Entscheidungsstichwort (Thema)
gefährliche Körperverletzung
Tenor
1. Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Zweibrücken vom 11. September 2001 im Maßregelausspruch mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine Strafkammer des Landgerichts Landau zurückverwiesen.
3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Gründe
Das Landgericht hat die Angeklagte des „Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und versuchter gefährlicher Körperverletzung, der Beleidigung in Tateinheit mit Bedrohung in 4 Fällen [gemeint: in 4 tateinheitlich zusammentreffenden Fällen] und des Diebstahls” für schuldig befunden und sie unter Einbeziehung „des Urteils des Amtsgerichts Zweibrücken [richtig: der Strafe aus dem Strafbefehl des Amtsgerichts Zweibrücken] vom 23.01.2001” zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt und ihre Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Hiergegen wendet sich die Angeklagte mit ihrer Revision, mit der sie die Verletzung sachlichen Rechts rügt. Das Urteil hat zum Maßregelausspruch Erfolg; im übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
1. Der Verurteilung liegen drei Straftaten zugrunde, die die Angeklagte im Zeitraum von März bis Juli 1999 begangen hat. Nach den insoweit getroffenen Feststellungen, gegen die die Revision auch nichts einwendet, kam es in zwei Fällen zum Einsatz der Polizei gegen die Angeklagte wegen ruhestörenden Lärms. Im ersten Fall widersetzte sich die Angeklagte der von den Beamten beabsichtigten Sicherstellung ihres Radiogerätes, das sie „trotz Mahnung nicht abgestellt hatte”, wobei sie gegen die Beamten tätlich wurde. In dem weiteren Fall beleidigte sie die zum Einsatz erschienenen vier Beamten und drohte ihnen an, „sie umzubringen und abzustechen”. Die dritte Tat betrifft einen von der Angeklagten verübten Diebstahl von Bier und Zigaretten im Gesamtwert von etwas mehr als 25,– DM aus einem Lebensmittelgeschäft.
2. Die Feststellungen tragen den Schuldspruch. Auch der Strafausspruch und die Versagung einer Strafaussetzung zur Bewährung halten schon mit Blick auf die erhebliche, auch einschlägige strafrechtliche Vorbelastung der Angeklagten der rechtlichen Nachprüfung stand.
Dagegen kann die Anordnung der Unterbringung der Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) nicht bestehen bleiben, weil die Voraussetzungen nicht ausreichend dargetan sind.
a) Das Landgericht hat sich zur Schuldfähigkeit der Angeklagten den Ausführungen des gehörten psychiatrischen Sachverständigen angeschlossen, denen zufolge von „verminderter Schuldfähigkeit i.S.v. § 21 StGB auszugehen (sei), da bei ihr eine schwere seelische Abartigkeit vorliegt, die ihre Steuerungsfähigkeit zur Tatzeit erheblich beeinträchtigt hat” (UA 11). Die Angeklagte habe einen IQ von 78, verfüge über „keine tragfähigen sozialen Kontakte”, sie lebe bei zunehmender Verwahrlosung „ohne konkrete Zielvorstellung” und verfüge „über keine Lebensplanung”, sie wirke „hoch impulsiv und wechselt spontan ihre Ansichten” und sei „häufig depressiv, aufgewühlt und emotional labil”; zu den „Begabungsmängeln und Defiziten im Persönlichkeitsbereich” komme schließlich eine „Polytoxikomanie einschließlich des Morphintyps” (UA 12).
