Mordes in Tateinheit mit versuchter Vergewaltigung zu neun Jahren und sechs Monaten Jugendstrafe verurteilt.
Rz. 2
Seine Revision bleibt erfolglos (§ 349 Abs. 2 StPO).
Rz. 3
1. Der Schuldspruch beruht auf folgenden Feststellungen:
Rz. 4
Der Angeklagte hatte in einer Kurklinik am 26. März 2012 mit der damals 39 Jahre alten H. den Geschlechtsverkehr ausüben wollen, ohne dass diese ihm zuvor hierauf irgendwelche Hoffnungen gemacht hätte. Er verschaffte sich unter dem Vorwand, dort die Toilette aufsuchen zu wollen, Zutritt zu ihrem Zimmer. Als sie keinen Geschlechtsverkehr wollte, versuchte er zunächst, gewaltsam zum Ziel zu kommen. Als sie schrie und drohte, von seinem Verhalten zu erzählen, tötete er sie, um ihre Schreie und das Bekanntwerden seiner Tat zu verhindern. Zunächst würgte er sie mehrere Minuten lang und warf sich dann mit voller Wucht mehrfach auf ihren Oberkörper, was u.a. zu Rippenreihenbrüchen führte. Weil ihre Augen noch offen waren, spritzte er ihr dann ein Desinfektionsmittel in die Augen. „Um sich des Todeseintritts endgültig zu versichern”, stach er ihr zunächst ein Fieberthermometer so heftig in den Hals, dass es zerbrach; anschließend versetzte er ihr noch mit einer Nagelschere mehrere heftige Stiche in den Hals und in die Brust, die – ebenso wie die sonstige Gewaltanwendung gegen den Oberkörper – zu schwersten inneren Verletzungen führten. Er verließ dann zunächst den Tatort, kehrte aber nach wenigen Minuten zurück und stieß der Verstorbenen mehrfach heftig den Stiel einer Toilettenbürste in die Scheide.
Rz. 5
2. Die auf Grund der nicht näher ausgeführten Sachrüge gebotene Überprüfung des Schuldspruchs hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Die Annahme von Tateinheit zwischen dem Vergewaltigungsversuch und dem zu dessen Verdeckung begangenen Mord (vgl. hierzu Fischer, StGB, 60. Aufl., § 211 Rn. 106 mwN) beschwert den Angeklagten nicht.
Rz. 6
3. Der Strafausspruch ist nicht rechtsfehlerfrei. Die Jugendkammer hat (unter anderem) auch zum Nachteil des Angeklagten die Sachverhalte berücksichtigt, die drei – anderweitig beim Amtsgericht bzw. der Staatsanwaltschaft anhängig gewesenen, im Hinblick auf das vorliegende Verfahren aber gemäß § 154 StPO (vorläufig) eingestellten – Straf- bzw. Ermittlungsverfahren gegen den Angeklagten zu Grunde liegen. Danach soll er zweimal einen anderen mit der Faust geschlagen haben. Ein Opfer soll ein „Kumpel” des Angeklagten gewesen sein, das andere Opfer soll der Angeklagte zuvor auch noch in der S-Bahn als „Scheiß Ausländer” beleidigt haben. Einmal soll er mit Steinwürfen die Glasscheibe eines Wartehäuschens an einem Bahnhof zerstört haben.
Rz. 7
a) Die Revision macht geltend, dass der Angeklagte auf die Möglichkeit der strafschärfenden Bewertung dieser Vorgänge nicht hingewiesen wurde. Der Senat teilt allerdings nicht ihre Auffassung, dass ein solcher Hinweis als wesentliche Verfahrensförmlichkeit aus dem Protokoll der Hauptverhandlung ersichtlich sein müsste (BGH, Beschluss vom 29. Juni 2010 – 1 StR 157/10 mwN). Ihr Vortrag, dass ein entsprechender „Hinweis in der Hauptverhandlung unterblieb … und … im Hauptverhandlungsprotokoll auch nicht enthalten (ist)” ergibt jedoch mit genügender Klarheit die Behauptung, dass ein solcher Hinweis tatsächlich nicht erteilt wurde. Hiervon geht auch der Senat aus: Nachdem die Staatsanwaltschaft keine Revisionsgegenerklärung abgegeben hat und auch die Jugendkammer sich zu keiner dienstlichen Äußerung veranlasst gesehen hat, sieht er keinen Grund, das Vorbringen der Revision anzuzweifeln und von der ihm an sich offen stehenden Möglichkeit Gebrauch zu machen, den Ablauf der Hauptverhandlung in diesem Punkt freibeweislich zu klären (vgl. schon BGH, Beschluss vom 29. Februar 2000 – 1 StR 33/00).
