Tenor
Auf die sofortige Beschwerde des Beklagten wird der Beschluß des 12. Zivilsenats des Oberlandesgerichts in Hamm (Westf.) vom 15. Dezember 1965 aufgehoben.
Gründe
I.
Der Kläger, der für den Beklagten Kunstschlosser- und sonstige Arbeiten ausgeführt hat, hat auf Zahlung einer restlichen Vergütung und von Auslagen in Höhe von insgesamt 3.752,59 DM nebst Zinsen geklagt. Das Landgericht hat folgendes Urteil erlassen:
„Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 1.210,97 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 1. September 1964 zu zahlen, abzüglich der Lohnsteuer, die der Beklagte für die Arbeitsleistungen des Klägers nach einem Betrage von 5.000 DM an das Finanzamt abzuführen hat.
Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
Von den Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger 2/3 und der Beklagte 1/3.”
Die Entscheidungsgründe des Urteils beginnen mit dem Satz:
„Die Klage ist in Höhe von 1.210,97 DM nebst Zinsen begründet; im übrigen war sie abzuweisen.”
Der Beklagte hat gegen seine Verurteilung Berufung eingelegt. Das Oberlandesgericht hat sie durch den angefochtenen Beschluß als unzulässig verworfen. Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde des Beklagten, deren Zurückweisung der Kläger beantragt.
II.
Die Beschwerde ist zulässig (§§ 547 Abs. 2 Nr. 1, 519 b Abs. 2 ZPO). Sie ist auch begründet.
Das Berufungsgericht meint, die Beschwer des Beklagten durch das landgerichtliche Urteil übersteige nicht 200 DM (§ 511 a ZPO). Das Landgericht habe den Beklagten zur Zahlung von 1.210,97 DM nur abzüglich der Lohn- und Kirchensteuer verurteilt. Diese Steuern machten insgesamt 1.100 DM aus. Dieser Betrag sei von den 1.210,97 DM abzusetzen. Die Beschwer betrage daher nur 110,97 DM. Nur in dieser Höhe könne der Kläger aus dem landgerichtlichen Urteil vollstrecken.
1.) Diesen Ausführungen kann nicht gefolgt werden. Urteilsspruch und Entscheidungsgründe des landgerichtlichen Urteils ergeben, daß der Beklagte nicht nur zur Zahlung von 110,97 DM sondern zur Zahlung von 1.210,97 DM nebst Zinsen verurteilt worden ist. Der dahingehende Wille des Landgerichts kommt eindeutig in dem ersten Satz der Entscheidungsgründe und in der Kostenverteilung zum Ausdruck. Die (unzweckmäßige) Erwähnung der Steuern im Urteilsspruch schränkt die Verurteilung nicht ein, sondern ist lediglich ein Hinweis auf die Pflicht des Beklagten, Lohn- und Kirchensteuer einzubehalten und an das Finanzamt abzuführen. Das ergibt sich auch daraus, daß das Landgericht die Steuerbeträge nicht beziffert hat.
2.) Die vorstehende Auslegung des landgerichtlichen Urteils ist insbesondere deswegen geboten, weil das Landgericht mit einer eingeschränkten Verurteilung, wie sie das Oberlandesgericht annimmt, rechtsfehlerhaft entschieden haben würde. Es hätte dann ein Urteil erlassen, das mangels Bestimmtheit nicht vollstreckbar wäre. Daß das Landgericht das gewollt hätte, kann nicht unterstellt werden.
Bei einer „Bruttolohn”-Vereinbarung, wie sie das Landgericht annimmt, ist Steuerschuldner nicht der Arbeitgeber, sondern der Arbeitnehmer (§ 38 Abs. 3 Satz 1 EStG). Daran wird auch nichts geändert durch die Pflicht des Arbeitgebers, die Lohnsteuer für den Arbeitnehmer einzubehalten und an das Finanzamt abzuführen. Hierbei handelt es sich nur um eine besondere Form der Steuererhebung. Sie läßt den vertraglichen Anspruch des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber auf Zahlung des Bruttolohns unberührt. Der Arbeitnehmer muß nur die für ihn vom Arbeitgeber geleisteten Steuerzahlungen ans Finanzamt als forderungstilgend gegen sich gelten lassen. Bei der Verurteilung des Arbeitgebers zur Lohnzahlung an den Arbeitnehmer sind daher Lohn- und Kirchensteuern nicht abzuziehen. Das Urteil hat auf den vollen Bruttobetrag zu lauten. Die Gefahr einer doppelten Inanspruchnahme erwächst den Arbeitgeber daraus nicht. Soweit er die Lohnforderung durch Abführung von Steuerbeträgen ans Finanzamt erfüllt hat, kann er das in Zwangsvollstreckungsverfahren geltend machen. Bei Vorlage von Quittungen des Finanzamts kann er die Einstellung der Zwangsvollstreckung gemäß § 775 Ziff. 4 ZPO erreichen (Stein-Jonas ZPO 18. Aufl. § 775 Anm. II 4). Kann er solche Quittungen nicht vorlegen, so wird von ihm zwar der Bruttolohn beigetrieben. In solchem Falle ist aber die Lohnsteuer gemäß § 38 Abs. 3 Nr. 1 EStG vom Arbeitnehmer zu leisten. Der Gerichtsvollzieher hat dann das Finanzamt von der Beitreibung des Bruttolohns zu benachrichtigen, um die Einziehung der Lohnsteuer durch das Finanzamt vom Arbeitnehmer sicherzustellen (AV des RJM vom 25. April 1935 DJ 1935, 656, vgl. auch RAG in ARS 34, 45, 55, Hueck-Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechts 7. Aufl. Bd. I S. 281-283; Haberkorn NJW 1956, 1743; Poelmann, Recht der Arbeit 1951, 367; BArbGer NJW 1964, 1338 mit ablehnender Anmerkung von Putzo NJW 1964, 1823).
III.
Nach alledem durfte das Berufungsgericht die Berufung nicht deswegen als unzulässig verwerfen, weil die Beschwerdesumme nicht erreicht sei. Sein darauf gestützter Beschluß ist daher aufzuheben.
Fundstellen
Haufe-Index 609614 |
MDR 1966, 836 |