b) Die zur Schuldfähigkeit der Angeklagten getroffenen Feststellungen sind nicht geeignet, die Maßregelanordnung zu rechtfertigen. Diese setzt die positive Feststellung eines länger andauernden, nicht nur vorübergehenden Defekts voraus, der zumindest eine erhebliche Einschränkung der Schuldfähigkeit im Sinne des § 21 StGB begründet (st. Rspr.; BGHSt 34, 22, 26 f.). Die Ausführungen der Strafkammer zur Persönlichkeitsstörung der Angeklagten und zu der das Gutachten des Sachverständigen tragenden fachlichen Begründung sind aber so allgemein gehalten, daß sich nicht zuverlässig beurteilen läßt, ob die festgestellte Störung den Schweregrad erheblich verminderter Steuerungsfähigkeit erreicht (vgl. zum rechtlichen Maßstab der „Schwere” der angenommenen Persönlichkeitsstörung BGHSt 34, 22, 28; 37, 397, 401; BGHR StGB § 63 Zustand 14; Winckler/Foerster NStZ 1997, 334 f. = Bspr. von BGH NStZ 1996, 380). Es bleibt auch offen, ob die im Urteil als „schwere seelische Abartigkeit” gewertete „Dauerstörung im Persönlichkeitsgefüge” (UA 13) überhaupt einer in psychiatrischen Fachkreisen allgemein anerkannten Kategorie psychischer Störungen entspricht. Der Senat kann diese Frage nicht von sich aus – etwa unter Zuhilfenahme der einschlägigen Klassifikationen psychischer Störungen (ICD-10 Kapitel V (F) oder DSM-IV) – beantworten, abgesehen davon, daß auch die Diagnose einer Störung nach Maßgabe dieser Klassifikationssyteme noch keine hinreichenden Rückschlüsse für die rechtliche Bewertung unter dem Gesichtspunkt der Schuldfähigkeit erlaubt (st. Rspr.; BGHSt 37 aaO; BGHR StGB § 21 seelische Abartigkeit 24). Soweit das Landgericht – auch hierin dem Sachverständigen folgend – auf die „Begabungsmängel”, die „Beeinträchtigung im Leistungsbereich”, die „zusätzlich destabilisierende Wirkung (von) Alkohol- und Drogenmißbrauch”, die „Verwahrlosungstendenzen”, die „dissoziale Entwicklung” sowie die „Suggestiveinflüsse und Evidenzerlebnisse” (UA 14) verweist, sind damit persönliche Merkmale beschrieben, die sich innerhalb der Bandbreite von Eigenschaften auch voll schuldfähiger Menschen bewegen und übliche Ursachen für ein strafbares Tun sein können. Jedenfalls liegen die bei der Angeklagten festgestellten Charakter- und Verhaltensauffälligkeiten bei Straftätern häufig vor, ohne daß sie für sich genommen eine generalisierende Aussage zur Frage der Schuldfähigkeit zulassen (vgl. BGHR StGB § 63 Zustand 26, Psychopathie).
Diese Mängel bei der Bewertung des Zustands der Angeklagten beschweren die Angeklagte nicht, soweit das Landgericht bei der Strafzumessung „§ 21 StGB zugunsten der Angeklagten bedacht” (UA 12) hat. Auf die Voraussetzungen des § 63 StGB findet dagegen der Zweifelsgrundsatz keine Anwendung (vgl. BGHSt 42, 385, 388).
c) Die unzureichenden Feststellungen zum Zustand der Angeklagten entziehen auch der Gefährlichkeitsprognose die Grundlage (vgl. BGH NStZ 1997, 335 f.). Zudem hält die Gefährlichkeitsprognose der Strafkammer auch für sich genommen rechtlicher Prüfung nicht stand. Der Senat hat bereits Bedenken, ob die hier abgeurteilten Taten in ihrer konkreten Form und Häufung als „erheblich” i.S.d. § 63 StGB zu werten sind. Soweit das Landgericht ersichtlich in erster Linie auf den ersten Fall, in dem die Angeklagte gegen die Polizeibeamten tätlich geworden ist, abstellt, wäre jedenfalls zu bedenken gewesen, daß die Tat Züge einer Gelegenheits- oder Konfliktstat trägt, deren symptomatische Bedeutung die angenommene Gefährlichkeit in Frage stellen kann (vgl. BGHSt 27, 246, 250; BGH NStZ 1991, 528; BGH, Beschl. vom 19. Februar 1998 – 5 StR 17/98). Soweit das Landgericht zum Beleg für die Gefährlichkeit der Angeklagten des weiteren „Fremdaggressionen gegen ihre Mutter und eine Schwester” im Jahre 1998 heranzieht und ferner darauf verweist, die Angeklagte sei „während ihres Aufenthaltes in der Landesnervenklinik Klingenmünster … häufiger in tätliche Auseinandersetzungen mit dem dortigen Personal und Mitpatienten” geraten (UA 14), entbehren die Feststellungen einer ausreichenden Konkretisierung, um die Gefährlichkeitsprognose zu stützen. Ohnehin können Taten, die im Rahmen einer Unterbringung gegen Angehörige des Pflegepersonals und gegen Mitpatienten begangen werden, nur eingeschränkt Anlaß für die Anordnung einer strafrechtlichen Unterbringung nach § 63 StGB sein (st. Rspr.; BGH NStZ 1998, 405; BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 26; BGH, Beschl. vom 25. August 1998 – 4 StR 385/98). Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Taten nicht ausschließbar ihre Ursache (auch) in der durch die Unterbringung für den Betreffenden bestehenden Situation haben. Mangels näherer Darlegung zu den tatbegleitenden Umständen gilt hinsichtlich des von der Strafkammer weiter herangezogenen Vorfalls in der Justizvollzugsanstalt vom 28. Oktober 2000 nichts anderes.
3. Die Frage der Unterbringung der Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus bedarf daher umfassender neuer Prüfung. Der Senat macht von der Möglichkeit des § 354 Abs. 2 Satz 1 2. Halbs. StPO Gebrauch und verweist die Sache an das Landgericht Landau zurück. Für das weitere Verfahren könnte es sich empfehlen, einen weiteren Sachverständigen hinzuzuziehen.
Unterschriften
Tepperwien, Maatz, Solin-Stojanović, Ernemann, Sost-Scheible
Fundstellen