Rz. 8
b) Ob der unterbliebene Hinweis erforderlich gewesen wäre, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles, ohne dass sich starre Regeln aufstellen ließen (BGH, Beschluss vom 23. September 2003 – 1 StR 292/03 mwN). Aus den Urteilsgründen, die die Beweislage zu jedem Detail sehr genau darlegen, sind Äußerungen des Angeklagten zu den in Rede stehenden Vorgängen nicht ersichtlich. Es erscheint nicht ausgeschlossen, dass er bei einem entsprechenden Hinweis hätte Gesichtspunkte darlegen können, die jene Vorgänge in einem milderen Licht erscheinen lassen.
Rz. 9
4. Letztlich hat der Strafausspruch aber unabhängig von alledem Bestand, da der Senat die ausgeworfene Strafe für angemessen i.S.d. § 354 Abs. 1a StPO hält.
Rz. 10
a) Gründe des Einzelfalles, die gegen die Anwendbarkeit dieser Bestimmung sprechen könnten, weil es um die Bemessung einer Jugendstrafe geht (vgl. BGH, Beschluss vom 27. Oktober 2009 – 3 StR 404/09), vermag der Senat hier nicht zu erkennen (vgl. auch BGH, Beschluss vom 22. März 2006 – 1 StR 75/06 zu einer ebenso wie hier wegen Mordes in Tateinheit mit einem Sexualdelikt verhängten Jugendstrafe).
Rz. 11
b) Auch sonst bestehen hier keine Bedenken gegen die Anwendbarkeit dieser Bestimmung. Insbesondere ist nicht erkennbar, dass in einer neuen Verhandlung vor dem Tatgericht (die Rechtsfolgenentscheidung betreffende) weitere oder präzisere Feststellungen zu erwarten sind, oder dass bisher nicht berücksichtigte Umstände naheliegen, die ein neuer Tatrichter feststellen könnte und bei der Rechtsfolgenentscheidung berücksichtigen müsste (vgl. zusammenfassend Gericke in KK, StPO, 7. Aufl., § 354 Rn. 26g mwN). Die hier vorliegende Fallgestaltung ähnelt strukturell vielmehr der einer Fallgestaltung, dass nach BZRG nicht mehr berücksichtigungsfähige Vorverurteilungen strafschärfend berücksichtigt worden sind, in der § 354 Abs. 1a StPO angewendet werden kann (vgl. BGH, Beschluss vom 20. Dezember 2006 – 1 StR 595/06).
Rz. 12
c) In der Sache hält der Senat die von der Jugendkammer verhängte Strafe auch ohne Berücksichtigung der gemäß § 154 StPO behandelten Verfahren für angemessen. Dabei berücksichtigt er die zu seiner Person angefallenen Erkenntnisse (z.B. erhebliche Vernachlässigung im frühkindlichen Alter, die zu psychischen Beeinträchtigungen und mangels rechtzeitiger Behandlung zu einer dauerhaften Hörbehinderung geführt hat), wobei jedoch nach eingehender sachverständiger Beratung hinreichende Anhaltspunkte für eine Beeinträchtigung seiner Schuldfähigkeit nicht festgestellt werden konnten. Auch sein Geständnis der ihn offenbar deutlich belastenden Tat war zu berücksichtigen. Andererseits war auch zu sehen, dass er (neben den außer Acht bleibenden Vorgängen) auch sonst schon nachteilig in Erscheinung getreten ist. So hat er etwa einmal einen 13 Jahre alten Jungen zunächst aus nichtigem Anlass zu Boden geworfen und ihm dann mehrfach einen Gegenstand aus Eisen auf den Kopf geschlagen und ihn so erheblich verletzt. Unter Abwägung all dieser Gesichtspunkte sowie des gesamten Tatbildes hat der Senat auch unter Berücksichtigung des Vorbringens der Verteidigung im Rahmen der Anhörung zu einer möglichen Anwendung von § 354 Abs. 1a StPO entschieden, dass es bei der von der Jugendkammer verhängten Strafe verbleibt.
Unterschriften
Wahl, Rothfuß, Cirener, RiBGH Prof. Dr. Mosbacher ist urlaubsabwesend und daher an der Unterschrift gehindert. Radtke, Wahl
Fundstellen
Haufe-Index 6397479 |
NStZ 2014, 6 |
NStZ-RR 2014, 92 |
StV 2014, 478 |