Verfahrensgang
LG Siegen (Entscheidung vom 08.02.2022; Aktenzeichen 21 KLs 59/21) |
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Siegen vom 8. Februar 2022 im Einziehungs-ausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit die erweiterte Einziehung des bei dem Angeklagten sichergestellten Bargelds in Höhe von 1.950 € sowie in Höhe von 168.495 € angeordnet worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Gründe
Rz. 1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen „Beihilfe zur unerlaubten Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in fünf Fällen, davon in zwei Fällen jeweils in Tateinheit mit unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, in Tateinheit mit Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und in Tateinheit mit unerlaubtem Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, in weiteren zwei Fällen jeweils in Tateinheit mit unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und in einem weiteren Fall in Tateinheit mit Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und in Tateinheit mit unerlaubtem Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge“ zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und vier Monaten verurteilt. Zudem hat das Landgericht die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt angeordnet sowie Einziehungsentscheidungen getroffen.
Rz. 2
Die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
Rz. 3
1. Der Einziehungsausspruch ist rechtsfehlerhaft, soweit die Strafkammer gegen den Angeklagten über die Einziehung von Taterträgen und des Wertes von Taterträgen hinaus (§§ 73, 73c StGB) die erweiterte Einziehung sichergestellten Bargelds gemäß § 73a Abs. 1 StGB angeordnet hat.
Rz. 4
a) Nach den Feststellungen stellten die Ermittlungsbehörden im Rahmen einer Wohnungsdurchsuchung bei dem Angeklagten am 1. Juni 2021 Bargeld im Wert von 228.495 € sicher; hiervon waren 60.000 € Taterträge aus den abgeurteilten Betäubungsmitteldelikten. In deren Rahmen erwarb der Angeklagte zuletzt am 22. April 2020 33 Kilogramm Marihuana, die er gewinnbringend weiterverkaufte (Fall 7 der Anklage). Das übrige Bargeld sowie in seiner Jacke sichergestellte 1.950 € erlangte er infolge nicht konkretisierter „Betäubungsmittelverkäufe, die nicht Gegenstand dieses Verfahrens sind“. Im Rahmen der Beweiswürdigung hat das Landgericht zudem ausgeführt, der Angeklagte habe die 1.950 € aus weiteren Betäubungsmittelverkäufen erlöst, die zwischen dem 23. April 2020 und dem 1. Juni 2021 erfolgt seien.
Rz. 5
b) Dies trägt die angeordnete erweiterte Einziehung sichergestellten Bargelds in Höhe von 1.950 € sowie von 168.495 € nicht.
Rz. 6
aa) Die erweiterte Einziehung von aus nicht verfahrensgegenständlichen Taten erlangten Gegenständen (§ 73a Abs. 1 StGB) setzt voraus, dass diese Vermögenswerte bei der Begehung der Anknüpfungstat im Vermögen des Angeklagten gegenständlich vorhanden waren (vgl. BGH, Urteil vom 22. September 2022 - 3 StR 238/21 Rn. 13; Beschluss vom 25. Mai 2022 - 4 StR 114/22 Rn. 18; Beschluss vom 8. März 2022 - 3 StR 238/21 Rn. 14; Urteil vom 16. Dezember 2021 - 1 StR 312/21 Rn. 12; Beschluss vom 21. September 2021 - 3 StR 158/21 Rn. 13; Beschluss vom 19. August 2021 - 5 StR 238/21 Rn. 4; Beschluss vom 4. März 2021 - 5 StR 447/20 Rn. 10; jew. zur erweiterten Wertersatzeinziehung, die gemäß § 73c Satz 1 StGB an die Stelle der erweiterten gegenständlichen Einziehung treten kann). Ein solcher zeitlicher Zusammenhang zwischen der urteilsgegenständlichen Tat und den abzuschöpfenden Erträgen aus anderen Delikten war bereits im Rahmen des erweiterten Verfalls nach § 73d StGB aF erforderlich (vgl. BT-Drucks. 11/6623, S. 8; BGH, Beschluss vom 23. Mai 2012 - 4 StR 76/12 Rn. 6). Daran hat sich durch das Gesetz zur Reform der Vermögensabschöpfung nichts geändert (vgl. BGH, Beschluss vom 21. September 2021 - 3 StR 158/21 Rn. 13 mwN). Abgeschöpft werden kann im Wege der erweiterten Einziehung von Taterträgen nur dasjenige illegal Erlangte, das der Angeklagte zur Tatzeit der abgeurteilten Delikte in seiner Verfügungsgewalt hatte. Das später Erlangte unterfällt § 73a Abs. 1 StGB hingegen nicht (vgl. BGH, Beschluss vom 8. März 2022 - 3 StR 238/21 Rn. 14; Beschluss vom 4. März 2021 - 5 StR 447/20 Rn. 10).
Rz. 7
bb) Das Landgericht hat diese Maßgaben aus dem Blick verloren und nicht geprüft, ob die nach § 73a Abs. 1 StGB eingezogenen Geldmittel zumindest während der zuletzt begangenen abgeurteilten Tat schon im Vermögen des Angeklagten vorhanden waren (vgl. auch BGH, Beschluss vom 19. August 2021 - 5 StR 238/21 Rn. 4; s. zudem zur Einziehung von Bargeld BGH, Urteil vom 14. Juli 1993 - 3 StR 251/93 Rn. 7). Die Ausführungen der Strafkammer im Rahmen der Beweiswürdigung weisen vielmehr dahin, dass der Angeklagte erst zu einem späteren Zeitpunkt die Erträge aus anderen rechtswidrigen Taten vereinnahmte. Selbst wenn das letzte abgeurteilte Delikt (Fall 7 der Anklage) mit Blick auf einen noch durchzuführenden Absatz der Betäubungsmittel nicht schon am Tag ihres Erwerbs im April 2020 beendet gewesen sein sollte (vgl. allgemein Weber in Weber/Kornprobst/Maier, BtMG, 6. Aufl., § 29 Rn. 630), könnte der Angeklagte die mehr als 13 Monate später sichergestellten weiteren Geldmittel erst nach der Begehung (Beendigung) dieser Tat erlangt haben.
Rz. 8
c) Die erweiterte Einziehung kann sich auch nicht auf die gemäß § 154 Abs. 2 StPO eingestellte und in den Urteilsgründen festgestellte Tat im Fall 10 der Anklage als Anknüpfungstat stützen. Danach besaß der Angeklagte zum Zeitpunkt der Durchsuchung am 1. Juni 2021 Betäubungsmittel in nicht geringer Menge zum Eigenkonsum (§ 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG). Durch die Verfahrenseinstellung besteht insoweit jedoch das Verfahrenshindernis fehlender Anhängigkeit, weshalb diese Tat keine die (erweiterte) Einziehung im Strafverfahren tragende Anknüpfungstat sein kann (vgl. allgemein BGH, Beschluss vom 21. Juni 2022 - 4 StR 133/22 Rn. 8; Beschluss vom 18. Dezember 2018 - 1 StR 407/18 Rn. 13 mwN). Auch § 73a Abs. 1 StGB gestattet selbst kein objektives Verfahren (vgl. Fischer, StGB, 69. Aufl., § 73a Rn. 9). Vielmehr hätte es insoweit eines Antrags der Staatsanwaltschaft nach § 435 StPO bedurft, die erweiterte Einziehung aufgrund der eingestellten Tat als Anknüpfungstat im selbständigen Verfahren gemäß § 76a Abs. 1 und 3 StGB anzuordnen (vgl. zu dessen Anwendbarkeit auf die erweiterte Einziehung Lohse in LK-StGB, 13. Aufl., § 73a Rn. 18; s. zudem bereits BT-Drucks. 11/6623, S. 6 zu § 73d StGB aF). Ein solcher Antrag ist nicht gestellt worden; die Erwähnung der Einziehungsbeträge in der Anklage und im Schlussantrag der Staatsanwaltschaft genügt dazu nicht (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 6. Januar 2021 - 5 StR 454/20 Rn. 2; Beschluss vom 8. November 2018 - 4 StR 297/18 Rn. 11; Beschluss vom 12. Dezember 2017 - 3 StR 558/17 Rn. 4).
Rz. 9
d) Der Senat kann die erweiterte Einziehung nach § 73a Abs. 1 StGB nicht entsprechend § 354 Abs. 1 StPO entfallen lassen. Denn er vermag nicht auszuschließen, dass ein neues Tatgericht noch Feststellungen treffen kann, die eine erweiterte Einziehung sichergestellten Bargelds auch im subjektiven Verfahren rechtfertigen.
Rz. 10
2. Im Übrigen hat die auf die Sachrüge gebotene Nachprüfung des Urteils keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
Quentin |
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Rommel |
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Messing |
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Momsen-Pflanz |
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Fundstellen
Haufe-Index 15547240 |
NStZ 2023, 7 |
wistra 2023, 209 |
NStZ-RR 2023, 6 |
StV 2024, 438 |